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Prompt hielt Richard Schröder, Theologe an der Berliner Humboldt-Universität und Verfassungsrichter in Brandenburg, in derselben Wochenzeitung dagegen: Grass sei zwar ein großer Geschichtenerzähler und als Nobelpreisträger unser Stolz, halte sich aber »außerdem für einen großen Geschichtsdeuter, und da wird es schwer, stolz auf ihn zu sein«. Grass ein großer Phantast also und unfähig, die Wirklichkeit so zu interpretieren wie gewünscht. Da kann man plötzlich nicht mehr stolz auf Grass sein. Richard Schröder ist vielleicht ein guter Theologe und ein einflußreicher SPD-Politiker; einen großer Deuter der DDR-Geschichte und der Zeit danach kann man ihn nicht nennen, vor allem nicht stolz auf ihn sein – im Gegensatz etwa zu dem westdeutschen Theologen, der die eilig weggeworfenen Werke deutscher Klassiker aus DDR-Verlagen und Bücher der DDR-Autoren von den Müllhalden gerettet hat. Gelegentlich entbehren Schröders Antworten auf Grass nicht einer ungewollten Komik. Es stimmt: Die Ostdeutschen führten im Herbst 1989 die Einheit durch Demonstrationen herbei. Wer aber für wen die Einheit »erstritten« hat, das ahnen wir jetzt. Schröder: »Sie (die Ostdeutschen d. A.) wollten leben wie in der Bundesrepublik.« Damit bestätigt er die Wahl aus dem Bauch heraus. Die Leute riefen »Helmut! Helmut!«, in Wahrheit aber »D-Mark! D-Mark!« und lieferten denen Wasser auf ihre Gebetsmühlen, die aus profitablen Gründen für eine schnelle Einführung der D-Mark waren. Als Redakteur einer Zeitung besuchte ich damals eine Weberei im Osten, deren Auftragsbuch noch für zwei Jahre gefüllt war. Zwei Wochen später wurde die auf vollen Touren laufende Produktion siegreich beendet. »Wir sind nicht mehr der Stasi ausgeliefert«, schreibt Schröder. Ja, gut und richtig. Ich bin ihr durch eine infame Fallenstellerei kurze Zeit in die Fänge geraten. Das war schlimm genug. Aber wem sind wir jetzt ausgeliefert? Schröder schweigt darüber, Grass nicht: Wir sind immer noch den über 44 Jahre und bis heute bestehenden Vorurteilen ausgeliefert. Schröder: »Die Atomkriegsgefahr ist vorbei.« Welche Weltfremdheit! Wozu gibt es dann noch Atomwaffen, und wo sind sie gelagert? Schröder sollte sich einmal genau umsehen. Das Gesundheitswesen ist nach Schröders Meinung nun dem westdeutschen vergleichbar. Auch das stimmt. Wir erleben es: Unseres war besser, sozialer. »Die Ostdeutschen nehmen die Freiheit, sich zu beliebigen Zwecken zusammenzutun, reichlich wahr.« So Schröder. O ja! Wie jetzt in Leipzig, der Stadt der 89er Demonstrationen, zu erleben war: Neonazis taten sich reichlich zusammen, und die Polizei schoß mit Wasserwerfern auf Gegendemonstranten, die sich auch zusammengetan hatten und als Linke in einen Topf geworfen wurden. Aber nach Schröders Meinung sehen da viele Warner viel zu tief. Die Gespenster, die Grass wahrnimmt, sieht Schröder offenbar nur als friedliche Schmetterlinge, die ihn umflattern. Das Gespenst der Arbeitslosigkeit kommentiert Schröder eilig mit der Erklärung, dieses Problem gebe es auch im Westen. Na, dann ist ja alles in Ordnung. Ob an der Humboldt-Universität auch jemand Ursachenforschung betreibt? Vielleicht besucht Schröder einmal ein solches Seminar. Grass' »Tiefschlag« (Schröder), nämlich, daß die Politiker zu Marionetten viel Mächtigerer verkommen sind, erweist sich als ein genauer Treffer auf den Magen. Wenn sich Schröder tief getroffen fühlt, so muß seiner sehr weit unten sitzen. Daß sich die Volksvertreter im Bundestag immer mehr vom Volk trennen, beweisen sie von Tag zu Tag in ihren Reden. Übrigens »tummele« ich mich nicht in irgendeiner Lobby, wo Herr Schröder alle Schriftsteller sieht. Ich bemühe mich nur um Honorare aus den Jahren 2003 und 2004, die mir für ein Buch zwar vom Verlag berechnet, aber trotz mehrmaliger Anfragen nicht gezahlt werden; die Anfragen wurden nicht einmal beantwortet. Da hilft mir auch kein Abgeordneter. Die Ostdeutschen haben einst aus dem Bauch heraus gewählt. Jetzt greifen sie sich an ihren Kopf und bemerken ihn. Sie heißen nun Bundesbürger. Die DDR ist passé. Wenn sie jetzt mitreden, muß man ihnen das nicht als Undankbarkeit oder Unbelehrbarkeit auslegen. Solche Reaktion wäre arrogant. Und Schröder sollte sich gelegentlich auch einmal an seinen Kopf greifen.
Erschienen in Ossietzky 14/2005 |
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