Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Bemerkungen
Die Karriere des EselsDrei Jahrzehnte lang hatte der Esel in der Mühle brav gearbeitet und Markstück auf Markstück zurückgelegt fürs Alter. Wenn die Herren der Welt ihre Kriege führten, war unser Esel, eingedenk seiner früheren Fehltritte, besonnen daheim geblieben, auf daß es ihm wohl erginge im Joch und auf der satten Weide. Eines Morgens stach ihn der Hafer, und er ging aufs Eis tanzen. Danach engagierte er fremde Esel für die Arbeit in der Knochenmühle, veränderte die Grenzen seines Grundstücks und forderte Bär, Löwe und Krokodil zum Tanz ums Goldene Kalb auf. Die tanzten aber nicht, sondern fraßen es ratzeputz weg. Am Tag darauf schaffte der Esel seine gute Währung ab, schickte seine jüngeren Esel hinaus in alle Welt, um sich in fremde Streitigkeiten einzumischen, und gefiel sich rückfällig im Schwingen großer Reden. Gerade als er sich in Position stellte, die Esel in fernen Ländern zu ermahnen und zu belehren, kamen Bär, Löwe und Krokodil vorbei. Sie hatten das Goldene Kalb bis auf den letzten Rest verzehrt und waren gut gelaunt, so daß sie dem Redner zuhörten, der seine Arbeitslosigkeit beklagte, denn er war von seinem Herrn Knall auf Fall entlassen worden. Der Bär sagte, ein Esel ohne Arbeit ist ein unnütz Ding. Der Löwe meinte: Ich bin zwar satt, doch diesen Esel hab‘ ich zum Fressen gern. Das Krokodil schrie: Als Nachtisch paßt der Esel noch rein. Und so fraßen sie ihn weg vom Fleck. Nach der Mahlzeit trennten sich die Wege der drei Räuber, denn jeder für sich ist allein am stärksten, wenn er mit dem Nachbarn die Beute nicht teilen muß. Der Bär bewarb sich bei der reichsten Zeitung des Landes und wollte Journalist werden wie einstmals Sieburg der Große, der schon beim letzten Mal tüchtig mitgeholfen hatte, die Demokratie zur Diktatur zu veredeln. Doch bei dem Blatt waren alle Plätze schon besetzt. Der Löwe kaufte sich einen PC und ging als Dichter. Nach jedem postmodernen Roman fraß er ein Lamm und nach jedem Gedicht einen Ochsen. Nach dem zehnten Lamm verlieh man ihm den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und nach dem zwölften Ochsen den Nobelpreis. Das Krokodil trat in die Kirche ein, hielt an der Theologischen Hochschule gutbesuchte Vorlesungen über Eucharistie und die hohe Kunst, fliegende Tauben zu braten. So brachte es das kluge Tier erst zum Tübinger Professor, dann zum exorzistischen Kardinal und endlich zum Römischen Papst. Wenn das unser treudeutscher Esel noch erlebt hätte, dachte der Papst halb gerührt und halb wehmütig, denn ihm lief das Wasser teils im Maule und teils in den Augen zusammen. Denn wenn wir ihn damals nicht gefressen hätten, dachte er, würden wir ihn jetzt ans Heilige Kreuz schlagen, um ihn anbeten zu können. Gerhard Zwerenz
