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Von Lisa, seiner Frau, hörte ich später, daß er noch in seinen letzten Stunden von alptraumhaften Erinnerungen an seine Folterung durch die Gestapo gequält worden war. Auch Jakob Moneta hat darüber einen erschütternden Bericht gegeben ( Sozialismus , Sonderheft November 1985). Wolfgang Abendroth, den ich bei Tagungen des Initiativausschusses für die Amnestie und der Verteidiger in politischen Strafsachen und bei anderen Veranstaltungen, auch im privaten Kreise, oft erlebt habe, war trotz seiner traumatischen Erlebnisse im faschistischen Terrorstaat ein humorvoller, überaus gütiger, kameradschaftlicher und hilfsbereiter Mensch, den man selbst im Urlaub mit Korrekturwünschen an zu druckenden Redetexten belästigen durfte. Er war immer da, wenn man ihn brauchte, und sein Rat kam aus einer selbstlosen, zutiefst moralisch geprägten Gewissenshaltung, die er auch bei seinen Gesprächspartnern voraussetzte. Sein imponierendes Wissen, sein scharfer analytischer Verstand und seine Rednergabe machten ihn zu einem begehrten Referenten bei wissenschaftlichen und politischen Veranstaltungen. Man wußte, da kommt ein Mann, dessen sozialistische Gesinnung weder die Nazis noch die opportunistisch angepaßten Sozialdemokraten der Nachkriegszeit verbiegen konnten. Seine Vision von einer humaneren Welt hat er ebensowenig aufgegeben, wie seine kompromißlose Parteinahme für die Interessen der Lohnabhängigen und Ausgebeuteten, was ihn für seine Partei, die SPD, untragbar machte. Wolfgang Abendroth hat seine in Gesprächen mit Barbara Dietrich und Joachim Perels aufgezeichnete Biographie »Ein Leben in der Arbeiterbewegung« genannt. Als sein Leben begann, gab es sie wirklich noch, und er hat sie durch äußere und innere Kämpfe begleitet, ihre Niederlage unter dem Hitler-Faschismus miterlitten und nach dem Ende des Dritten Reiches für ihren Wiederaufbau gekämpft. Er hätte das Buch auch »Ein Leben für die Arbeiterbewegung« nennen können, wenn seine Bescheidenheit das zugelassen hätte. Aber wo ist die Arbeiterbewegung, für die er gelebt hat? Niemand sah klarer als er, daß es nur noch Reste von Klassenbewußtsein in der Arbeiterschaft gibt. Und dennoch hat er sich nie auf die Suche nach einem neuen revolutionären Subjekt begeben, er hat nicht Abschied vom Proletariat genommen, und er hat auch nicht die utopistischen Träume und die revolutionäre Ungeduld der Studentenbewegung geteilt, an die mancher von uns mit nostalgischer Wehmut zurückdenkt. Seine Treue zur Arbeiterbewegung, seine Zuversicht, daß die Zeit fehlenden kollektiven Klassenbewußtseins nicht ewig währen wird, waren unbeirrbar, und seine kaderbildende zähe Kleinarbeit war und bleibt vorbildhaft für jeden, der in dieser Zeit des Überwinterns der Arbeiterbewegung an ihrer geschichtlichen Aufgabe festhält und einen Baustein zu ihrer Erfüllung beitragen will. Wolfgang Abendroth war ein Überlebender des Terrors, der seit den Anfängen der Weimarer Republik über die Nazi-Zeit bis hin zu den justiziellen Feinderklärungen bundesrepublikanischer Politik und Justiz gegen die Arbeiterbewegung ausgeübt worden ist. Der Gedanke, daß es viele wie ihn gegeben hat, die ihr Leben der Arbeiterbewegung gewidmet hatten und dabei draufgegangen sind, stimmt traurig. Wir wissen vom Leben und Sterben der Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Eugen Leviné, Leo Jogiches, Fiete Schulze, Robert Stamm und Ernst Thälmann, um nur einige der bekanntesten Opfer reaktionärer Soldateska, Justiz und SS zu nennen. Wir wissen kaum etwas von den Tausenden anderen, die ihr Eintreten für die Arbeiterbewegung mit dem Tode bezahlen mußten. Wolfgang Abendroth hat manchen von ihnen persönlich gekannt. Auch er ist letztlich ein spätes Opfer des Terrors geworden, dem er in der Nazi-Haft ausgesetzt war. Ein paar hundert Freunde haben ihn zum Grabe geleitet. Aber wo waren die Arbeitermassen, für deren Befreiung er ein Leben lang gekämpft hat? Die kollektive Trauer um ihn und viele andere, die für die Arbeiterbewegung gelebt haben, ist historisch aufgeschoben. Sie seien »eingeschreint im großen Herzen der Arbeiterklasse«, hatte Karl Marx von den Märtyrern der Pariser Kommune von 1871 gesagt, eine Erwartung, die sich noch an einer von Geschichts- und Klassenbewußtsein getragenen Arbeiterbewegung festmachen ließ. Seither hat es viele Leben für die Arbeiterbewegung gegeben, die kein kollektives Gedächtnis festhält. Mit dem Klassenbewußtsein der Arbeiterschaft ist auch das kollektive Gedächtnis verschwunden, in dem ihre politischen Vorkämpfer »eingeschreint« werden könnten. Kollektives Gedächtnis wird in einer Zeit der Schwäche der Arbeiterbewegung von den Herrschenden unserer Finanz- und Wirtschaftsoligarchie vorgegeben. Bezeichnenderweise fand das tragikomische Theater, mit dem zwei europäische Staatsmänner einst ihre Verbundenheit demonstrierten, an Kriegergräbern statt, wie sie an vielen Orten zum Gedenken an Pflichterfüllung gegenüber der jeweiligen Obrigkeit gepflegt werden. Die Herren wissen, wo das Herz ihrer Morituri schlägt. Aber wo schlägt das »große Herz der Arbeiterklasse«? Wolfgang Abendroth war einer von den wenigen, die Erinnerung an die Geschichte der Arbeiterbewegung aus eigenem Erleben tradieren konnten. Wer seine historischen Schriften gelesen hat, vor allem aber, wer ihn reden gehört hat, weiß, daß er die Geschichte der Arbeiterbewegung wie eine lebende Präsentbibliothek mit sich herumtrug, jederzeit im Detail und in großen Zusammenhängen abrufbar und reproduzierbar. Sein in der Einsamkeit faschistischer Haft geschultes Gedächtnis bewahrte auch die Leben vieler Kampfgenossen auf, die – um eine von Peter Weiss auf Münzenbergs Tod und dessen Bekanntschaft mit Lenin gemünzte Formulierung aufzunehmen – mit ihm noch einmal gestorben sind. Damit wächst uns Verpflichtung zu, kollektives Gedächtnis aus der Vergessenheit zu heben. Der Hitler-Faschismus hat die Arbeiterbewegung nicht nur organisatorisch und physisch vernichtet, sondern er hat auch ein kollektives Gedächtnis ausgelöscht, das sich noch nicht wieder hergestellt hat. Kollektives Gedächtnis ist aber ein notwendiger Bestandteil von Klassenbewußtsein. Es bildete in der Vorhitlerzeit ein starkes emotionales Band der Arbeiterbewegung (»Der Rosa Luxemburg haben wir's geschworen«). Die Herrschenden wissen schon, was sie tun, wenn sie kommunistische Lehrer seit Jahrzehnten gehindert haben, kommenden Generationen die Wahrheit über deutsche Geschichte zu sagen. Kollektives Gedächtnis der Arbeiterbewegung ist zum großen Teil kollektive Trauer. Verordnete Trauer, wie man sie nach Attentaten auf Exponenten der herrschenden Klasse kennengelernt hat, ist den Ermordeten der Arbeiterbewegung noch nie zuteil geworden. Wer deutscher Geschichte außerhalb der Schulbücher nachgespürt hat, weiß, daß Morde an den Führern der Arbeiterbewegung nicht nur klammheimliche Freude, sondern Jubel bei Bevölkerungsschichten ausgelöst haben, die sich später für das faschistische Gewaltregime einspannen ließen. Aber es hat auch immer eine spezifisch linke Unfähigkeit zu trauern gegeben. Und die hat nicht nur Wolfgang Abendroth zu schaffen gemacht. Er gehörte zu denen, die unbeirrt von wechselnden Opportunitäten auch jene für die Arbeiterbewegung gelebten Leben im Gedächtnis bewahrten und mit Respekt bedachten, die in der stalinistischen Periode »von den Historikern zu Nichtpersonen gemacht wurden, wenn sie nicht in die beabsichtigten Traditionslegenden paßten« (Lisa und Wolfgang Abendroth: »Die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss als authentischer Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung«). Zur Wiederherstellung eines kollektiven Gedächtnisses der Arbeiterbewegung gehört auch das Wissen und die Trauerarbeit um die von stalinistischer Justiz gerichteten Genossen. Die Fähigkeit, auch über die Verurteilten und Hingerichteten der Prozesse der Stalinzeit zu trauern, ist ungeachtet der befreienden Tat des 20.Parteitags der KPdSU und Peter Weiss' »Ästhetik des Widerstand« noch erbärmlich unentwickelt. Eine Haltung linker Verleugnung, die viel Schaden angerichtet hat. Wolfgang Abendroth hat als einer, der einen wichtigen Abschnitt der Geschichte der Arbeiterbewegung selbst handelnd miterlebt hat, nicht nur diese Geschichte, sondern auch eine Würdigung einiger Vor- und Mitkämpfer geschrieben. Wilhelm Liebknecht, Willi Bleicher, August Thalheimer, Heinrich Brandler und Walter Fabian hat er Aufsätze gewidmet, die ihre Rolle in der Arbeiterbewegung beschreiben und für ein wiedererwachendes kollektives Gedächtnis festhalten (Wolfgang Abendroth: »Die Aktualität der Arbeiterbewegung«). Daraus ist zu lernen, daß es auch darauf ankommt, die Erinnerung an Menschen, die für die Arbeiterbewegung gelebt haben (oder noch leben), lebendig zu erhalten, damit Geschichte nicht nur intellektuell, sondern auch emotional als Ansporn und Verpflichtung begriffen wird. Wolfgang Abendroths Bedeutung als Historiker ist in einer Zeit des Darniederliegens der Arbeiterbewegung allzu wenigen bekannt. Seine Darstellung des permanenten Scheiterns einer Einheitsfront der beiden Arbeiterparteien der Weimarer Republik, die Deutschland und der Welt den Hitler-Faschismus erspart hätte, liest man eingedenk des nach dem Kriege neu etablierten antikommunistischen Konzepts der SPD nur mit Beklommenheit. Niemand sollte eine deutsche Schule verlassen, ohne Abendroths »Leben in der Arbeiterbewegung« gelesen zu haben. Sein Leben und seine Arbeit sind Ermutigung für alle, die noch eine Verpflichtung verspüren, den Kampf für eine humanere Gesellschaft nicht aufzugeben. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 16/2005 |
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