Systematische Irreführung

Marja Winken

Noch immer ist unklar, wie der Coup erfolgreich zu Ende geführt werden kann. Der Bundeskamzler ist damit beschäftigt, seine Vertrauensfrage so zu arrangieren, daß ihm genug Mißtrauen ausgesprochen wird und daß sich auch Mißtrauen aus den Reihen seiner rot-grünen Koalition nachweisen läßt. Die Parteispitzen von SPD und Grünen bemühen sich derweil hastig, das Wahlvolk mit vertrauensbildenden Wahlprogrammen einzufangen – für den Fall, daß es mit dem Mißtrauensvotum klappt und im September gewählt werden kann. Und siehe da, Rote und grüne wetteifern plötzlich darin, sich als Retter der Sozialstaatlichkeit auszugeben. Lauthals fordern sie Armutsbekämpfung, zupackende Besteuerung der hohen Einkommen und großen Vermögen, Korrekturen an Hartz 4 zugunsten der Arbeitslosen und so weiter – so viel kapitalismuskritischer Eifer war lange nicht mehr. Wer nicht mitbekommen hat, daß Rot-Grün seit etlichen Jahren die Bundesregierung stellt, muß annehmen, da meldeten sich empörte Oppositionsparteien, die einen Politikwechsel erzwingen wollen – weg von der Sozialdemontage.

Die Parteiapparate von Rot und Grün sind dabei, die Wählerinnen und Wähler systematisch irrezuführen. Der Politikbetrieb wird auf eine Fälscherwerkstatt umgestellt. Und so will man verlorenes Vertrauen im Volke zurückgewinnen?

Erschienen in Ossietzky 13/2005