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Heinrich Manns Informationen über den inneren Zustand Nazi-Deutschlands sind lückenhaft, sie sind in entscheidenden Punkten falsch. Später bekennt er sich in seinem »Rückblick vom Jahr 1941 auf das Jahr 1939« ausdrücklich dazu: »Die Irrtümer sind wörtlich stehen geblieben, ich bereue sie nicht. Die Irrtümer sind, was am reichlichsten lohnt.« Das ist seine Bedingung an den Leser. Wer sich daran nicht hält, wird das Buch enttäuscht weglegen. Aber auch für den, der die Bedingung akzeptiert, bleibt es sehr schwierig. Wie war es denn, als der Krieg anfing? Waren tatsächlich »neunzig Prozent der Deutschen gegen Hitler«? Glaubte Heinrich Mann das wirklich? Richtig ist: Es gab keine Kriegsbegeisterung. Aber die große Überzahl der Deutschen stand hinter Hitler, weil sich die sozialen Bedingungen verbessert hatten und weil er ein »starker Mann« des Erfolgs zu sein schien. Heinrich Mann meint, das deutsche Volk habe Hitler nur »ertragen, unter allgemeinem Widerstand, aber ertragen hat es ihn«. Zuletzt sei »der Abscheu« gegen ihn »angewachsen bis zum Unwahrscheinlichen«. Deshalb habe Hitler sich »in seinen Krieg geflüchtet«. Warum sollte das Volk, wenn es voll Abscheu war, ihn dann »ertragen«? Heinrich Manns hatte dafür folgende fatale Erklärung: Durch den Nichtangriffspakt mit den Sowjets sei Hitler zu einem »Verbündeten des Kommunisten Stalin« geworden und habe in Deutschland eine Art NS-Bolschewismus praktiziert; dadurch seien »die deutschen Arbeiter auf einmal voll Eifer für seinen Krieg« gewesen. Für Hitlers Krieg! Er hat sogar geglaubt, der Spitzen-Kommunist Ernst Thälmann sei von Hitler freigelassen worden und berate nun Himmler: »Die Gefangenschaft Thälmanns hat genau so lange gedauert wie sein Antikommunismus.« Das hat sich Heinrich Mann, schreibt der Herausgeber Hans Bach in einer der Fußnoten, schlicht aus den Fingern gesogen, wie so manches andere. Heinrich Mann glaubte sogar, Hitler lasse jetzt die deutschen Antikommunisten verfolgen – durch Himmler. Der »richtet hin, was ihm vor das Beil kommt: geistliche Würdenträger, Gauleiter, mit Vorliebe die Offiziere... Die Kabinettschefs der Minister sind der Hinrichtung besonders ausgesetzt, als Warnung für die Minister... Der Reichsminister des Auswärtigen steht unter Polizeiaufsicht... Für die Sicherheit des gestürzten oder freischwebenden Göbbels wäre sehr zu fürchten. Der Führer trägt ihm seine antibolschewistische Propaganda nach. Dennoch besteht Hoffnung, daß er sich lebendig durchbringt.« Aus den Fingern gesogen... Heinrich Mann geht so weit, ihn den »Kommunistenführer Hitler« zu nennen. Millionen Arbeiter, die bisher Nazis gewesen seien, erklärten nun, »sie wären eigentlich Kommunisten von jeher... Man arbeite mit voller Kraft! Gekämpft wird für die kommunistische Eroberung der Welt anstatt für die Hitlersche!« Und die Gestapo sei »aufgelöst – ob vor Schrecken über die neue Bewegung oder weil das Regime völlig versöhnt mit seinen Arbeitern wäre«. Man versteht die Welt nicht mehr, die Welt des klugen Heinrich Mann. Wie ist es möglich, daß ein so politischer Kopf so etwas hat glauben können? Er glaubte, den deutschen Soldaten sei vorgegaukelt worden, sie gingen am 1. September 1939 nicht in den Krieg, sondern ins Manöver. »Die Gefangenen erfuhren als erste, daß Krieg ist.« Er glaubte, die Frauen und Mütter hätten sich »auf die Geleise geworfen« und »entfernt werden« müssen. Er glaubte, den Witwen getöteter Wehrmachtssoldaten sei es »verboten, Trauer anzulegen. Sie dürfen um das Land nicht sichtbar trauern und auch um ihre Gefallenen nicht!« Auch in Heinrich Manns Exil in Nizza konnte man die Hitler-Rede mit dem Satz hören: »Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen.« Der »Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht« wurde in Auszügen auch in seiner Zeitung abgedruckt. Aber er glaubte ernsthaft, was er da schrieb: »Hitler hat Deutschland am achten Tag noch nicht davon unterrichtet, daß es mit England und Frankreich im Krieg liegt.« Wir in Deutschland erfuhren es noch am Tag der Kriegserklärung, dem 5. September 1939. In der Nacht heulten die Sirenen »Fliegeralarm«. Er fiel auf Zeitungsenten herein: »Eine französische Armee steht auf deutschem Boden... Die Einnahme von Saarbrücken scheint in die Nähe gerückt.« Am 27. September 1939 schrieb er eine Art Aufruf an seine Landsleute: »Deutsche! Ihr kennt ihn doch. Sechs lange Jahre hatten euch über ihn belehrt. Ihr hattet unter ihm gelitten, wie unter einem Einzelnen nur selten gelitten worden ist von einem ganzen Volk. Ihr hattet ihn verachtet, seine Furcht um sein Leben, seine zehntausend Leibwächter. Ihr hattet ihn durchschaut, er ist ein Mißratener, um so ehrgeiziger, weil er ehrlos ist... Längst habt ihr gefühlt und ausgesprochen: das kann nicht gut gehen. Ihr sahet mit Augen: die Geduld der belogenen, betrogenen Umwelt ist nächstens erschöpft... Seine eigenen Generäle weigern sich zu gehorchen... Für den bankerotten Schwindler wollt ihr kämpfen und sterben, Deutsche?... Versäumt die Stunde nicht!... Werft Hitler nieder!« Wie sollten die Menschen in Hitlerdeutschland einem solchen Aufruf folgen, da sie doch sahen, daß es nicht stimmte mit den zehntausend Leibwächtern, mit den ungehorsamen Generalen? Sie konnten nur annehmen, daß dieser Heinrich Mann gar nicht wußte, was in Hitlerdeutschland vor sich ging. Zu den grotesken Gerüchten, die von Heinrich Mann als Realität geschildert werden, gehören noch viele andere. Zum Beispiel dies: Hitler habe von September bis November 1939, also in drei Monaten, »Zehntausende« hingerichtet und »hundertfünfzig Generäle erschossen« – als ob die tatsächliche Zahl seiner Opfer nicht grausig genug wäre. Und wie falsch war seine Beurteilung Churchills: »Die Briten jedenfalls und ihr Imperium haben als die Einzigen diesen Krieg nicht antikommunistisch geführt; gerade darum sind sie moralisch ungebrochen.« Dabei hatte Churchill die spanische Republik verraten, weil er den Kommunisten eine Niederlage wünschte. Und das Amerika Roosevelts war zur Zeit von Hitlers Überfall auf die Sowjetunion weniger antikommunistisch als das England Churchills. Heinrich Mann aber glaubte, das britische Commonwealth sei ein »großer Beginn des Völkerfriedens«. War es nicht aus kolonialem Besitz entstanden, aus langer, langer Unterdrückung? Merkwürdig die Verehrung Heinrich Manns für Churchill, den er für die bedeutendste demokratische Figur dieser Zeit hielt. Er schwärmte für ihn, dem er einmal in seinem Leben begegnet war, 45 Jahre zuvor: »Mein Bruder und ich sahen, man schrieb 1895, über Piazza di Spagna in Rom einen Herrn kommen. Es war ein Herr, neben ihm wurde jeder Beliebige weniger als das. Hierüber verständigten wir uns sogleich, wir hatten den wahrhaft herrschaftlichen Typ erblickt. Im heimischen Deutschland war er uns nicht vorgekommen; auch Rom besaß ihn nicht. Unnütz, ihn zu beschreiben. Hakennasen, aufgeschossene Gestalten ohne Bauch kann man haben. Niemand außer unserm Lord, der auch ein Kaufmann aus Birmingham sein durfte, besaß in Haltung, Gang und Mienen diese Selbstgewißheit; ungewollt ist sie da, Betonung widerspräche ihr. So frei von Neugier waren keine anderen Augen. Sich an den Menschen und Dingen messen, lag nicht im Sinne des Herrn. Das alte Weltreich, über dessen Mittelpunkt er zu der Stunde schritt, hätte sich vergebens dem seinen verglichen, im Frieden oder Krieg. Übrigens lächelte er, kann ich mich entsinnen. Es war eine Ironie, Viertelsironie, die keinen Gedanken wiedergab. Nur ein Zustand und Sachverhalt verzog den Mund.« Woraus der Autor für die Gegenwart des Jahres 1939 ableitete: »Die Briten dieses Krieges sind unermeßlich größer als ein England, das von den Taten seiner Ahnen die Erfolge einzog... ›Blut, Schweiß und Tränen‹ sind mitnichten, wonach man begehrt und zielt. Der Mann, der von sich spricht, als brächte er nur sie, birgt in den tragischen Falten seiner Stirn und Wangen mehr, viel mehr.« Und was blieb übrig von diesem Lord, der auch ein Kaufmann aus Birmingham sein durfte, als der Krieg vorbei war? Ein kalter Krieger. Heinrich Mann hat viele hervorragende Bücher geschrieben, aber zwei sind ihm mißlungen, und beide stammen aus der gleichen Zeit: dieses »Kriegstagebuch« und sein Roman »Lidice« über das tschechische Dorf, das die Nazis nach dem Attentat auf ihren blutigen Machthaber Heydrich mitsamt den Einwohnern ausgelöscht hatten. Daraus macht Heinrich Mann eine Groteske. Der Diktator Heydrich ist bei ihm ein ungeschickter Hampelmann, der von seiner eigenen SS erschossen wird. Beide Bücher gehören nicht nur zeitlich zusammen, sie haben auch beide die gleichen Probleme gemacht. In Mexico war am 9. Mai 1942, dem neunten Jahrestag der Bücherverbrennung, der Emigranten-Verlag El Libro Libre gegründet worden, der mit sehr großem Erfolg »Unholdes Frankreich« von Lion Feuchtwanger und »Das siebte Kreuz« von Anna Seghers veröffentlicht hatte. Nun sollte ein Buch von Heinrich Mann kommen. Zuerst war das Kriegstagebuch vorgesehen, aber dann zog er »Lidice« vor. Als das Manuskript endlich kam, waren die meisten Lektoren entsetzt. Ludwig Renn fand es so schlecht, »daß man es gar nicht diskutieren könnte, wenn man es nicht ungesehen angenommen hätte«. Schließlich schrieb die ganze Autorengruppe ihm einen vorsichtigen Brief: »Solange die Wunden noch bluten, scheint es uns nicht ganz ungefährlich, einer grotesk-satirischen Darstellung den tragischen Titel ›Lidice‹ zu geben. Was hielten Sie von ›Der falsche Protektor‹, eine satirische Zeitlegende, oder einem ähnlichen Titel? Vielleicht wäre es überhaupt gut, die lokale Beziehung zu Lidice zu lockern.« Unterschrieben von seinen Freunden Ludwig Renn, Anna Seghers, Paul Mayer, Bodo Uhse, Egon Erwin Kisch, André Simon, Leo Katz. Was Heinrich Mann fehlte, in beiden Büchern, war eine gründliche Analyse des deutschen Faschismus. Es war ja nicht die Herrschaft des einen »bösen Menschen dort und seiner Handvoll Verschwörer«, wie Churchill es ausgedrückt hatte und wie Heinrich Mann es gern übernahm. Dadurch läßt sich nicht erklären, warum es heute noch Neofaschismus gibt, warum in Frankreich, in Rußland, in Skandinavien faschistische Strömungen jetzt, lange nach Hitlers Ende, neuen Terror ausüben. Heinrich Mann läßt die gesellschaftlichen Kräfte weg, die Hitler an die Macht finanzierten und durch ihn ihre gewaltigen Gewinne, Kriegsgewinne, machen konnten. Ossietzky- Leser mögen fragen: Soll ich mir dieses 65 Jahre lang nicht gedruckte Kriegstagebuch kaufen, und was habe ich davon? Vorsichtige Antwort: Wer sich für das Leben Heinrich Manns interessiert, auch für seine manchmal erschreckenden Irrtümer, sollte es kaufen. Wer ein Kriegstagebuch über die ersten vier Kriegsmonate haben möchte, dem sollte man abraten. Übrigens sollte man nicht vergessen, in welcher Notlage Heinrich Mann versuchte, diese Bücher zu veröffentlichen, um überleben zu können. Zwei Jahre später, am 3. Dezember 1941, notiert Bert Brecht in seinem Journal ein Zusammentreffen mit beiden Brüdern Mann bei Feuchtwangers. Über Heinrich schreibt er: »Er geht wöchentlich stempeln, holt sich 18 $ 50 Arbeitslosenunterstützung ab. Er ist über 70. Sein Bruder Thomas baut sich eben eine große Villa.« Heinrich Mann: »Zur Zeit von Winston Churchill«, S. Fischer Verlag 2005, 544 Seiten, 22,90 €
Erschienen in Ossietzky 15/2005 |
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