Wider die Duldungsstarre: Sozialforum in Erfurt

Daniela Dahn

Stell dir vor, in Deutschland ist Wahlkampf und alle gehen zum Sozialforum. Ganz so wird es nicht werden, vom 21. bis 24. Juli in Erfurt, aber das Interesse ist zum Glück anhaltend groß. Einerseits kein Wunder, bei immer mehr »Prekären«, denen der Absturz ins Heer der Erwerbslosen droht. Wobei Heer schon insofern ein Euphemismus ist, als man sich darunter eine mehr oder weniger geschlossene Formation vorstellt, deren Aktionen koordinierbar sind, die auch jenseits bloßer Gewalt eine gewisse Kampfkraft haben. Während man ja andererseits weiß, wie der anschwellende Angstgesang die Menschen im Lande vereinzelt und verunsichert.

Es bleibt ein nicht restlos erklärtes Phänomen, in welcher Duldungsstarre die meisten Betroffenen versäumen, sich für ihre ureigensten Interessen zu engagieren.

So gesehen ist es keine Selbstverständlichkeit, daß im Sommerloch mehrere Tausend Teilnehmer über die Schwerpunkte Arbeitswelt und Menschenwürde, Globalisierung und die Rolle Deutschlands in der Welt, Menschenrechte und politische Teilhabe, Alternativen für eine lebenswerte Welt diskutieren werden.

Wegen der anhaltend zunehmenden Teilnehmerwünsche ist die Anmeldefrist bis zum 30. Juni verlängert worden.

Beim Sozialforum in Paris habe ich erlebt, wie die Veranstalter in die kommunistisch regierten Vororte gedrängt wurden. Dagegen läßt der ostdeutsche CDU-Oberbürgermeister Erfurts die Teilnehmer auf dem Domplatz ein großes Zelt aufstellen und unterstützt das Vorhaben durch die kostenlose Bereitstellung von Schulen und Campingplätzen. Einlaßkarten sind gleichzeitig Tickets im Nahverkehr. Was jedoch nicht falsch verstanden werden sollte: Auch unter der Regie dieses Oberbürgermeisters Ruge wurden Löcher ins soziale Netz gerissen. Besonders Jugendeinrichtungen bekamen das zu spüren.

Die Dialektik kennt den Widerspruch als Quelle der Entwicklung. Da die nationalen Foren Teile des Weltsozialforums sind und auf der Grundlage der Charta von Porto Alegre arbeiten, wird auch Erfurt ein pluralistischer Raum sein, in dem Vertreter von Parteien oder militärischen Organisationen unerwünscht sind. Regierungs- und Parteienvertreter können nur als Einzelpersonen eingeladen werden. Da man sich gerade in Zeiten des Wahlkampfes sittenstreng an den Grundsatz der Eigenständigkeit halten will, wird es auch keinen Dialog zwischen sozialen Bewegungen und Parteien geben. Was nicht ausschließt, daß das wie auch immer verknüpfte Linksbündnis, programmatisch der natürliche Verbündete der Teilnehmer, zu einer Veranstaltung außerhalb des Forums einlädt.

Wie kann man sich der Herrschaft des Kapitals als globale Gemeinschaft widersetzen? Auch in Erfurt wird nach den Debatten schließlich darüber zu befinden sein, wie der Spagat, »keine repräsentative Instanz der Weltzivilgesellschaft« sein zu wollen, aber eines Tages doch zu gemeinsamen Aktionen fähig zu sein, gemeistert werden kann. Wer glaubt, dies ginge ihn nichts an, er könne es sich leisten, sich da rauszuhalten, könnte den Irrtum zu spät bemerken.

Kontakt: www.sozialforum2005.de

Erschienen in Ossietzky 13/2005