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Vielleicht sollte ich den Hintergrund etwas erklären: Ein Jahr zuvor hatte der damalige Ministerpräsident Yitzhak Rabin entschieden, 415 islamische Aktivisten aus dem Land zu vertreiben. Generalstabschef Ehud Barak sagte vor Gericht aus, diese Maßnahme sei für die Sicherheit des Staates absolut notwendig. Der Oberste Gerichtshof bestätigte die Vertreibung. Die 415 Palästinenser waren mit Bussen an die Nordgrenze Israels gefahren worden, aber die Regierung in Beirut erlaubte ihnen nicht, in den Libanon deportiert zu werden. Ein ganzes Jahr lang vegetierten die Vertriebenen zwischen zwei Armeen in offener Landschaft in Zelten, dem Regen und der Kälte im Winter und der brennenden Sonne im Sommer ausgesetzt – bis ihnen schließlich die Rückkehr erlaubt wurde. Für mich war die Vertreibung eine schwere Verletzung der Menschenrechte, abgesehen davon, daß sie politisch töricht war. Deshalb schlug ich bei einem Treffen der israelischen Gruppe Peace Now vor, vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten ein Protestzelt aufzustellen. Die Führer dieser sozialdemokratisch orientierten Gruppe waren aber nicht damit einverstanden, gegen eine Entscheidung des Führers der Laborpartei zu protestieren. Einige andere Friedensarbeiter kamen jedoch überein, mit religiösen und weltlichen Führern der arabischen Gemeinden in Israel ein Zelt aufzurichten. Zusammen verbrachten wir darin 45 Tage und Nächte. An einigen Tagen fiel Schnee, und die Kälte war bitter. Beduinen aus dem Negev und Aktivisten aus arabischen Dörfern brachten uns Lebensmittel und Kohleöfchen, die Frauen in Schwarz brachten uns jeden Abend einen großen Topf voll mit heißer Suppe. Weil wir von der Haltung von Peace Now sehr enttäuscht waren, beschlossen wir, eine neue Friedensbewegung zu gründen. So kam Gush Shalom zustande. Ich war gespannt, wie sich die islamischen Aktivisten nach ihrer Rückkehr uns gegenüber verhalten würden. Ich war erfreut, als sie sich entschieden, ihre Dankbarkeit öffentlich auszudrücken: Zusammen mit meinen Freunden, den Zeltbewohnern, wurde ich zu jener Veranstaltung in Gaza eingeladen. Ich traf dort mehrere der Leute, die jetzt – nach der Ermordung von Scheich Ahmed Yassin, der damals im Gefängnis war, und Abd-al-Aziz al-Rantisi, der zu den Vertriebenen gehörte – die Hamas führen. Daran erinnerte ich mich, als ich dieser Tage hörte, Sharon wolle bei einem Treffen mit Condoleezza Rice die Amerikaner auffordern, jeden Kontakt mit Hamas-Vertretern zu meiden, die an der nächsten palästinensischen Parlamentswahl teilnehmen wollen. Regierungssprecher äußerten auch Ärger über die EU-Entscheidung, wonach es Diplomaten »unterhalb des Ranges von Botschaftern« erlaubt ist, Hamas-Vertreter zu treffen. Sharon verlangte nun die Ausschließung der Hamas von allen Kontakten, bis sie den Staat Israel anerkennt und dem Terrorismus abschwört. Außerdem verweigerte er Friedensverhandlungen, solange die Palästinensische Behörde nicht die »Infrastruktur des Terrorismus« (er meinte die Hamas) zerstört und entwaffnet habe. Auch damit weckte er Erinnerungen: Jahrelang hatten israelische Regierungen verlangt, alle Welt müsse die PLO boykottieren, bis sie die »Palästinensische National-Charta« für ungültig erklärt habe. Dieses Dokument aus den 60er Jahren rief dazu auf, den Staat Israel aufzulösen. Später nahm die PLO viele neue Resolutionen an, die der Charta widersprachen, und sie erkannte Israel an. Im Oslo-Abkommen 1993 verzichtete Yasser Arafat auf 78 Prozent des Landes Palästina, wie es bis 1948 bestanden hatte. Aber nichts half. Viele Jahre lang ritt Israels Propaganda auf der elenden Charta herum, um eine extreme anti-palästinensische Politik zu rechtfertigen, bis die Palästinenser – zum Ärger vieler Israelis – die gesamte Charta aufhob. So entstand ein Vakuum. Sharon benützt nun die Hamas, um