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Die zwölf Tafeln, die die Quintessenz einer Ausstellung im Eisenhüttenstädter Dokumentationszentrum »Alltagskultur in der DDR« liefern sollten, schienen meiner Befürchtung recht zu geben. Keine dieser Tafeln, deren jede zentralen Bereichen der Volk-und-Welt-Produktion gewidmet ist, kommt ohne Zensurvorwürfe aus: »Volk ohne Welt – Spiel mit der Sehnsucht«, »Bücher im ›Eisschrank‹ / Die angloamerikanische Literatur«, »Keine Hure als Heldin: das romanische Lektorat«, »Streunende Hunde: Sowjetische Literatur in der Gorbatschow-Ära« und so weiter. Die Zensur- oder Eingrenzungsbeispiele stimmen zwar, aber: Zu welchen Schlüssen über das Editionsprogramm dieses Verlags kommt, wer sich durch alle zwölf Tafeln hindurchgelesen hat? Ich muß zugeben, daß ich – selbst Autor eines Buches über Volk und Welt (»Autobiographisches Zeugnis über einen legendären Verlag«) – längst darüber nachdenke, was dessen grundsätzlichen Unterschied gegenüber dem Buch ausmacht, das Siegfried Lokatis und Simone Barck in Korrespondenz zur größeren Ausstellung in Eisenhüttenstadt geschaffen haben. So würde ich sagen, das eine (»Autobiographische Zeugnis...«) wolle zeigen, wieso dieser Verlag eben in der DDR zu einem international beachteten Kulturzentrum wurde, während das Buch »Fenster zur Welt« hervorhebt, wie die Leistungen des Verlags (und seiner Lektoren) im Kampf mit der DDR-Diktatur und oft nur durch deren Überlistung erbracht worden sind! Auch wenn keiner der beiden Herausgeber den Verlag von innen kannte: Simone Barck, einer Mitarbeiterin des einstigen Zentralinstituts für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, waren der Verlag und sein Wirkungsfeld nicht fremd. Siegfried Lokatis, aus Westdeutschland kommend, hat von seinem ersten Buch an das Thema »Zensur-System und literarische Öffentlichkeit in der DDR« bearbeitet (in einer Artikelfolge »Zensurspiele« publizistisch ausgeweitet), aber daß er durch seine umfängliche Lektüre der Volk-und-Welt-Titel nach eigenem Bekenntnis fast zu einem Fan des Verlags geworden ist, macht ihn sogar zu einem Zeugen für dessen »Leistungsgeschichte« (ein von mir benutztes Wort, das mir Barck eher neckend vorhält). Zur Eröffnung (unter Anwesenheit vieler einstiger Verlagsleute) bauten die beiden Herausgeber ihr in die Diskussion einführendes Frage- und Antwortspiel auf Bertolt Brechts »Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit« auf. Da bot sich auch noch Brechts These an, daß sogar »besondere List bei der Verbreitung der Wahrheit« wichtig sein könne. So habe eben der Zensur-Aspekt geholfen, manche Fördermittel zur Herausgabe des Buches zu gewinnen (zum Beispiel von der »Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur«, und sogar der Ch.Links Verlag wurde da kaum zufällig gewählt). Um bei Brechts Lehrsatz zu bleiben, daß Mut nötig sei, die Wahrheit zu schreiben, sowie Klugheit, sie zu erkennen: Ist nicht der Umstand, daß Volk und Welt trotz Zensur nicht nur ein repräsentatives Programm aus der Weltliteratur des zwanzigsten Jahrhunderts gebracht sowie hartnäckig dazu beigetragen hat, daß sich Editionbedingungen änderten und schließlich – freilich erst gegen Ende der DDR – die Zensur völlig entfiel, ein Beweis, daß es die gesellschaftlichen Bedingungen in der DDR waren, die den Verlag überhaupt erst möglich gemacht hatten? Wie hätten ihn hochqualifizierte und engagierte Lektoren in so großer Zahl gegen den Willen eines diktatorisch handelnden Politbüros in Besitz nehmen können? Wie hätten sie gegen die allwissende Macht der Stasi unentdeckt, aber fast systematisch mit von Streichungen befreiten Texten die Zensur überlisten können? Und warum hätte die staatliche Diktatur eine weite Verbreitung von Literatur, so auch der Volk-und-Welt-Produktion, durch niedrige Buchpreise, durch ein weitgefächertes Netz von öffentlichen und Betriebsbibliotheken, durch Organisationsbezug seitens der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft und der Volksarmee sowie durch Lesungen von Autoren und Übersetzern fördern sollen? Dabei legte die Kulturpolitik der DDR auch noch Wert darauf, daß sich die Leser aus der Literatur nicht nur »Fenster zur Welt«, sondern auch »Fenster ins eigene Ich« erschlossen. Daß vieles in harten und mitunter verlustreichen Auseinandersetzungen erstritten wurde, ist nicht ungewöhnlich (noch dazu innerhalb einer für die Geschichte kurzen Zeit von vierzig Jahren und auf völlig neuer gesellschaftlicher Grundlage); da fänden sich Beispiele auch aus der Kulturszene der bürgerlich-demokratischen Bundesrepublik. Mögen sich die Proportionen erscheinender Übersetzungen deutlich zur englischsprachigen Literatur verschoben haben – unübersehbar ist, wie die »Zensur des Kapitals« (das Profitstreben) vor allem die Herausgabe von erkenntnisfördernden Büchern ungeachtet ihrer künstlerischen Qualität behindert. Von vielen derart »zensierten« Werken, für die ich – ohne eigene materielle Interessen – vergeblich Verlage zu gewinnen suchte, sei nur eins genannt, das nun doch erscheinen wird: des Kasachen Nurpeissow aus dem Stoff einer grenzüberschreitenden ökologischen Katastrophe gestalteter Roman »Die letzte Pflicht« (s . Ossietzky vom 21.9.02). Daß sich schließlich ein kleiner Verlag entschloß, ihn deutsch herauszugeben, gelang erst, als der Autor selbst Geld bereitstellte (ein Förderantrag läuft aber noch). Trotz allem empfehle ich die Ausstellung (die wohl weiterwandern soll) und das Buch, das in der Vielstimmigkeit von Äußerungen einstiger Verlagsmitarbeiter und externer Verlagspartner doch ein vielseitiges Bild vom Verlag entwirft (die »Vielstimmigkeit« im Buchganzen ist ein wichtiger Hinweis in Christel Bergers Besprechung in Ossietzky 3/2004). Übrigens verweist sogar ein im Vorwort zu »Fenster zur Welt« geäußertes Bedauern, »daß in der Bundesrepublik kein Platz für einen Verlag von völkerverbindender Kulturfunktion war, dessen Programm einen übersichtlichen Focus der gesamten Weltliteratur bot, der die Literatur Osteuropas und der Länder der Sowjetunion systematisch durch Übersetzungen erschloß, dessen besonderes Engagement den Autoren der dritten Welt galt«, unausgesprochen auf Grenzen kapitalistischer Voraussetzungen. Wenn künftige Generationen aus der Geschichte Lehren für eine neue von der Dominanz des Profitstrebens freie Gesellschaft ziehen werden, wird das Modell Volk und Welt eher zu den Positiva zählen. Es ist auch kein auf die DDR zu beschränkendes Beispiel, obgleich es – etwa beim Vergleich mit dem Moskauer Verlag für schöne Literatur – sehr DDR-spezifische, auf Erfahrungen und mentale Prägungen aus der deutschen Geschichte zurückzuführende Ursachen ein-schließt.
Erschienen in Ossietzky 13/2005 |
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