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Wir erleben, inszeniert von Simone Blattner, die psychische Ausnahmesituation der Mitglieder der Gruppe um Ulrike Meinhof, die hier Marie genannt wird (Sascha Icks). Andreas Baader ist »Der elegante Herr« (Oliver Kraushaar), Gudrun Ensslin heißt »Luise, die Junge Protestantin« (Sascha O. Soydan), eine »von der Fürsorge« ist »Frankie, das wilde Mädchen« (Sonja Riesen), und Bernward Vesper erscheint als »Wilhelm, der befangene Junge Mann« (Rainer Frank). Dann gibt es noch »Karl, den Mann in Weiß«, den ebenfalls Oliver Kraushaar spielt und der Klaus Rainer Röhl sein soll. »Christine« (Anita Iselin) ist Ulrikes Schwester, die sie nach langem Zögern bei sich aufnahm. Daß die Beteiligten auf wenige Figuren reduziert sind, ermöglicht Intimität und Intensität. Das Bühnenbild besteht nur aus ein paar beweglichen Podesten mit Sesseln darauf, nichts sonst. So kann sichtbar gemacht werden, was emotional geschieht. Wenn die Gruppenmitglieder sich alle auf einem engen Podest drängen, Baader auf dem Sessel, wird die Aggressivität, die sich entwickelt, hautnah spürbar. Es geschieht fast nichts, nur in Gesprächen, Diskussionen (über Kaufhausbrandstiftungen und Opfer, die zurückblieben), Beschwörungen, selbstquälerischen Monologen. Simone Blattner nutzt ein Stilmittel, das verfremdend und erhellend zugleich wirkt, den Sprechchor, der mal kommentiert, mal das Gesprochene rhythmisch gliedert, gelegentlich die knöcherne Sprache angelesener Marxismen ironisiert, auch in Form von Songs. Auch Pantomime deckt die Gegensätze und Widersprüche auf. Dea Lohers Sprache, die auch Sprachlosigkeit ausdrücken kann, zeigt die Verzweiflung des Sohnes (Vesper) über den Nazi-Poeten-Vater, die in den Selbstmord mündet. Rainer Frank, der »befangene Junge Mann«, steht vorn, abgegrenzt von den andern, läuft auf der Stelle. Läuft und bewegt die Arme, als wolle er fliegen, läuft ins Nichts. Christine versucht geduldig, Marie zur Umkehr zu bringen, zum Aufgeben, auch der beiden Kinder wegen. Aber wenn sie sich stellen würde – es wäre Verrat an den Genossen. Ex-Ehemann Röhl weist wie anklagend auf Ulrikes »dünne Haut über dem Schädelknochen« hin, an ihre Gehirnoperation erinnernd. Auseinandersetzungen zwischen Marie und Luise, weit voneinander entfernt auf den Podesten sitzend, münden in den Satz: »Die Zeit der langen Reden ist vorbei – jetzt, Kampf dem Leviathan.« Während sie die Flucht in den Nahen Osten antreten, bleiben die Schwester und Frankie, das Mädchen aus der Fürsorge, zurück. Eine sagt: »Bei uns ist jetzt alles – wie immer.« Das ist es, was mir die Luft zum Atmen nahm. * Hamburger Autoren-Theater-Tage. Ein anderes Gastspiel kommt aus Wien, das Burgtheater mit Handkes »Untertagblues« im Thalia-Theater. Ein – wie es im Untertitel heißt – »Stationendrama«. Stationen einer U-Bahn-Fahrt. Fahrgäste, die aus- und einsteigen, die stören, allein durch ihre Gegenwart, die Aggressionen hervorrufen durch die Enge, durch ihre Häßlichkeit. So dachte es sich Handke, und so wurde es erfolgreich in Berlin uraufgeführt. Aber das sehen wir hier nicht. Regisseurin Friederike Heller glaubt, die Zuschauer mit sich selbst konfrontieren zu müssen, das sei die Lösung. Die Bühne (Sabine Kohlstedt) besteht aus einer riesigen Spiegelwand, worin sich das Publikum anfangs sehen kann. Dann übernimmt ein »wilder Mann« (Philipp Hochmair) die Rolle des Publikum-Beschimpfers. Hier ist es ein Entertainer, der lässig, albern, frozzelnd seine Zuschauer anmacht zur Musik eines »Heimorgelorchesters« in blauen Glitzeranzügen. Ein Stationendrama ohne Stationen, eingeblendet nur Namen von Orten nah und fern. Wenn der »Wilde Mann« mit Worten um sich wirft, er trifft nicht. Ich höre was von Bomben, die Musik ist zu laut, Rauch wabert, er legt sich auf den Boden. Dann wieder Alltagsbanalitäten. Handkes Sprache bekommt hier eine unverbindliche Beliebigkeit, stößt ins Leere. Die »wilde Frau« (Bibiana Zeller) als ein Gegenpol, die von irgendwoher auftaucht, kann nichts mehr retten. Nur vielleicht dem »wilden Mann« seine Einsamkeit aufzeigen. Die Musik ist gegangen und – was ist ein Entertainer ohne Zuschauer? Plötzlich, am Schluß, werden die Spiegelwände als Illusion kenntlich gemacht, und alles ist zu sehen: der Schnürboden, die schwarzen Wände, die Realität. Was sich zwischen den Spiegeln abspielte, ist vorbeigerauscht.
Erschienen in Ossietzky 13/2005 |
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