Von deutscher ZerstörungskraftHäufiger begegnet dem Leser in hierzulande erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften verschiedenster Provenienz und Ausrichtung wieder die Wortwendung von den »deutschen Tugenden«, nicht selten verbunden mit der Aufforderung, ihrer sich ernst zu entsinnen. Da werden der Eigenschaften viele genannt: Arbeitsfleiß, Gemeinschaftsgeist, Opfersinn, Selbstlosigkeit, nicht zu vergessen: Treue. In älteren Aufzählungen fand sich dazu auch: eine Sache um ihrer selbst willen tun. So weit sind wir aber noch nicht wieder. Die Financial Times Deutschland hat in ihrer Ausgabe vom 17. Juni 2005 an eine weitere kritisch erinnert: »Sie hat die deutschen Tugenden in ihr Gegenteil verkehrt: Sie kann jetzt nicht mehr zerstören...« Wer nicht und was nicht? Wenngleich das Datum die Vermutung nahelegt, stammt der Satz nicht aus einem Rückblick ins ostdeutsche Jahr 1953. Er ist auch nicht in eine lobende Erörterung der Rolle der Bundeswehr im Krieg gegen Jugoslawien oder mit anderen ähnlichen Bezügen geschrieben worden. Gemünzt wurde die Feststellung ebenso wenig auf Praktiken deutscher Großunternehmen, denen wahrlich nicht nachgesagt werden kann, daß sie das Zerstören verlernt hätten, namentlich das von Arbeitsplätzen. Geschrieben wurde die Kritik in einen Bericht über das Fußballspiel der deutschen Mannschaft mit der australischen. Drei Tore gegen Deutschland belegten dem Berichterstatter die verlorene teutonische Zerstörungskraft. Besonders der Spieler Huth war nicht immer auf der Hut. Nun sollen er und die anderen Herren das, was ihnen fehlt, bis zur Weltmeisterschaft 2006 noch lernen, um es Millionen deutscher Zuschauer in den Stadien und vor den Fernsehern vorzuführen. Zur Wiedervervollständigung deutscher Tugendhaftigkeit. Kurt Pätzold
Verbrannte BücherPeter Theek, Chefredakteur der DDR- Weltbühne in den 1980er Jahren, war der Sohn des evangelischen Pfarrers Bruno Theek, der 1911 als Zwanzigjähriger der SPD beigetreten war und sich später der USPD anschloß. An ihn, den Theologen Theek, erinnert ein kleines Buch aus der Reihe »Das verbrannte Buch« des Rostocker BS-Verlags. In loser Folge erscheinen dort Bücher von Autoren, die in der »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« erfaßt waren. Bruno Theek arbeitete eine Zeitlang als Dezernent für soziale Fragen beim Berliner Magistrat. In »SOS – Jugend am Kreuz« schilderte er in knapper Form Schicksale von Fürsorgezöglingen (angesichts der wachsenden Kinderarmut und -verelendung in Berlin leider nicht nur von historischem Interesse). Das Buch enthält außerdem einen Erlebnisbericht, den Theek 1945 gleich nach seiner Entlassung aus dreieinhalbjähriger Haft im KZ Dachau verfaßt hat. Was die Nazis alles aus den Bibliotheken aussortierten! Sogar historische Reiseschilderungen wie die »Nachrichten von den Pelew-Inseln« von Georges Keate, die Georg Forster vor mehr als 200 Jahren dem deutschen Publikum vorgestellt hat. In der Reihe »Das verbrannte Buch« hat Ossietzky -Mitarbeiter Jean Villain sie neu herausgegeben. Kontakt: BS-Verlag, Hannes-Meyer-Platz 27, 18146 Rostock, info@bs- verlag-rostock.de Red.
Fußnoten der LiteraturgeschichteIch liebe Fußnoten. Sie verraten meistens mehr über ein Buch und seinen Macher: Neugier und Finderglück, Akribie und vor allem die jeweiligen Ni-schen und Besonderheiten eines Stoffes oder Themas. Daß ich »Stille Post« für eine einzige große Fußnote für eine zukünftig zu schreibende deutsche Literaturgeschichte halte, ist also ein großes Lob. Roland Berbig und seine Mitstreiter haben sich umgetan: Rundbriefe mit gleichlautenden Fragen verschickt, Gespräche organisiert, Aufsätze angeregt und geschrieben. Immer geht es um Schriftstellerkontakte zwischen West und Ost, das reicht vom Programm der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg über heimliche Lesungen in Berliner Wohnungen bis zu vertrauten Gesprächen zwischen Heinrich Böll und Christa Wolf. Für die meisten der Befragten waren ihre früheren Kontakte normaler Lebensbestandteil, wie es sich für neugierige und interessierte Leute gehört. Mit Spaß erzählen sie davon, ohne sich als große Widerstandshelden in Pose zu setzen. Verständlich, daß Namen wie Wolf Biermann oder Klaus Schlesinger, Uwe Johnson, Reiner Kunze oder Elisabeth Borchers häufig auftauchen; bedauerlich, aber zu verzeihen, daß manche fehlen (beispielsweise die Generation um Anna Seghers, Lektoren von »Volk und Welt« oder Hans Marquardt oder Margarete Hannsmann). Dennoch ist es ein spannendes und manchmal sogar amüsantes Buch voller Geschichte und Geschichten geworden. Christel Berger Roland Berbig (Hg.): »Stille Post. Inoffizielle Schriftstellerkontakte zwischen West und Ost«, Ch. Links Verlag, 404 Seiten, 22.90 €
Fahrt in die FremdeSatire, die auf sich hält, ist ernst, bitter-ernst, lebensernst, todernst. Satire der besseren, besten Sorte ist Wolfgang Sämanns Roman »In der Steppe«. Erzählt wird von Menschen, die nicht mehr viel Leben zu leben haben, die ein Leben mit Bedeutung hatten und denen der Kehrt-Wende-Knick die Biographien kräftig verbog. DDR-Menschen also, die in der literarischen Welt der DDR nicht am Rande standen. Nun schon weit genug von Neunund-achtzig entfernt, finden sie sich in einer kleinen Reisegruppe wieder. Die ist mit dem ominösen Auftrag ausgestattet, sich um eine einst aus Kasan ausgelagerte Bibliothek zu kümmern. Die im »Schatten der Vergangenheit« stehen, stoßen auf eine Schattengeschichte. Amüsant, mit anzusehen, wie unverkrampft die Rezensentin Dr. Lasota und der von ihr früher verrissene Schriftsteller Klaus Hesselbarth aus dem Schatten treten. Beider Glück endet im Unglück. Auch das Leben ist voller schicksalhafter, diesmal tödlicher Fallen. Wie da noch behaupten, bei Sämann gibt's was zu lachen? Ohne heiteren Hintersinn könnten die Reisenden den Rückblick in die Vergangenheit kaum ertragen. Sie hätten auch nicht die geringste Freude an der Fahrt in die Fremde, die zur Reise zu sich selbst wird. Der Protagonist des Romans, Klaus Hesselbarth kommt zu der Einsicht, »daß das Superwichtige von heute der Scherbenhaufen von morgen war«. Bernd Heimberger
Wolfgang Sämann: »In der Steppe«, Arnim Otto Verlag, Offenbach, 136 Seiten, 12.50 €
Wahlkampfhilfe für linksPerfekter kann eine politische Neuerscheinung nicht in die Landschaft passen als die »Alternativen zur Sozialdemontage«, die der PapyRossa-Verlag jetzt unter dem Haupttitel »Es geht anders!