Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Zensur als GeschichtsaufarbeitungHarald Kretzschmar Da es nun einmal eine vor allem im Detail hochinteressante Ausstellung zum Thema gibt, kommt man als einer der hauptsächlich Betroffenen (und dadurch Beteiligten) schon ins Grübeln, was das Thema Karikatur und Zensur betrifft. Zum Schwärmen ist es nicht gerade geeignet, weiß Gott, aber ein wenig phantasieren wird man ja wohl dürfen. Das ach so böse gewesene System ist dingfest gemacht an seinem wunden Punkt: Zensur. Was verboten oder fast erlaubt oder eben nicht opportun war und dann doch möglich wurde – einen unwiderstehlichen Reiz übt es auf alle, die nicht dabei waren, im Nachhinein aus. Und die dabei waren? Als aktive oder passive Leidtragende nehmen sie die Fakten heute womöglich noch gelassener als zum Zeitpunkt brisanter realsozialistischer Gegenwart. Es ist zur Story verkommen, was mal gelebtes Satiremachen unter widrigen Umständen war. Wer das erlebt hat, erzählt die Story echt. Wer es nicht erlebt hat, interpretiert es. Interpretation – im Regelfall aus heutiger Sicht – vereinfacht: da der böse Zensor, dort der gutwillige Karikaturist, dem seine Kritik verübelt wird. Wer darf Zensor spielen? Das politische System, das Ordnungsprinzipien durchsetzende, erzieht seine »ausführenden Organe« dazu, selbsttätig Grenzen für Meinungsäußerung abzustecken. Jeder Redaktor sein eigener Zensor. Erstes Stutzen: Ach, so war das. Zweites Stutzen spätestens in dem Moment, wo sich der Zeichner einerseits als Geschöpf des Zensor-Redaktors darstellt, andererseits aber als selbständig denkend Handelnder gelten möchte. Wie denn das? Dialektisch-paradoxer Widersinn im autoritären Regime – das war die gebremste Spaßkultur der 50er bis 80er Jahre in jenem Landstrich, der am Ende als DDR weltweit anerkennt wurde. Was in jener Ausstellung jetzt zu sehen ist, soll Misere abbilden und bietet doch alles andere als Miserables. Eingeschränkte und dennoch vital stückweise etablierte Satireleistung. Kurios der Widerspruch: Die Blätter, ob nun systemkonform oder nicht, fesseln das Publikum nach wie vor. Offenbar ist ein Irrtum zu überwinden. Es ist lästiger Usus, DDR-Historie punktuell auf- und abzuarbeiten. 17. Juni, 13. August, 11. Plenum, Biermann-Eklat, 9. November – Daten, nichts als Daten. Zwischen dem Datengerippe wuchs das Fleisch des tatsächlichen Lebens. Auch konkrete Daten des Zuschlagens von Zensur sind nur bedingt signifikant. Die Entgleisung eines eine Karikatur von mir übelnehmenden Walter Ulbricht ist eine Story. Auffällig. Mit Bonmots gewürzt gut zu erzählen. Aber der Alltag ging weiter. Es war ein Alltag der Medien und zunehmend ein Alltag der Künste. Da wurden gute Publikationen mit guten Beiträgen gemacht. Künstlerisch meist besser als heute. Dafür interessiert sich niemand. Der Event zählt. Bitteschön, Selbstzensur gab es. Bei Medienarbeit anderswo auch. Die heuchlerische Attitüde des »Aber bei uns wäre so etwas unmöglich« ist von Realitätsverlust genauso bestimmt wie der verwunderte Ausruf »Aber durften Sie denn das?« Daß Satire immer mit ganz bestimmter, sehr konkreter Absicht gemacht wird, war kürzlich sehr schön an der Ausstellung des Amerikaners Art Spiegelman im Berliner Gropiusbau zu sehen. Seine Titelblatt-Entwürfe für den New Yorker in vielerlei Probe-Varianten ließen erkennen, wie sehr auch dort Vor- und Rücksicht die Zielrichtung der Kritik prägen. Hinter der krampfhaft übersteuerten Bevormundung der Medien durch die allein herrschende Partei tat sich einst eine Spielwiese für Individualitäten auf, mit Möglichkeiten, die man nicht unterschätzen sollte. Sind die Koordinaten erst einmal klar, dann ist alles weitere eine Frage der ganz persönlichen Interpretation – wem kommt das nicht bekannt vor? Der Trend in Wortwahl, zeichnerischer Interpretation und Ideenfindung ist unverkennbar – aus der historischen Distanz sonnenklar. Da war latente Vorzensur am Werk. Nun setzt die Nachzensur der späten Wertung ein. Und da gibt es frappierende Überraschungen. Die nachträgliche Betrachtung dessen, was war, selektiert krasser, als es je die Zensur des Systems vermocht hätte. Ach ja, die liebe Zensur, die sich hübsch als Geschichtsaufarbeitung tarnt. Was in dieser faktenreichen Ausstellung präsentiert wird, ist solider Recherche zu verdanken. Doch schon in der Berichterstattung im MDR -Kulturmagazin Artour wurde aus einem schlichten Fakt durch Selbstzensur eine handfeste Falschinformation. Plötzlich war eine Ironisierung der Vorsitzenden von SPD und SED, Schumacher und Pieck, durch Herbert Sandberg in seiner unter amerikanischer Lizenz herausgegebenen Zeitschrift Ulenspiegel im Februar 1948 der Grund für ein Verbot desselben Blattes zweieinhalb Jahre später. Inzwischen hatte sich Sandberg wegen Konflikten mit dem US-Lizenzgeber (unter anderem wegen der Veräppelung Schumachers) unter die sowjetische Lizenz begeben, die im August 1950 aus ganz anderen Gründen entzogen wurde. Was das Hand-in-Hand-Arbeiten der Kontrahenten des Kalten Krieges illustrieren könnte, wird so zu einem Paradebeispiel der Machenschaften von SED-Zensur. Die viel interessantere Wahrheit liegt wie immer tiefer. Der Ulenspiegel war ein so trefflicher Ausdruck des intellektuellen Neuaufbruchs der Nachkriegszeit, daß seine gesamtdeutsch-demokratische Position keiner Seite mehr in den Kram paßte. Was folgte, waren gigantische Orgien einer Selbstzensur zum Niedermachen des politischen Gegners – auf beiden Seiten. Die späte DDR lieferte dann genügend Beispiele, wie unter ihren Vorzeichen ideologische Selbstdisziplinierung geübt wurde. Das schlechte Beispiel hat inzwischen Schule gemacht. Empirische Betrachtungsweise ist seitdem aus der Mode. Die neuen Geschichtsaufarbeiter suchen emsig Belege für Thesen, die sie dem Arsenal der Blockkonfrontation entnehmen und nur neu aufpolieren. Der manische Zwang, nach permanenter Selbstbestätigung zu suchen, bringt sie merkwürdigerweise in eine spiegelbildliche Lage zu dem System, das sie zu analysieren vorgeben. Und sie brauchen dazu absolut keinen Zensor, der ihr freies Urteilsvermögen einschränkt. Das tun sie ganz allein. »Unterm Strich – Karikatur und Zensur in der DDR«, Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, bis 9. Oktober 2005, Dienstag bis Freitag 9–18, Samstag und Sonntag 10–18 Uhr, Eintritt frei
Erschienen in Ossietzky 14/2005 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |