Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. IslamistenhatzEberhard Schultz Die Anzeige kam von einem Computer in einer öffentlichen Bibliothek. Ein palästinensischer Student wurde beschuldigt, er baue Bomben gegen Israelis. Ohne weitere Ermittlungen zu seiner Person, seiner Herkunft, seinen politischen Tätigkeiten oder seinem Umfeld genügte diese anonyme Anzeige dem Landeskriminalamt Berlin, Wochen später ein Sondereinsatzkommando in das Studentenheim zu schicken, in dem er wohnte. Die Polizisten traten die Tür ein, weckten den jungen Palästinenser mit einer Pistole am Kopf, traten ihm mit Stiefeln ins Gesicht, legten ihm stundenlang schmerzhafte Fesseln an und durchsuchten seine ganze Habe – wobei nichts Verdächtiges gefunden wurde. Eine Strafanzeige gegen die Polizeibeamten verlief im Sande, das Kammergericht lehnte es im Januar 2005 ab, eine Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen. Das Strafverfahren gegen den Studenten wegen eines Sprengstoffverbrechens aber ist nach mehr als drei Jahren immer noch nicht eingestellt, obwohl die Akte außer der anonymen Anzeige keinen einzigen belastenden Hinweis enthält. Anfang 2003 wurde die »Hochschulgruppe für Kultur und Wissenschaft« verboten, die in den Räumen des Studentenwerks Berlin eine Veranstaltung mit dem Titel »Irak – ein neuer Krieg und die Folgen« durchgeführt hatte. Wohnungen der Mitglieder dieser Hochschulgruppe wurden durchsucht, Computer und anderes Material beschlagnahmt, später aber wieder ausgehändigt. Ein Ermittlungsverfahren wurde nicht eingeleitet. Trotzdem drohte die Ausländerbehörde den Studenten unter Hinweis auf ihre frühere Mitgliedschaft in der verbotenen Gruppe mit Ausweisung oder lehnte die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung zum weiteren Studium ab. Ein in Berlin lebender Palästinenser, der gegen den Besuch des US-Präsiden-ten George W. Bush im Mai 2002 mutterseelenallein mit einer Palästinenserfahne auf dem Bürgersteig protestiert hatte, wurde von einer Polizeitruppe überfallen. Sie entriß ihm ohne irgendeine Ankündigung oder Erklärung die Fahne und zerbrach die Stange. Bei dem Versuch, die Fahne zurückzuerhalten, wurde er verletzt; unter anderem wurde ihm ein Arm gebrochen. Die Polizei hielt ihn mehrere Stunden in Gewahrsam, und die Staatsanwaltschaft leitete gegen ihn ein Strafverfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung ein. Eine Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt gegen die Polizeibeamten führte nach umfangreichen Ermittlungen im Jahre 2004 zur Anklageerhebung; bis heute hat jedoch noch keine öffentliche Hauptverhandlung stattgefunden. Die Generalstaatsanwaltschaft geht davon aus, daß der Polizeieinsatz zur Sicherstellung der Fahne und die Festnahme rechtmäßig waren. In Bremen wurde der Imam einer Moschee im Februar 2005 als angeblicher Haßprediger nach dem neuen Aufenthaltsgesetz ausgewiesen, als er gerade Familienangehörige in Ägypten besuchte. Begründung: Er habe »wiederholt scharfe Angriffe gegen die USA und Israel gerichtet und die Besucher der Moschee dazu aufgerufen, den massenhaften Widerstand in Palästina, Afghanistan, Saudi-Arabien und anderen Teilen der Welt gegen die imperialistische Politik der Bush-Scharon-Administration zu erproben...« Zur Begründung wurden angebliche Inhaltsangaben aus den Freitagsgebeten eines halben Jahres angeführt, die der Imam selbst und der Gemeindevorstand entschieden bestreiten. Im anhängigen gerichtlichen Verfahren hat sich die Bremer Innenbehörde bisher geweigert, ihre Quellen anzugeben. Vereinsverbote, Veranstaltungsverbote, Ausweisungen, Abschiebungen – all diese repressiven Entscheidungen der zuständigen Behörden und Gerichte sind schwere Verstöße gegen Grund- und Menschenrechte und mit den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates eigentlich unvereinbar. In dem einen oder anderen Fall mag es gelingen, mit Hilfe einer kritischen Öffentlichkeit Obergerichte oder Verfassungsgerichte zu einer Korrektur zu bewegen, aber das dauert regelmäßig sehr lange. Längst sind dann vollendete Tatsachen geschaffen, die sich – schon wegen der mit Hilfe der Massenmedien bewirkten öffentlichen Vorverurteilung – nicht mehr rückgängig machen lassen. Von September 2001 bis Juli 2004 registrierte der Zentralrat der Muslime in Deutschland nach Angaben seines Vorsitzenden 70 Razzien in Moscheen und 1400 Durchsuchungen in dazugehörigen Büros oder Wohnungen; nachträgliche Klagen hätten zwar meist Erfolg, wovon aber die Öffentlichkeit gewöhnlich nichts mehr erfahre. Anfang 2005 waren bundesweit 164 Ermittlungsverfahren mit »islamistisch-terroristischem Hintergrund« anhängig. In 107 dieser Fälle ließ der Generalbundesanwalt wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder wegen Unterstützung einer solchen Vereinigung ermitteln. Bis heute ist jedoch in Deutschland kein einziges Opfer eines hier verübten Terroranschlags mit »islamistischem Hintergrund« bekannt. Es gibt nicht einmal gerichtsverwertbare Beweise dafür, daß überhaupt Anschläge durchgeführt oder verhindert worden wären. Doch in den Medien wird immer wieder von spektakulären Einsätzen der Sicherheitsbehörden zur Verhinderung angeblicher islamistischer Terroranschläge berichtet. Im kürzlich vom Bundesinnenminister veröffentlichten Verfassungsschutzbericht für das vergangene Jahr ist, wie schon in den vorausgegangenen Jahren, die von »Islamisten« ausgehende Terrorgefahr als »Hauptgefahr für die innere Sicherheit« dargestellt. Kein Wunder, wenn laut Meinungsumfragen 82 Prozent der Deutschen mit Islam »Terrorismus« assoziieren. Schon vor den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte in Deutschland die Verfolgung des »Terrorismus« zu systematischer Zersetzung (Heinz Düx) verfassungsrechtlich garantierter Freiheitsrechte geführt: beschleunigte Strafverfahren, weniger strenge Voraussetzungen für den Erlaß eines Haftbefehls, Vorbeugehaft, Kronzeugenregelung, Kontaktsperre, Zulassung verdeckter Ermittler, beobachtende Fahndung, Rasterfahndung, Schleierfahndung, kleine und große Lauschangriffe, Telefonüberwachung, spezielle Überwachung von Auslandsgesprächen, Ausweisung von Ausländern auf Verdacht hin, Isolationshaft. Für den Erfolg dieser Maßnahmen gibt es keinerlei Kontrolle. Nach dem 11. 9. 01 bewirkte die weltweite Debatte über den Terrorismus starken Druck, der »internationalen Allianz gegen den Terrorismus« beizutreten und der Bush-Administration »bedingungslose Solidarität« zu versprechen. Die von der rot-grünen Regierung vorbereiteten Gesetze (die »Schily-Pakete«) wurden von den Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen zurecht abgelehnt. 17 der wichtigsten Bürgerrechtsorganisationen sprachen von einer »Demontage des Rechtsstaats«. Der Bund deutscher Kriminalbeamter stellte fest: »Mit den von Schily vorgesehenen Maßnahmen wären die Anschläge vom 11. 9. niemals verhindert worden.« Am härtesten trifft die Anti-Terror-Gesetzgebung die Ausländer. Deren Rechte in der Bundesrepublik Deutschland tendieren nunmehr gefährlich gegen Null. Das Ausländergesetz mit seinen Durchführungsverordnungen und das Asylverfahrensrecht werden verschärft, das Ausweisungsrecht ausgedehnt, die Vereinsgründung für Ausländer erschwert, das Ausländerzentralregistergesetz und die Ausländerdatenverordnung weiter ausgebaut. Die Sicherheitsorgane dürfen den gesamten Datenbestand über Ausländer jederzeit und ohne Grund in einem automatisierten Verfahren abrufen, Dateien dürfen auch an ausländische Stellen weitergegeben werden. Der 2002 beschlossene neue Strafgesetzbuch-Paragraph 129 b gibt der deutschen Justiz erstmals die Möglichkeit, die »Bildung und Beteiligung an kriminellen und terroristischen Vereinigungen im Ausland« zu bestrafen. Die Verfolgung ausländischer Organisationen setzt grenzüberschreitende Ermittlungen voraus. Das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz, jahrelang als modernes Einwanderungsgesetz angekündigt, ähnelt eher dem Fremdenpolizeirecht aus vordemokratischen Zeiten. Unter verschiedenen neuen Ausweisungsgründen ist auch der Terrorismusverdacht. Wer zum Beispiel »Terrortaten« – als solche gelten auch Anschläge auf militärische Einrichtungen der Besatzer im Irak – öffentlich billigt, kann ausgewiesen werden. Neu eingeführt wurde auch die routinemäßige Überprüfung von Asyl-Anerkennungen nach drei Jahren. Unabhängig davon gingen die Ausländerbehörden jetzt dazu über, die bereits nach dem früheren Ausländergesetz gegebene Möglichkeit zum Asyl-Widerruf in großem Maßstab anzuwenden. Zu den Antreibern gehört Generalbundesanwalt Kay Nehm. Er plädiert für verstärkte internationale Zusammenarbeit der Geheimdienste, fordert Aktionen »im Vorfeld der Gefahrenvorsorge« und bedauert, »wie sehr vermeintliche religiöse Toleranz und Fremdenfreundlichkeit sowie eine großzügige Duldungs- und Einbürgerungspraxis zu einer islamistisch-fundamentalistischen Subkultur in unserem Lande beigetragen haben«. Noch weiter geht der Bonner Rechtsprofessor Günther Jakobs, worauf Martin Lemke in Ossietzky 12/05 schon kurz hingewiesen hat. Jakobs empfiehlt zwei verschiedene Strafrechtssysteme, ein rechtsstaatliches und ein von ihm selbst ausdrücklich so genanntes »Feindstrafrecht«. Er argumentiert, die Gesellschaft werde »weiterhin Feinde haben, die – offen oder im Schafspelz – umherziehen …, deshalb besteht zu einem Feindstrafrecht keine heute ersichtliche Alternative … es handelt sich dabei um die rechtliche Regelung einer Exklusion: Feinde sind aktuell Unpersonen, auf den Begriff gebracht ist Feindstrafrecht also Krieg, dessen … Totalität (auch) davon abhängt, was vom Feind alles befürchtet wird.« Eine starke Strömung in der gegenwärtigen rechtspolitischen Debatte geht davon aus, daß bei der Terrorismusbekämpfung zwangsläufig Menschenrechte verletzt werden müssen. Für sie spricht der Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, wenn er unter anderem so argumentiert: »Soll die Rasterfahndung nun auch zum Auffinden von ›Schläfern‹ eingesetzt werden, so fehlen konkrete Anhaltspunkte der Gefährlichkeit, die Fahndung richtet sich gegen Personen, deren Existenz nur vermutet wird, es handelt sich um einen Verdachtsgewinnungseingriff weit im Vorfeld eines konkreten Verdachts… eine Diskriminierung einzelner Bevölkerungsteile – zur Zeit etwa arabischer Muslime – ist praktisch unvermeidlich.« So erleben wir, wie die Erosion der Menschenrechte in pseudowissenschaftlichen Debatten begründet wird. Schon interpretiert ein führender Kommentar zum Strafgesetzbuch in seiner Neuauflage die Folter beispielsweise zur Rettung einer Geisel als rechtfertigende Nothilfe und erteilt dem absoluten Folterverbot eine Absage. Rechtsfreie Räume wie in Guantanamo sind also auch in Deutschland nicht mehr fern. Wer wie Jakobs zwischen herkömmlichem Bürgerstrafrecht und neu zu entwerfenden »Feindstrafrecht« unterscheidet, gibt Unschuldsvermutung und Schweigerecht als Prinzipien einer rechtsstaatlichen Strafverfolgung preis – wie soll ohne Verletzung dieser Prinzipien am Beginn strafrechtlicher Ermittlungen entschieden werden, in welche Kategorie ein Beschuldigter gehört? Darüber hinaus werden das Gleichheitsprinzip und die Universalität der Menschenrechte aufgegeben. Wenn die Menschenrechte nicht mehr für alle gelten sollen, werden sie letztlich für niemanden mehr gelten. Es liegt auf der Hand, daß der »Anti-Terrorismus« darauf abzielt, jeden radikalen Widerstand, jede grundsätzliche Opposition gegen globalisierten Neoliberalismus zu liquidieren, nicht nur den angeblichen »Islamismus«, gegen den er sich heute in erster Linie richtet. Vorrangig wird der Widerstand gegen neokolonialistische Besetzung im Nahen Osten als »islamistischer Terrorismus« kriminalisiert. Unabhängig vom eigenen politischen Standort und dem eigenen Verhältnis zur Religion im allgemeinen oder dem Islam mit seinen verschiedenen Richtungen im besonderen gilt es festzuhalten: Widerstand gegen militärische Aggression und Besatzung ist völkerrechtlich legitim – auch in seiner bewaffneten Form –, solange er sich gegen militärische und paramilitärische Ziele richtet. Wenn die öffentliche Debatte darüber als »Unterstützung des Terrorismus« verfolgt wird, wie es in Deutschland schon geschieht, ist das allemal ein Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat und muß zurückgewiesen werden. Ständige Aufgabe aller Menschenrechtler aber ist es, die Universalität der Menschenrechte zu betonen und sich allen Tendenzen zu zweierlei Recht zu widersetzen: einem milden für die Täter und einem scharfen für die Opfer globaler imperialistischer Ausbeutung. Weitere Information und Quellenangaben auf der Netzseite des Autors: www.menschenrechtsanwalt.de
Erschienen in Ossietzky 13/2005 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |