Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Parlamentarier als HistorikerReinhard Markner Der Deutsche Bundestag, dessen Wahlperiode nun enden soll, hat in einer seiner letzten Sitzungen eine Resolution verabschiedet, die vorgeblich »zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern beitragen« soll. Sie wurde mit Stimmen aller Fraktionen angenommen, und das hat sich auch in einer sehr unkritischen Berichterstattung niedergeschlagen. Niemand möchte sich in die Nähe der amtlichen türkischen Version der Geschehnisse von 1915 bringen, der zufolge das Osmanische Reich die armenische Bevölkerung Kleinasiens lediglich »auf freiwilliger Basis« und bei Erstattung der »Reisekosten« in »sichere Gebiete umsiedeln« wollte (Außenminister Abdullah Gül gegenüber dem Rheinischen Merkur, 23. 6. 05). Das ist verständlich. Dennoch muß die Frage gestellt werden, ob es eigentlich die Aufgabe des Bundestags sein kann, die Geschichte entfernter Nationen zu schreiben. Zweifel sind nicht nur deshalb angebracht, weil der Zusammenhang der Resolution mit der Diskussion über einen möglichen EU-Beitritt der Türkei offensichtlich ist. Sondern auch deshalb, weil sowohl das Protokoll der Debatte als auch der Wortlaut der Entschließung nur bedingt geeignet sind, das Vertrauen in die historiographischen Fähigkeiten der Volksvertreter zu stärken. »Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?« Erwartungsgemäß ließen es sich zwei Abgeordnete nicht entgehen, diesen schon lange notorischen Spruch zu zitieren, der am 22. August 1939 in einer Geheimrede Hitlers auf dem Obersalzberg gefallen sein soll. Hitler habe, erläuterte Markus Meckel (SPD), in seiner Ansprache unmittelbar vor Kriegsbeginn »die gnadenlose Vernichtung der polnischen Bevölkerung angekündigt« und mit seinem historischen Vergleich die »noch vorhandenen Skrupel« der ihm zuhörenden Militärführer zu zerstreuen gesucht. Friedbert Pflüger (CDU) behauptete darüber hinaus, das Zitat sei »in den Akten des Auswärtigen Amtes dokumentiert«. Das ist unzutreffend. Der Satz entstammt einer Niederschrift, die dem amerikanischen Journalisten Louis P. Lochner in Berlin zugespielt wurde. Darin wird zuletzt behauptet, Göring habe im Anschluß an Hitlers Rede vor den versammelten Wehrmachtsgenerälen auf dem Tisch getanzt – eine undenkbare Vorstellung. In anderen Aufzeichnungen derselben Ansprache ist weder davon noch von den Armeniern die Rede. Die Nürnberger Anklage verzichtete vernünftigerweise auf die Verwendung des Dokuments, dessen Urheber sie nicht feststellen konnte. Eine andere Quelle, auf die in diesem Kontext ersatzweise verwiesen wird, sind die Gespräche, die Hitler schon 1931 mit Richard Breiting, dem Chefredakteur der Leipziger Neuesten Nachrichten, geführt haben soll. Hier heißt es: »Auch der Vordere Orient ist nicht weit… Überall wird eine neue Weltordnung erwartet. Wir wollen eine große Siedlungspolitik führen... Denken Sie an die Verschleppung in der Bibel, an das Abschlachten im Mittelalter... oder erinnern Sie sich doch an die Ausrottung Armeniens.« (Edouard Calic: »Ohne Maske«, Frankfurt am Main 1968, S. 101) Wie schon die kurze Probe verdeutlicht, spricht Hitler in diesen Gesprächsprotokollen das gebrochene Deutsch ihres kroatischen Herausgebers. Dieser Umstand hat den Nachweis ermöglicht, daß es sich um plumpe Fälschungen handelt. (Vgl. Der Spiegel 37/1972: »Frei erfunden«, sowie Karl-Heinz Janßen: »Geschichte aus der Dunkelkammer. Kabalen um den Reichstagsbrand – eine unvermeidliche Enthüllung«, Hamburg 1979) Der endgültige Text der Entschließung des Bundestags enthält nun zwar nicht das vermeintliche Hitler-Zitat, dafür aber die Aufforderung, »das Werk von Dr. Johannes Lepsius« dem Vergessen zu entreißen. Erinnerungswürdig ist gewiß, wie der Potsdamer Pfarrer in Berlin und Konstantinopel für die Rechte der Armenier kämpfte. Der Verwalter seines Nachlasses, der in Halle lehrende Orientalist Hermann Goltz, ist seit Jahren darum bemüht. Zum Werk des Johannes Lepsius im engeren Sinne des Wortes gehört allerdings auch eine Aktenpublikation, die dieser kurz nach Ende des 1. Weltkriegs aus den Unterlagen des Auswärtigen Amts zusammenstellte. Darin wurde die Indolenz der deutschen Regierung angesichts der aus Kleinasien einlaufenden Berichte von den Deportationen und Massakern durch Kürzungen bewußt verschleiert. Diese Manipulationen hat Wolfgang Gust in seiner soeben erschienenen Edition »Der Völkermord an den Armeniern« (Lüneburg 2005) im Vergleich mit den Originalakten detailliert nachgewiesen. Wie schon die Titelwahl belegt, ist er nicht verdächtig, die offizielle türkische Position bestärken zu wollen. »Für die Armenier war und ist Lepsius eine Ikone«, resümiert Gust. Das mag er bleiben, aber als Zeuge für »eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte«, wie sie der Bundestag fordert, fällt er nach Lage der Dinge aus. Und wer die Absicht verfolgt, eine besondere deutsche Verantwortung für eine solche Aufarbeitung anzumahnen, sollte sich nicht auf apokryphe »Führer«-Reden stützen.
Erschienen in Ossietzky 16/2005 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |