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Auf dem Schwarzmarkt kostet ein Exemplar der Erstauflage zwischen 18 und 20 Dollar – der Kioskpreis liegt bei nur 15 Cent. In einem kurzen Absatz erklären die Herausgeber ihre Absichten: »In dieser Woche widmet der New Yorker seinen gesamten redaktionellen Teil einem Artikel, der von der fast vollständigen Zerstörung einer Stadt durch eine Atombombe handelt und davon, was den Menschen dieser Stadt widerfuhr. Dies geschieht in der Gewißheit, daß bislang nur wenige von uns die fast unvorstellbare Zerstörungskraft dieser Waffe erfaßt haben und daß am besten jeder sich die Zeit nehmen möge, die schrecklichen Folgen ihrer Anwendung zu bedenken.« Statt der üblichen Zusammenstellung von Literatur, Journalismus und Humor bringt die renommierte Zeitschrift auf ihren 68 Seiten – neben dem wöchentlichen Veranstaltungsplan – ausschließlich John Herseys Aufsatz »Hiroshima«. Ursprünglich sollte er als vierteilige Serie laufen, doch in dieser Form hätte der Text deutlich an Wirkung verloren. Die Entscheidung, ihn komplett abzudrucken, fällt im Geheimen und so schnell, daß keine Zeit bleibt, eine passende Titelillustration fertigen zu lassen. Das Heft wird rasch nachgedruckt. Andere namhafte Publikationen bringen Kommentare und Textauszüge. Der New Yorker erteilt die Erlaubnis zum kompletten Nachdruck des Aufsatzes, die Lizenzgelder gehen ans Rote Kreuz. An vier aufeinanderfolgenden Abenden wird der ungekürzte Text auf ABC landesweit im Radio vorgelesen; ebenso in Kanada und im britischen BBC -Programm. Der einflußreiche Book of the Month Club schenkt jedem seiner Mitglieder ein Exemplar des Textes. Buchklub-Betreiber Harry Sherman: »Wir können uns praktisch keinen Text vorstellen, der für die menschliche Art heutzutage wichtiger wäre als dieser.« Die Zahl der Nuklearwaffen hat sich seit Ende des Kalten Krieges lediglich halbiert – auf 30 000 Stück, von denen 4000 ständig in höchster Alarmbereitschaft gehalten werden. Über 95 Prozent der Kernwaffen gehören den Vereinig-ten Staaten und Rußland. Kaum ein Staat, der je über diese Waffen verfügte, war bereit, wieder auf sie zu verzichten. Ausnahmen wie Südafrika lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Die neue Militärdoktrin der USA sieht die Entwicklung von »Mini-Nukes« vor und das Recht auf atomaren Erstschlag. Andere Staaten werden dem schlechten Beispiel folgen. Überdies steht, da die globalen Ölreserven sich ihrem Ende zuneigen, eine Renaissance der Atomenergie bevor. Die Gefahr eines Atomwaffeneinsatzes ist seit 1989 nur scheinbar kleiner geworden. * Herseys »Hiroshima« beschreibt sachlich und akribisch, was sechs Überlebenden nach der Explosion widerfährt. Der Autor vermeidet, die Gefühle seiner LeserInnen anzusprechen, er vermeidet moralische Stellungnahmen, die Fakten sprechen für sich. Der klassische erste Satz lautet: »Am Morgen des 6. August 1945, Punkt acht Uhr fünfzehn japanischer Zeit, in dem Augenblick, da die Atombombe über Hiroshima explodierte, hatte Fräulein Toshiko Sasaki, Beamtin in der Personalabteilung der Ostasiatischen Zinnwerke, sich eben auf ihrem Platz im Fabrikkontor niedergelassen und wandte den Kopf, um mit dem Mädchen am Nachbartisch zu sprechen.« Der Kapitän der »Enola Gay«, eines US-Bombers der Bauart B-52, wirft die Bombe »Little Boy« in einer Höhe von 9601 Metern ab. Der schwarze Sprengkörper wiegt drei Tonnen, ist drei Meter lang und hat einen Durchmesser von 70 Zentimetern. Nach 43 Sekunden zündet er in einer Höhe von 579 Metern, direkt über einem Krankenhaus. Hier befindet sich der erste, wirkliche »Ground Zero«. Hiroshima bedeutet »weite Insel« – das Flußdelta des Ota zerschneidet die Stadt in sechs flache Inseln. Die Flußläufe setzen jedem Flächenbrand natürliche Grenzen; daher ist die Stadt gegen Kriegsende noch nicht mit Brandbomben angegriffen worden. Im Sommer 1945 sind vierzig Prozent des städtischen Wohnraumes in Japan den militärisch ausgelösten »Feuerstürmen« zum Opfer gefallen. Nur zwei große Städte – Kioto und Hiroshima – brennen noch nicht. Von der Atombombe wissen vor ihrem Einsatz nur knapp hundert Menschen. Um das Geheimnis zu bewahren, werden beispielsweise im besiegten Nazi-Deutschland alle Kopien des Hans-Albers-Filmes »Gold« von 1934 konfisziert – in diesem utopischen Reißer kommen nämlich Maschinen zur Atomzertrümmerung vor. Am 25. Juli vermerkt Präsident Truman in seinem Tagebuch: »Diese Waffe soll bis zum 10. August gegen Japan eingesetzt werden. Ich habe den Kriegsminister, Mr. Stimson, angewiesen, sie so anzuwenden, daß Militärziele und Soldaten und Angehörige der Seestreitkräfte getroffen werden, nicht aber Frauen und Kinder [...] Das Ziel wird ein rein militärisches sein, und wir werden eine Warnung ausgeben, mit der wir die Japse [sic] zur Kapitulation auffordern, um so Leben zu retten.« Doch eine Warnung vor der Atombombe unterbleibt. Von den 340 000 Bewohnern Hiroshimas sind 300 000 Zivilisten. Bei der Auswahl der Stadt als mögliches Angriffsziel spielt ihre militärische Bedeutung keine Rolle. Am 3. September 1945 schreibt Wilfred Burchett im Londoner Daily Express : »In Hiroshima sterben, dreißig Tage nachdem die erste Atombombe die Stadt zerstörte und die Welt erschütterte, immer noch Menschen, mysteriös und schrecklich – Menschen, die während der Katastrophe von einem unbekannten Etwas verletzt wurden, das ich nur als atomare Pest bezeichnen kann.« Unmittelbar nach der Explosion starben mindestens 45 000 Menschen. Die Zahl der Toten steigt in den nächsten Monaten auf 136 000. Noch sechzig Jahre später sterben Menschen an den Spätfolgen des Atomblitzes. Auch zukünftige Generationen werden beschädigtes Erbgut in sich tragen. * Warum wurde die Bombe gezündet? Ursprünglich sollte sie einer möglichen Atombombe der Nazis zuvorkommen. Dann sollte sie den Tod von einer Million US-Soldaten verhindern, die bei einer Invasion Japans sterben könnten – die Zahl wurde vom Militär allerdings viel zu hoch angesetzt. Vor allem aber wollte die aufstrebende Weltmacht USA ihren zukünftigen Gegner im Kalten Krieg einschüchtern – die UdSSR. Im einzelnen ist das nachzulesen bei Gar Alperovitz (»Atomare Diplomatie«), der Akten der US-Regierung gründlich ausgewertet hat. Truman, eben erst Präsident geworden, wollte auf der Potsdamer Konferenz auftrumpfen, sich als Hauptsieger des Zweiten Weltkriegs darstellen, als der vorerst noch Stalin galt. Noch am 6. August gab das Weiße Haus einen weiteren Grund bekannt: »Wir haben beim größten wissenschaftlichen Glücksspiel der Geschichte zwei Milliarden Dollar gesetzt – und gewonnen.« Das Militär hatte auf den raschen Einsatz der Nuklearwaffen gedrungen, um ihre Wirkungsweise noch unter Kriegsbedingungen studieren zu können, bevor Japan kapitulierte, womit kurzfristig zu rechnen war. General Groves, der Leiter des »Manhattan Project« zur Entwicklung der Bombe, wollte am liebsten Kioto – die alte Hauptstadt Japans mit einer Million Einwohnern – atomar angreifen: »Von der Fläche her war [Kioto] für uns groß genug, um sämtliche Wirkungen der Bombe zu erfassen.« * John Richard Hersey kam 1914 als Kind zweier Missionare in China zur Welt und verbrachte dort seine Kindheit. Als er elf Jahre alt war, ging die Familie in die USA zurück. An der Elite-Universität Yale war er, wie ein Kommilitone ihn später beschrieb, »ein großer, schlanker junger Mann, nachdenklich, mit festen Zielen; ein Ästhet, aber auch ein Athlet«. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete Hersey als Auslandskorrespondent für Time und Life und schrieb seinen Romanerstling »A Bell for Adano«, für den er 1945 den Pulitzerpreis erhielt. Im März 1999 erklärte das Institut für Journalismus an der New York University Herseys »Hiroshima« zur wichtigsten journalistischen Arbeit des 20. Jahrhunderts. Im besetzten Japan durfte sie erst 1949 erscheinen – nachdem die New York Times die amerikanische Militärzensur angeprangert hatte. Hersey beschließt seine Hiroshima-Reportage mit dem Schulaufsatz des damals zehnjährigen Toshio Nakamura: »Am Tag vor der Bombe ging ich schwimmen. An dem Morgen aß ich gerade Erdnüsse. Ich sah ein Licht.« John Hersey: »Hiroshima«, Vintage Books, $ 6,25 – John Hersey: »Hiroshima 6. August 1945 – 8 Uhr 15«, Europäische Verlagsanstalt, 187 Seiten, 14,90 €
Erschienen in Ossietzky 16/2005 |
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