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Der etwas Ältere, Erfahrenere hat mir auch ein bißchen von seiner damaligen Verachtung für sozialdemokratischen Opportunismus vermacht. Unvergeßlich ist mir sein Satz: »Die SPD ist um so viel schlimmer als die CDU, wie der Verrat schlimmer ist als ehrliches festes Bestehen auf den Interessen der eigenen Klasse.« Das ist lange her. Jetzt schreibt Eckhard Fuhr in Springers Welt : »Jürgen Manthey ist mit seinem Königsberg-Buch etwas Großartiges gelungen. Er hat die Stadt neu geschaffen, indem er ihre geistigen Bausteine wieder aufeinander gesetzt hat, so daß die Nachschöpfung nun herrlicher erscheint als das historische Original. Nun also haben wir, dank Jürgen Manthey, Königsberg wieder. Vielleicht haben wir es überhaupt erst jetzt.« Wir. Soll auch ich mich einbezogen fühlen? Weil ich Deutscher bin? Vielleicht kann der Autor nichts dafür, was ein einzelner Rezensent von rechts über ihn schreibt. Eher schon ist ihm anzurechnen, wie sein Verlag ihn rühmt: »Mit Jürgen Mantheys epochalem Buch kehrt Königsberg in unsere Gegenwart zurück und nimmt dort jenen Platz ein, der ihm nach dem Ende der Teilung Europas zusteht.« Hat sich die Westgrenze Rußlands geändert? Hat Putin auf Kaliningrad verzichtet? Voraussichtlich wird, wie der Verlag uns wissen läßt, Jürgen Manthey am 3. Juli gemeinsam mit Bundeskanzler Gerhard Schröder zu den Feierlichkeiten »750 Jahre Königsberg« nach Kaliningrad reisen. Da wird er dann gewiß diejenigen Bürger der Stadt wiedersehen, denen er das Buch gewidmet hat: eine Tischrunde von »Westlern«. Die Anführungszeichen in seinem Text sind nicht erklärt: Wer nennt sie Westler? Sie sich selber? Ihm gefällt, daß diese Russen sich für das Erlernen der deutschen Sprache einsetzen, und beglückt erzählt er von ihrer Reaktion auf einen Trinkspruch, den er ihnen einmal dargebracht habe: Er habe daran erinnert, daß Königsberg schon im 18. Jahrhundert kurze Zeit zu Rußland gehörte, und er habe »ironisch-melancholisch« gefragt, ob es nicht gleich russisch hätte bleiben können – was wäre der Stadt und den Bewohnern 200 Jahre später nicht alles erspart geblieben! »Die Reaktion am Tisch ließ, wenn ich freudige Zustimmung erwartet hatte, zu wünschen übrig – vielleicht angesichts der Zustände draußen: den alten Frauen am Straßenrand mit dem Bund Petersilie oder den fünf Äpfeln vor sich, deren Verkaufserlös das tägliche Stück Brot sichern soll, und daneben, gleich um die nächste Ecke, die Villen der Neuen Russen hinter hohen Mauern, bewacht von Leibwächtern mit scharfen Hunden.« Diese zuletzt zitierten vier Zeilen sind alles, was er auf den 736 Seiten seines Buches über die heutigen Zustände in Kaliningrad mitteilt. Ich erfahre also: Der Gegensatz zwischen Arm und Reich ist extrem, die Reichen herrschen hartherzig, und das ist nach Ansicht derjenigen Russen, denen er sich verbunden fühlt, typisch russisch, so daß sie sich mit gutem Grund am Westen orientieren. An Jürgen Manthey, der nach seinen konkret -Zeiten die Literaturredaktion des Hessischen Rundfunks leitete, dann vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Essen lehrte und bei Steidl wie vorher schon bei Rowohlt als Lektor arbeitete, habe ich einst auch sein feines Sprachgefühl geschätzt. Wie muß dieses Gefühl gelitten haben, da er nun in dem zitierten Satz auf das Wort angesichts zuerst richtig den Genitiv, dann den Dativ und zuletzt den Akkusativ folgen läßt. Lustig ist, daß der in Niedersachsen aufgewachsene Manthey den hannoverschen König Ernst August, der sieben Göttinger Professoren entließ, von denen zwei in Königsberg Zuflucht fanden, wiederholt Ernst Albrecht nennt, wie 150 Jahre später der niedersächsische Ministerpräsident hieß. Mir ist, wenn ich an Manthey denke, nicht nach Spott zumute, auch nicht beim Lesen dieses Buches, in das er viel Mühe und Sorgfalt gesteckt hat. Viel, aber leider nicht genug. Daß – nach liebevoller Darstellung Immanuel Kants – Johann Jacoby (s. Ossietzky 10/05: »Ein deutscher Demokrat«) als der Held der Geschichte Königsbergs erscheint, freut mich. Aber wie schnell und teilnahmslos geht Manthey über die kriegerische Germanisierung Ostpreußens hinweg, wie wenig interessieren ihn Ausbeutungsverhältnisse, wie eng richtet sich sein Blick auf die deutsche Oberschicht, wie schroff tut er den kommunistischen Widerstand gegen die Nazis ab, um dann der Königsberger SPD zu bescheinigen, sie habe sich realistisch verhalten, als sie gar keinen Widerstand leistete. »Die Staatliche Universität Kaliningrad könnte Jürgen Manthey ruhig die Ehrendoktorwürde verleihen, wenn ich es recht bedenke«, meint Kathrin Schmidt im Freitag, was als eine Aufforderung zu verstehen ist. Ich fürchte, sie hat recht: Es würde keine Unruhe aufkommen. Die Universität könnte der Aufforderung aus Deutschland folgen, ohne nennenswerte Kritik zu riskieren. Die Landsmannschaft Ostpreußen würde nach Fuhrs Hymne in der Welt gewiß nicht stören wollen. Putin würde wohl ruhig bleiben müssen. Und offenbar würde sogar der Freitag nicht opponieren. So sind heute die Macht- und Geistverhältnisse. Jürgen Manthey: »Königsberg. Geschichte einer Weltbürgerrepublik«, Carl Hanser Verlag, 736 Seiten, 29.90 €
Erschienen in Ossietzky 13/2005 |
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