Verräter am Werk?

Arno Klönne

Frank Drieschner ist politischer Redakteur bei dem deutschen Wochenblatt, das die gehobenen Schichten bedient. Das Blatt hat also auch mit Leserinnen und Lesern zu rechnen, die das sogenannte rot-grüne Projekt mit Sympathie begleiteten und sich dabei irgendwie als links verstanden. Nun ist es aus mit der Schröder-Fischer-Ära, aber wer ist schuld an dem Debakel? Drieschner weiß es und teilt es auf der Titelseite seiner Zeit dem nach links hin geneigten Teil seines Publikums mit: »Verräter« haben am Vertrauensast der Agenda-2010-Politik gesägt, und jetzt kann sich Frau Merkel in ihr Fäustchen lachen.

Drieschner nennt Namen: Jürgen Peters von der IG Metall und Frank Bsirske von ver.di, denen Gregor Gysi und Oskar Lafontaine zu Hilfe geeilt sind. Und so kam es zur »Retrolinken« (ein Begriff, der gebildet klingt und von Jürgen Trittin ausgeliehen ist), einem Bündnis von »Traditionssozialisten« und »Gewerkschaftslinken«, die »auf dem Klassenstandpunkt verharren«, sich »gegen jede Veränderung sperren«, »Besitzstände wahren wollen« und »unfähig zum Kompromiß« sind. Von »Betonlinken« eben, die »das Bündnis mit den Sozialdemokraten aufgekündigt haben«. Ein Dolchstoß in den Rücken jener Politik, die Drieschner als »links« ausgibt.

Da wundert man sich denn doch. Sind die Redaktionsräume der Zeit abgedichtet gegenüber der gesellschaftlichen Realität?

Hat Drieschner nicht mitbekommen, daß die Gewerkschaftsvorstände – nicht nur der Vorstand der IG Bergbau-Chemie-Energie – sich alle Mühe gegeben haben, die rot-grüne Agenda-Politik den Mitgliedern als erträglich darzustellen? Daß sie nicht einmal den Streit um Hartz IV wirklich ausgefochten haben? Daß die Gewerkschaftsspitze darauf aus ist, eine linke Wahlalternative für nicht empfehlenswert zu erklären?

Drieschner spricht sich für eine »Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer« aus, wenn diese »Schwächeren zugute kommt«. Eine solche »linke« Politik habe die rot-grüne Koalition versucht. Aber die »Schwächeren« sind in aller Regel ArbeitnehmerInnen. Was sollten Sie sonst sein? Und immer mehr von ihnen haben, wie jüngst die umstürzende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gezeigt hat, einfach keine Lust mehr, eine SPD zu wählen, die zu ihren Lasten umverteilt.

Nein, es kommt nicht den Lohnabhängigen zugute, wenn man zu ihren Lasten umverteilt, das sagt eigentlich schon die Logik. Es kommt auch nicht speziell denjenigen Lohnabhängigen zugute, die deswegen arbeitslos sind, weil ihnen die Arbeitgeber keine Arbeit mehr geben. Sie werden immer zahlreicher, und es geht ihnen immer schlechter.

Wem also kommt die Umverteilung zugute? Dreimal darf der Zeit -Redakteur raten. Er kann aber auch zu Daten greifen, die er im Zeit -Archiv finden wird: über die Entwicklung der Löhne und der Gewinne, der Lohnsteuern und der Kapitalsteuern, der Armutsanteile und der Reichtumsanteile in der Gesellschaft der Bundesrepublik gerade in dem Zeitraum, in dem eine »Linke« regierte, die zu Drieschners Freude nicht »retro« ist.

Jürgen Peters und Frank Bsirske, aber auch Gregor Gysi und Oskar Lafontaine dürfen sich beruhigen; nicht sie waren es, die – wie der Zeit -Leitartikel es unterstellt – dem rot-grünen Projekt ein Ende gemacht haben.

Erschienen in Ossietzky 13/2005