dieses Vakuum zu füllen. Eine der farbigeren Redensarten in der englischen Sprache ist der »rote Hering«. Das ist ein geräucherter Hering, der seine rote Farbe beim Räuchern erhält und scharf riecht. Jemand, der von Hunden verfolgt wird, zieht einen roten Hering über den Weg, um die Tiere von seiner Spur abzulenken. Genau wie seine Vorgänger die Charta benützten, so benützt Sharon jetzt die Hamas, um die Aufmerksamkeit von seinen Versprechen – sofortige Auflösung der Siedlungs-»Außenposten«, Einfrieren des Siedlungsbaus und Beginn der politischen Verhandlungen mit den Palästinensern – abzulenken. Er zieht den »roten Hering« über die Roadmap. Zur Sache selbst: Ist die Teilnahme von Hamas an den Wahlen eine gute oder eine schlechte Sache, soweit es Israels Interessen betrifft? Ich sage, es ist eine gute Sache. Vor etwa 30 Jahren rief ich zu Verhandlungen mit der PLO auf, die damals als eine Terroristengang und Mörderbande betrachtet wurde. Damals prägten wir den Satz: »Frieden macht man mit Feinden«. Dasselbe gilt heute auch für die Hamas. Es besteht kein Zweifel, daß die Hamas dabei ist, bei der Parlamentswahl einen großen Stimmenanteil zu gewinnen – wie vor kurzem bei den Gemeindewahlen. Da war sie nicht deswegen erfolgreich, weil sie sich weigert, Israel anzuerkennen, sondern aus zwei anderen Gründen: Ihr Prestige hat sie durch mutigen Kampf gegen die israelische Besatzung erworben, und sie ist – im Gegensatz zu anderen Persönlichkeiten und Fraktionen – frei von Korruption. Die Palästinenser betrachten die Gewalt, die Israel gewöhnlich als »Terrorismus« bezeichnet, als legitimen Widerstand. Sie sind davon überzeugt, daß sich Israel ohne den bewaffneten Widerstand nicht für das Verlassen des Gazastreifens entschieden hätte – da Israel ihrer Überzeugung und Erfahrung nach »nur die Sprache der Gewalt versteht«. Bis jetzt kann man keine einzige Errungenschaft nennen, die sie mit anderen Mitteln erreicht hätten. Ist es Ironie des Schicksals (oder der Sieg der Torheit), daß Hamas einst mit israelischer Hilfe entstanden ist? Ebenso wie die Amerikaner die Al-Qaida Osama Bin-Ladens geschaffen hatten, damit sie in Afghanistan gegen die Sowjetarmee kämpfte, so hat Israel die islamische Bewegung in den besetzten Gebieten als Gegengewicht zur PLO gefördert. Man nahm an, fromme Muslime würden ihre Zeit mit Beten in den Moscheen zubringen und nicht eine säkulare PLO unterstützen, die damals als der Erzfeind galt. Aber als Ende 1987die 1. Intifada ausbrach, organisierten die Islamisten die HAMAS (aus Anfangsbuchstaben bestehendes Kürzel für »Islamische Widerstandsbewegung«), die schnell zur wirksamsten Untergrundkampforganisation wurde. Die israelischen Sicherheitsdienste begannen jedoch erst, gegen sie vorzugehen, nachdem ein ganzes Jahr der Intifada verstrichen war. Jetzt ist die Existenz der Hamas eine vollendete Tatsache. Sie ist tief im Volk verwurzelt, auch weil sie weit verbreitete soziale Dienste anbietet, die anfänglich von den Saudis und anderen finanziert wurden. Die Geschichte lehrt, daß solche Bewegungen dahin tendieren, sich zu mäßigen, wenn sie ins politische System integriert werden. Eine Bewegung, die Minister in der Regierung, eine Fraktion im Parlament und Bürgermeister in den Städten und Dörfern hat, ist an Stabilität interessiert. Wenn man wirklichen Frieden will, der vom ganzen palästinensischen Volk akzeptiert wird, sollte man die Integration der Hamas ins palästinensische politische System nur begrüßen. Doch wenn man den Frieden zerstören will, um möglichst viel Land der Westbank an Israel zu annektieren und die Siedlungen erhalten will – dann ist es logisch, dagegen zu sein, wie Sharon es tut. Ob Condoleezza Rice den geräucherten Hering erkannt hat? Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert
Erschienen in Ossietzky 13/2005 |
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