Mißvertrauen

Otto Köhler

Wie der Minister für die Verteidigung des Hindukusch bei der Mißvertrauensabstimmung für Gerhard Schröder votiert hat, das konnte ich nicht sehen. Aber ich gehe vertrauensvoll davon aus, daß Peter Struck wie auch die übrigen Kabinettsmitglieder dem Kanzler, der gern seiner Mehrheit mißtrauen möchte, gehorsam das Vertrauen versagt hat.

Mit dem Vertrauen ist es eine eigene Sache. Struck, der dem Kanzler, dem er vertraut, sein Vertrauen entzogen hat und ihm gleichwohl weiter vertraut, hat gerade erst zum 50. Jahrestag des Wiederauferstehung deutschen Militärs behauptet, die Bundeswehr sei eine der »angesehensten Institutionen im Land«: Ihre Soldatinnen und Soldaten hätten »das Vertrauen« der deutschen Bevölkerung erworben oder »im besten Sinne der Wortes ›erdient‹«.

Jetzt kann sich auch die Bevölkerung, soweit sie arbeitslos ist, ihrerseits das Vertrauen ihrer Soldatinnen und Soldaten erdienen.

Wenige Tage vor dem rotgrünen Unvertrauen war Struck – er hatte den Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse mitgenommen – zum Manöverbesuch in Vorpommern. Da lief den beiden ein Feind über den Weg beziehungsweise – man war ja im Manöver – einer, der einen Feind unserer Bundeswehr darstellen sollte. Der Minister fragte den Feind nach seiner Herkunft. Und siehe, da stellte sich – für den Minister völlig überraschend – heraus: Der Feind war, weil die Bundeswehr in Mitteleuropa einfach nicht mehr über Feinde zu verfügen vermag, selbst ein Bundeswehrsoldat, der den Feind nur darstellte, also eigentlich das volle Vertrauen des Kommandeurs hat, dessen Truppe seine Bekämpfung darstellen muß.

Der Minister aber, dem solche Zweckentfremdung seiner Soldaten als Opfer ihrer selbst neu war, ist für eine ehrliche und vor allem preisgünstige Kampfdarstellung. Er hatte da eine Idee, die er sofort bekannt machte: Warum nimmt man nicht Arbeitslose als Feinddarsteller? Soldaten kosten viel Geld, Arbeitslose schlimmstenfalls einen Euro pro Nase. Bei Massenszenen für das Truppentraining werden schließlich bis zu 400 Feinddarsteller gebraucht. Und es werden noch sehr viel mehr werden müssen, wenn erst einmal die Kampfeinsätze in Afrika beginnen, die der Minister soeben im Hamburger Abendblatt aus Anlaß des großen Konzerts gegen den Hunger fest zugesagt hat.

Trotzdem, man muß Struck vorwerfen, daß er mit seinem Sparvorschlag zu spät kommt. Ein Verteidigungsminister hat die Pflicht, jederzeit und an jedem Ort, also sogar hierzulande, einsatzbereit zu sein. Aber er hat seit Jahren geschlafen. Schon als Verteidigungsexperte hätte Struck wissen müssen, daß auf beiden Seiten stets nur Bundeswehrprofis am Werk waren. Etwa bei der aufopfernden Tätigkeit der Hammelburger Bundeswehrvideokünstler, deren Erschießungsszenen – ein Schuß für zwei Feinde – gerichtsbekannt sind.

Hätte er, seit sein Vorgänger Scharping im Swimmingpool unterging, sofort und konsequent als Minister die Lösung der Arbeitslosenfrage durch Feinddarstellung in aller Welt betrieben, Gerhard Schröder wäre gerettet. Hatte der nicht 1998 bei seinem Amtsantritt als Bundeskanzler gesagt: »Wir wollen uns jederzeit… daran messen lassen, in welchem Maße wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen.«

Struck hat jüngst erst wieder in der Frankfurter Rundschau versprochen: »Einsatzgebiet der Bundeswehr ist die ganze Welt.« Aber die macht nicht mit. Hätte der Verteidigungsminister überall und an jedem Ort von der Arktis bis zur Antarktis deutsche Arbeitslose als ausländische Feinde eingesetzt, dann wäre auch dieses Problem gelöst, und wir hätten so viele Feinde, wie unser Herz begehrt.

Jetzt kommt Struck zu spät. Der amtierende Bundeskanzler sollte nicht nur seiner Fraktion, sondern auch seinem Verteidigungsminister schleunigst das Vertrauen entziehen.

Oder kommt Struck gerade rechtzeitig? Will er selber als Sieger über das Arbeitslosenheer an der Spitze der Bundeswehr ins Kanzleramt einmarschieren?

Realitätsnähe

Damit sich die Bundeswehr »realitätsnah« auf die Einsätze in der ganzen Welt vorbereiten kann, werden laut Pressebüro des Ministeriums die für Bundeswehrübungen als Gegner-Darsteller engagierten Arbeitslosen in »afghanische Klamotten« gesteckt oder so angezogen wie »die Menschen auf dem Balkan«. Sie werden dann erfahren können, wie die Bundeswehr mit renitenten Einheimischen umzugehen gedenkt, die sich nicht von der deutschen Armee befrieden und befreien lassen wollen. Übrigens stellen Arbeitsagenturen zunehmend Angebote der Bundeswehr vor. Sogenannte Karrierebusse der Armee fahren durchs Land und werben für den angeblich normalen Beruf des Soldaten. Uwe Reinecke

Erschienen in Ossietzky 14/2005