Der Kardinal bricht auf

Otto Köhler

Ja, »wir müssen widerständig und konsequent sein« und uns »gegen den Trend der Gesellschaft stellen«. Wir brauchen »Wahrhaftigkeit in der Politik«. Darum müssen wir uns in einem bitter nötigen »Aufbruch« auf das besinnen, was »eigentlich die Gesellschaft zusammenhält«. Sonst werden wir »noch mehr auseinandergesprengt – vielleicht explosiver als durch Bomben des Terrorismus«.

So spricht zu uns die Kirche in Gestalt von Kardinal Karl Lehmann, Gefährte des heutigen Papstes in der Glaubenskongregation, jener Nachfolgeorganisation der Heiligen Inquisition, die mit Scheiterhaufen und Feuer die Kirche vor Irrtümern schützte.

Dieser deutsche Kardinal hat in der Frankfurter Allgemeinen am Sonntag offenbart, was für ihn noch »explosiver« ist als »die Bomben des Terrorismus«. Es sind jene Vorschläge, »Reiche und Erben stärker zu besteuern«. Diese Vorschläge wurzeln, sagt der Kardinal, in einem Neidkomplex.

Und der – leider »eine zentrale gesellschaftliche Kraft« – bekümmert den Kardinal so tief, daß er die Werbeslogans des Konsumismus durcheinanderbringt: »Neid ist geil«, spricht er. Und lehrt, es sei »schlimm, daß sich ein solcher Geist breitmacht«.

»Unerträglich« aber, so verkündet er, sei die »Unbeweglichkeit«, mit der oft auf das reagiert werde, was er den »Umbau des Sozialstaats« nennt. Dieses Abbruchunternehmen wird, das weiß der Mann, der aus dem reichen Mainzer Domkapitel kommt, »ein ungemütlicher Vorgang« sein. Und fordert »Zuversicht, Kühnheit und Entschlossenheit« gegen »ein massives, träges Besitzstandsdenken«.

Damit keiner fehlgehe und bei einer allfälligen Wahl sein Kreuz an die falsche Stelle schlägt, kommt die Allgemeine aus Frankfurt am Main zur Sache und fragt: »Hätte eine Partei eine Chance, die nichts verspricht und einen steinigen Weg in Aussicht stellt?«

Der Kardinal empört: »Glaubt man ernsthaft, den Menschen von heute könne man nichts zumuten?«

Keine Angst. Während das Interview in Druck ging, kündigte die Union der Christen nach einer Mehrwertsteuererhöhung nun auch eine »Kombination aus Rentenkürzungen und Beitragserhöhungen« an.

Der gutgenährte Pfaffe im purpurnen Kardinalsgewand beruft sich am Ende des Interviews auf Ignatius von Loyola. Auf den reichen Erben, der nach dem Lesen der Lebensbeschreibung Christi alle seine Güter unter die Armen verteilte und im härenen Gewand nach Montserrat pilgerte, bis zum Verschmachten fastete und dreimal am Tag seinen Leib geißelte. Nein, auf den, genau genommen, beruft sich der gelbschwarze Kardinal nicht. Vielmehr auf die »jesuitische Tradition von Ignatius von Loyola«. Die habe ihn, bekennt er, »sehr geprägt«.

»Damit wir in allen Stücken sicher gehen, müssen wir immer festhalten: Das, was unseren Augen weiß erscheint, sei schwarz, sobald die hierarchische Kirche dies so entscheidet.« Sagte Ignatius, nachdem er seine Societas Jesu gegründet hatte.

Ach ja, die Bismarcksche Sozialreform haben wir bald überwunden. Dann ist die Französische Revolution dran. Sollte aber jemand auf die Idee kommen, im Internet bei Google »Lehmann Kardinal Laterne« einzugeben, bekommt er zur Zeit 172 Hinweise. Nicht jeder ist hilfreich.

Erschienen in Ossietzky 16/2005