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Juli 2005, bekam er unerwarteten Besuch. Abgesandte des Zollfahndungsamtes Essen pfändeten das bescheidene Spendenkonto. Umsichtigerweise beschlag-nahmten sie auch die Kontoauszüge und einen Computer, um sich über Spender und Spendenverwendung ausreichend informieren zu können. Begründet wurde das – aus meiner Sicht eindeutig rechtswidrige – Vorgehen mit einer auf Drängen der NATO erlassenen Verordnung der EU-Kommission aus dem Jahre 2001, nach der »alle Gelder... die Herrn Milosevic und Personen seines Umfeldes gehören, einzufrieren sind«. Auf dieser Grundlage machten sich die Zollfahnder zu willigen Gehilfen der Chefanklägerin des NATO-Tribunals in Den Haag, Carla del Ponte, deren Riesenstab es noch immer nicht gelungen ist, den sich selbst verteidigenden Milosevic eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu überführen. Doch auch die Selbstverteidigung kostet Geld – unter anderem für die Reisen von Entlastungszeugen, für Recherchen und die Beschaffung von Dokumenten. Milosevic verfügt über keinerlei eigene Mittel, seine Nachfolger in Belgrad verweigern ihm jegliche Unterstützung. So kann er sein Grundrecht auf Verteidigung, die er zum Verdruß der Finanziers und Auftraggeber des Tribunals nach wie vor souverän betreibt, nur mit Hilfe der Solidarität von Spendern wahrnehmen. Nun versucht das Tribunal, das dank der NATO täglich rund eine Million Dollar zur Verfügung hat, dem Angeklagten auch die letzten Cents zu stehlen. Im Konzerngebäude am Churchillplatz in Den Haag, in dem das Tribunal seinen Sitz fand, wurde nahezu zeitgleich ein weiterer Versuch gestartet, Milosevic auch mit anderen Mitteln in die Knie zu zwingen. Angesichts des angeschlagenen Gesundheitszustandes des Angeklagten hatte sich das Gericht auf dringendes ärztliches Ersuchen vor einiger Zeit gezwungen gesehen, den sogenannten Arbeitsrhythmus im Verfahren auf drei Verhandlungstage pro Woche zu begrenzen. Mit Hilfe seiner Entlastungszeugen nutzte Milosevic jeden dieser Arbeitstage, um die Anklage Punkt für Punkt zu zerpflücken. Fieberhaft nach einem Ausweg suchend, verfiel das Gericht jetzt auf die Idee, den kranken, seit 52 Monaten inhaftierten Ex-Präsidenten größeren Belastungen auszusetzen und damit seine Gesundheit weiter zu untergraben. Es beabsichtigt, baldmöglichst an fünf Tagen pro Woche zu verhandeln. Ein Kardiologe soll für diese Tortur, die eine ordentliche Vorbereitung auf die Verhandlungen nahezu unmöglich macht, sein Einverständnis geben. Während sich in Den Haag und am NATO-Sitz in Brüssel einige ob des neuen Coups schon die Hände reiben, hat in Moskau das russische »Komitee zur Verteidigung von Slobodan Milosevic« diese »Manipulation mit der Gesundheit von politischen Gefangenen« scharf verurteilt und als weiteren Beweis dafür gewertet, daß es sich beim Vorgehen gegen Milosevic um eine »politische Farce« handelt. Schließlich zum dritten Ort der Handlung: Im Prachtgebäude an der ulica Kneza Milosa ist das Außenministerium von Serbien und Montenegro untergebracht. Hausherr ist zur Zeit der Monarchist und Vorsitzende der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO), Vuk Draskovic, ein erbitterter Gegner Milosevics. Just einen Tag bevor die Spendengelder in Darmstadt beschlagnahmt wurden, traf er sich in seinem Amtssitz mit dem NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer und unterschrieb mit ihm ein Abkommen über die sogenannten Kommunikationslinien der NATO durch Serbien und Montenegro. Es garantiert dem Pakt freien Transit auf dem gesamten serbisch-montenegrischen Territorium und den NATO-Soldaten und -Offizieren Immunität, wie sie sonst nur diplomatischen Vertretern gewährt wird. Dem Wesen nach gleicht das Abkommen jenen ultimativ gestellten Bedingungen, die 1998 im lange geheim gehaltenen Annex B zum Vertragsentwurf von Rambouillet enthalten waren und Jugoslawien in ein von der NATO okkupiertes Land verwandelt hätten. Ihre Ablehnung war seinerzeit vorprogrammiert und lieferte 1999 den Vorwand für den NATO-Überfall. Auch nach dem Ende der Bombardierung konnte der Pakt seine Forderung nach ungehindertem und freiem Zugang zum jugoslawischen Staatsterritorium nicht durchsetzen. Statt dessen bekräftigte die UN-Resolution 1244 vom 10. Juni 1999 »das Eintreten aller Mitgliedsstaaten für die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Bundesrepublk Jugoslawien«. Die Situation änderte sich erst nach dem Sturz Milosevics. Unter seinen Nachfolgern sucht das vergewaltigte Land seinen Schutz bei den Vergewaltigern und bemüht sich nach Kräften, baldmöglichst Mitglied der NATO zu werden. Ebenso wie die erpreßte »uneingeschränkte Zusammenarbeit« mit dem Haager Jugoslawientribunal und die Auslieferung der Befehlshaber im Verteidigungskrieg gegen die NATO ist das jetzt unterschriebene Abkommen eine Vorleistung auf dem Weg des ehemals führenden nichtpaktgebundenen Landes in die Militär-Allianz. Dessen ungeachtet ist der vom Außenminister unterschriebene Vertrag auf heftige Kritik gestoßen. Die von Vojislav Kostunica geführte serbische Regierung erklärte gar, daß sie von diesem wichtigen Abkommen erst nach seiner Unterzeichnung erfahren habe. Doch der innenpolitische Streit wird sich legen, und die NATO wird bei ihrer Expansion auf dem Balkan weiter vorangekommen sein. Was sie mit 78tägigem Dauerbombardement nicht erreichen konnte, holt sie jetzt, sechseinhalb Jahre später, nach. Der NATO ist zuzugestehen: Sie hat einen langen Atem, und ihre Fangarme reichen weit – nach Den Haag und Belgrad und eben auch in die Holzhofallee in Darmstadt.
Erschienen in Ossietzky 16/2005 |
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