Teurer Schlamm

Sergej Guk

In Deutschland spricht man von Leichen im Keller. Bei uns in Rußland sagt man, jeder habe ein Skelett im Schrank. Aber das ist übertrieben. Richtiger müßte man sagen: fast jeder.

Nach der Einführung einer schäbigen Parodie namens Marktwirtschaft haben findige Köpfe sofort kapiert: Die wahre Einnahmequelle verbirgt sich in den Schränken. Inzwischen hat sich ein spezifischer Dienstleistungsmarkt etabliert, auf dem kompromittierendes Material über hohe Beamte, Oligarchen, Abgeordnete, Kriminelle und sonstige Repräsentanten der feinen und feinsten Gesellschaft angeboten wird. In Skandalblättern sind dann zum Beispiel Telefonabhörprotokolle zu lesen. Die Texte sind an vielen Stellen mit drei Punkten versehen – als wären sie mit Fliegenkot beschmutzt. Aber die lästigen Insekten haben damit nichts zu tun. Markiert sind Stellen, an denen eine sich ungestört fühlende Obrigkeit hemmungslos das schmutzigste Vokabular benutzte.

Material für Schlammschlachten ist teuer. Um es zu bekommen, muß man nicht unbedingt eins von Tausenden Detektiv- oder Leibwächterbüros beauftragen. Man kann es erst einmal im Internet versuchen. Es klappt auf Anhieb: Mehrere Anzeigen versprechen eine Menge an Geheiminformationen. »Verkaufe kompromittierende Materialien gegen Beresowskij (3 Dokumente und 1 Videokassete)«. »Es gibt heiße Tatsachen über Kassjanow (12 Dokumente).« Oder: »Die ganze Wahrheit über die Geschäfte von Michail Fridman (Dokumente, Video- und Audiokassetten).« Es gibt auch Gegenangebote: »Kaufe kompromittierende Materialien über bekannte Politiker, Unternehmer, Beamte, Journalisten.«

Eine Kollegin von Moskowskij komsomolez hat in diesem Sumpf ein bißchen recherchiert und sich mit einigen Anbietern unterhalten. So hat sie unter anderem folgendes erfahren. Schlamm über die hohen Tiere in der Regierung kostet von 10 000 US-Dollar an aufwärts – je nach ihrem Einfluß. Für den Vorsitzenden der Staatsduma, Boris Gryslow, wurden zum Beispiel 15 000 »Greens« verlangt. Der Tarif für den erwähnten Oligarchen Fridman war wesentlich günstiger – nur 5 000 Dollar. 18 Dossiers vom Wirtschaftsminister Gref konnte man nicht komplett, sondern nur in Einzelteilen erwerben. Billigstwaren waren die Informationen über unsaubere Spielchen einzelner Abgeordneten: von 600 bis 800 Dollar je Person. Die Anbieter versichern jedoch: Je näher wir der Parlamentswahl kommen, desto höher wird der Preis. Dann kann man den heute erworbenen Schlamm mit großem Profit wiederverkaufen.

Als letzter Schrei der Mode gelten heutzutage die sogenannten Spionage-Slips: 24 Stunden liefern sie Informationen über den Aufenthaltsort der damit bekleideten Person. Der Slip kostet 100 Dollar. Es fehlt nur eine Gebrauchsanleitung, die erklären würde, mit welchen Tricks man jemanden dazu bewegt, ihn zu tragen. Wie man hört, ist die Nachfrage eifersuchtsgeplagter Ehemänner und Liebhaber nach Damen-Slips enorm.

All diese Schnüffelei ist strafbar. Aber die vorgesehenen Sanktionen sind nicht der Rede wert. Die Geldstrafen bleiben meist weit unter den Schnüffel-Honoraren. Drei Jahre Gefängnis drohen nur denen, die ihre Dienstpositionen für ihre Untaten mißbraucht haben. Doch die meisten Schnüffler sind Privatpersonen. Alles geschieht nach dem Motto: Wenn etwas verboten ist, aber dringend gewünscht wird, dann läßt es sich auch machen.

Erschienen in Ossietzky 16/2005