« auf den Markt gebracht hat. Arno Klönne, Otto Meyer und Daniel Kreutz, die drei Hauptautoren, haben beinahe alles zusammengetragen, was der Linke in den nächsten Monaten benötigt, um wirtschafts- und sozialpolitische Debatten zu bestehen. Otto Meyer zerlegt gekonnt die Legenden über den angeblichen »Reformstau« der Republik, und Arno Klönne gibt einen Überblick über das Entstehen des sogenannten Sozialstaats der 70er und 80er Jahre. Ein bißchen ärgerlich ist, daß er die DDR als gleichsam dritten Partner sowohl bei den Tarifverhandlungen als auch bei Diskussionen über die Sozialgesetzgebung nicht erwähnt und daß zwar vom östlichen »Druck der Besatzungsadministration« beim Zustandekommen der SED, nicht aber von dem westlichen zur Verhinderung der Zusammenarbeit von SPD und KPD die Rede ist. Den ersten Schwerpunkt des Buches aber bildet eine gründliche Beschäftigung mit den Abriß- und Umbaustellen der Republik, auf denen ein anderes, ein um den sozialen Anspruch bereinigtes kapitalistisches System entstehen soll. Ob Stellenabbau bei Bahn und Post oder Steuerumverteilung von unten nach oben – alle notwendigen Zahlen und Argumente liegen hier vor. Den zweiten Schwerpunkt bilden einige Überlegungen von Kreutz und Meyer, die zeigen, wie unsinnig das Gerede von der Alternativlosigkeit der Schröder-Fischer-Politik ist. Und Klönne rundet den Band – in dem Gisela Notz mit einer leider nur kurz geratenen Anmerkung zur weiblichen Armut die übliche Männerdominanz durchbricht – mit Hinweisen darauf ab, daß der geplante Sozialabbau ohne Demokratieabbau nicht zu haben sein wird. Drei kritische Anmerkungen seien erlaubt. Lektoren sind dazu da, Autoren, die sich im Eifer des Gefechts vergaloppieren, ein wenig zu zügeln. Ackermann von der Deutschen Bank greift gewiß ungeniert zu – aber die ihm zugeschriebenen elf Milliarden Euro Jahreseinkommen dürften denn doch übertrieben sein. Zweitens kann man, wie Lafontaine in seinem letzten Buch gezeigt hat, ein Thema wie die »Lohnnebenkosten« spritziger abhandeln, und Müllers »Reformlüge« ist an einigen Stellen ausführlicher. Drittens hätte der PapyRossa-Verlag von der Abteilung Wirtschaftpolitik bei ver.di lernen können, wie Zahlenkolonnen und -wüsten zu prägnanten Tabellen und anschaulichen Grafiken verarbeitet werden können. Dennoch: Wer ein handliches Büch-lein sucht und sicher sein will, daß er darin alle Argumente beisammen hat, um die Schröder-Merkel-Fischer-Propaganda zu entkräften – der stecke sich dieses kleine Werk getrost in die Jackentasche. Manfred Sohn
Arno Klönne/Daniel Kreutz/Otto Meyer: »Es geht anders! Alternativen zur Sozialdemontage«, PapyRossa-Verlag, 172 Seiten, 13,50 €
Entgrenzungen»Im Geäst Erinnerung« hat Wolfgang Bittner in seinem neuen Buch die erste Abteilung mit Prosagedichten überschrieben. An Verästelungen, ausgreifende Selbstvergewisserung bis hin zu filigranen Spitzen lassen diese Texte in der Tat denken. Frische Sinneseindrücke und Erlesenes, scheinbar banale Alltagsbeobachtungen und traumatische Erfahrungen verbinden sich zu einer vielfach gebrochenen Weltsicht und regen an, vermeintlich fest Bestehendes zu hinterfragen. Einen Schlüssel zum Verständnis liefert Wolfgang Bittner mit seinem letzten Gedicht unter dem schlichten Titel »Nichts Neues«: »Was heißt das: alles sei schon mal gedacht/ oder gesagt oder geschrieben worden?/ War Aristoteles etwa in Mexiko?« Wichtig ist ihm, die eigene Perspektive zu reflektieren und als seinen ganz persönlichen Blick auf die Dinge zu zeigen: »Spreche ich nicht mit meinen Worten,/ schreibe ich nicht über meine Erfahrungen?« Dabei vergewissert er sich seiner Position als Beobachter durch zufällige Begegnungen, die immer wieder eines demonstrieren: wie unbefangen er auf Menschen zugeht. Seine Offenheit erlaubt es ihm, auch Themen anzusprechen, die erledigt schienen. Das längst widerlegte Verdikt aufgreifend, nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben, verweist er auf das im Bau befindliche Mahnmal: »in Auschwitz-Birkenau/ ragen kilometerweit Schornsteine/ auf wie ein Stelenfeld«. Das Architektur-Zitat erscheint so als müder Reflex der wirklichen Gedenkstätte, die vom Tourismus erobert wurde, von einer »Besuchergruppe im Trachtenlook« beispielsweise. Er resümiert: »die Summe allen Leids/ bleibt konstant./ Diese vielen unerhörten Gebete.« Einfühlsam nähert Bittner sich den Gegenständen und Menschen, versucht Verständnis zu finden und erzählend zu vermitteln aus Anlaß einer Reise nach Polen. Vielleicht halten sich Grenzen am hartnäckigsten in den Köpfen. Eine Grenze erlebt nicht mehr, wer frei von Vorurteilen und Klischees Gespräche sucht. Neugier lenkt und schärft den Blick. Dieses Buch trägt dazu bei, Blockaden im Denken und Verhalten der Menschen zu überwinden. Andreas Rumler
Wolfgang Bittner: »Überschreiten die Grenze«, Gedichte und ein Reise-Essay, zweisprachig: deutsch & polnisch, Athena-Verlag, 224 Seiten, 12.90 Euro
Hunger nach LiebeDer Vorzug des Kellnerberufs ist, daß man, falls der kleine Hunger kommt, ihn mit einem Zuruf in die Küche sofort besänftigen kann. Aber das ist nur die eine Wahrheit. Die andere: Es gibt einen Hunger, dem durch die Bestellung einer Pizza nicht beizukommen ist. Marta, die in Katrin Dorns Erzählung auf Umwegen Kellnerin wird, ist getrieben vom Hunger nach Liebe und Geborgenheit. Deutliches Symptom dieser unerfüllten Sehnsucht, ihrer Anpassungs- und Identitätsprobleme ist Martas Eß-Brech-Sucht. Ihr inneres Vakuum kann sie nur mit Arbeit ausfüllen. Ihre Tätigkeit als Krankenschwester in einer psychiatrischen Klinik, die ihr brüchiges Leben sinnvoll strukturierte und ihre Psyche im Gleichgewicht hielt, verlor sie, nachdem sich eine Patientin das Leben genommen hatte, wegen verletzter Aufsichtspflicht. Kai ist Marta in vielem ähnlich. Aber gleiche Pole stoßen sich bekanntlich ab. Daran kann auch eine gemeinsam verbrachte Nacht nichts ändern. Kai krankt daran, daß er nicht an sein malerisches Talent glauben kann, das sein Vater ihm stets bescheinigte. War er nicht voraus-eilender Gehorsam, daß er sich vor dessen Tod das Versprechen abringen ließ, Kunst zu studieren? Die Mutter hat die Wahl ihres Sohnes nie akzeptiert, nur verhöhnt. Ähnlich emotionsfrei wie Kais Mutter auf ihren Sohn reagiert Martas Vater auf seine Tochter. Beide halten ihre Kinder für Versager und gescheiterte Existenzen. Es zeigt sich, daß das Minderwertigkeitsgefühl, das die Seelen von Marta und Kai wie ein Eispanzer umhüllt, nicht zuletzt ein elterliches Erbteil ist. Wie sollen sie Liebe empfangen und ausstrahlen können, die sie zu Hause nicht erfahren haben? Die aus Thüringen gebürtige, heute in Hamburg lebende Katrin Dorn erzählt in aller Kürze eine schier unersättliche Geschichte über das Hintergrundrauschen im Äther des Zwischenmenschlichen. Wie nahe sich die Schriftstellerin am Leben bewegt, wird vollends nachvollziehbar, wenn man diese Erzählung etwa parallel zu den frühen »Tagebüchern 1953–1963« von Einar Schleef (1943–2001) liest, dem Autor und Theaterregisseur, der in ähnlichen verharschten Familienverhältnissen aufwuchs wie Katrin Dorns Figuren. Die Schriftstellerin vermittelt die psychischen Verwerfungen und die daraus resultierenden individuellen Dramen sensibel und in poetisch starken Bildern. Und weil sich das Geschehen an unserer Lebenswirklichkeit blutig reibt, läßt es sich auch nicht mit einem Happy End abspeisen. Kai Agthe Katrin Dorn: »Der Hunger der Kellnerin«, Erzählung, Deutscher Taschenbuch Verlag, 138 Seiten, 8,50 €
Das Los der GeliebtenHolde-Barbara Ulrich hat sich mit einfühlsamen und gescheiten Reportagen und Porträts einen – unter anderem mit dem Kisch-Preis gekrönten – Namen gemacht. Meist beschäftigten sie Schicksale von Außenseitern. Ihr besonderes Augenmerk galt Frauen – für die Autorin Schwestern im Geiste. Nun hat sie ihren ersten Roman veröffentlicht. Es geht um eine junge Frau, Wissenschaftlerin, attraktiv, voll Erwartung an das Leben, auf die große Liebe hoffend. Sie verfällt einem bekannten Regisseur – verheiratet und Macho. Die Szenen dieser Liebe erzählen von den einsamen Wochenenden, dem ewigen Warten, den Heimlichkeiten und Lügen dieser Beziehung, die ihr Maß verliert. Der Leser staunt, was frau sich in Liebesverblendung gefallen läßt. Es gibt natürlich kein happy, aber ein überraschendes Ende. Holde-Barbara Ulrich schreibt detailreich, sensibel, nie kitschig. Das Leid ihrer Heldin ging ihr wohl so nahe, daß es an der Kraft fehlte, die Attraktivität des Liebhabers plausibel zu machen. Am Ende frage ich mich: Was hindert eigentlich diese klugen, schönen und materiell selbständigen Frauen, die Machos einfach rauszuwerfen? Offenbar ist leiden schöner. Christel Berger
Holde-Barbara Ulrich: »Margrets Mann«, Roman, Orlanda Verlag, 242 Seiten, 15,50 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Clown mit WuschelschopfWer hat Albert Einstein in seinen letzten 19 Lebensjahren die Haare geschnitten? Dafür war Elsa zuständig, die zweite Gattin des Genius. Extrem kurzsichtig, war die Hobbyhaarschneiderin die Urheberin des berühmt gewordenen formlosen Wuschel-Strubbel-Schopfes. Die Antwort auf die Frage gibt das sonst so auskunftsfreudige wie unterhaltende Anekdotenbuch »Wozu Socken? Sie schaffen nur Löcher!« nicht. Bisher nur wenigen als bekannter Socken-Verächter und hemmungsloser Erdbeer-Esser bekannt, wird der Wissenschaftler hier aber nun auch all denen, die seine Wissenschaft nicht verstehen, als ein Mensch vertraut gemacht, dem nichts Menschliches fremd war und der mit der Menschheit auf Du und Du gewesen ist, ohne sich ihr anzubiedern. Als Schüler ein wahrer »Bruder Langweil«, hat Albert Einstein, mit »freundlichem Blick und mit spöttischem Humor begabt«, der Welt manches Vergnügen geboten. So Irene Tüngler, die die Anekdoten suchte und aufschrieb. Listig, lustig wie die Bonmots des Albert Einstein oft auch waren, es sind die des besserwissenden Clowns, der wußte, wie gering seine Chancen waren, die Menschen auf den rechten linken Weg zu bringen. Bernd Heimberger
»Wozu Socken! Sie schaffen nur Löcher! Anekdoten über Einstein«, gesammelt und aufgeschrieben von Irene Tüngler. Eulenspiegel Verlag, 144 Seiten, 9,90 €
Press-KohlBeim Lesen der Kleinen Zeitung aus Graz, die gar nicht so klein ist, wie ihr Name vermuten läßt, erschrak Freund Didi angesichts der fettgedruckten Schlagzeile: »Halbe Million alte Tausender verfallen«. Er hatte nicht geahnt, daß die Republik Österreich schon 500 000 Jahre alt ist und sofort bei ihrer Gründung Tausend-Schilling-Banknoten herausgegeben hatte. * Jan Ullrich ist nicht nur ein bekannter Radsportler, sondern auch ein Bursche mit außerordentlich widerstandsfähigem Image. »Nach elf Jahren hat er sich von seiner Freundin Gaby getrennt«, meldete die Frankfurter Rundschau . »Es gebe keine andere Frau an seiner Seite; schmutzige Wäsche solle auch nicht gewaschen werden, betonte Ullrich. Sein Image bekam 2002 Risse, als ihm nach einer Alkoholfahrt mit Fahrerflucht durch Freiburg der Führerschein abgenommen wurde.« Da hat der Mensch aber Glück gehabt, fand unser Leser Christoph Lindner, denn ab 2002 Rissen fällt ein normaler Mensch bekanntlich auseinander. Ein normaler Mensch vielleicht. Nicht aber ein Betonkopf wie Ullrich. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 13/2005 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |