Ausflug in ein Dorf bei Peking

Wolfgang Haible

Wir sind für zwei Tage in einen der Vororte von Peking gefahren, um zu wandern. Die dortige Tourismusmanagerin stellte uns vor die Wahl zwischen Bauernhotel und normalem Hotel. Die Preise, sagte sie, unterschieden sich nicht sehr. Sie empfahl uns aber etwas mehr das Bauernhotel, das wir dann auch nahmen.

Auf der Strecke verkehrt ein Bus. Normalerweise dürfen auf solchen langen Strecken nur Sitzplätze vergeben werden. Unser Fahrer wollte wohl dazuverdienen; das haben wir schon öfters erlebt. Kommt eine Kontrolle, steigen die überzähligen Fahrgäste vorher aus und gehen ein paar Schritte zu Fuß. Der Effekt war, daß aus einer Stunde Fahrtzeit drei Stunden wurden und der Bus beängstigend voll war.

Der Bauer, bei dem wir eine Übernachtung und Essen gebucht hatten, holte uns ab. Er entpuppte sich als der Parteisekretär des Dorfes, Vielleicht deshalb die Empfehlung. Voller Stolz zeigte er uns seinen Parteidelegiertenausweis. Um uns zu beeindrucken, fuhr er uns an einen schönen Stausee in einem streng bewachten Gebiet. Sein Ausweis wirkte Wunder. Wir erhielten überall unentgeltlich Zugang.

Dazu muß man wissen: Gibt es in Peking eine Sehenswürdigkeit, zum Beispiel den größten Wasserfall im Stadtgebiet, wird darum eine Mauer gebaut und Eintritt erhoben: 30 bis 40 RMB. Die Losung der Naturfreunde »Berg frei« ist hier unbekannt!

Unser Wirt fuhr uns überall hin, und jedesmal sagte er den Wachen, sie sollten uns umsonst einlassen. Findig, wie er war, durfte er auch dort fischen, wo es allen anderen verboten war, und die Fische für seine Gäste zubereiten. Die Fische werden mit Strom benommen gemacht und dann herausgefischt.

Auf einer unserer Wanderungen kamen wir an einem Stand vorbei, an dem man mit einer Art Armbrust kleine gelbe Pfeile auf die dicken Fische in einem Tümpel schießen konnte. Ein Fisch lag schon erschossen am Grund. Tierliebe schützt hier vorläufig keinen Hund davor, in der Pfanne zu enden.

An einem Berg mit vielen Wasserfällen sind auf etlichen Stufen kleine Stauseen oder -becken entstanden, richtiger gesagt: Tümpel, zwischen fünf und fünfzehn Meter im Durchmesser. Dort kann man Schlauchboot fahren! Damit die Schlauchbootfahrer nicht verloren gehen, werden sie an Leinen gehalten, die an den Booten befestigt sind. Wie ich sie dort angeleint sitzen und paddeln sehe wie einst in der Badewanne, kommt mit dieser Anblick wie ein Sinnbild chinesischer Freiheit vor.

Oder chinesischer Fürsorge.

An jedem Wasserfall stehen Wächter, die verhindern, daß jemand ins Wasser geht, was bei der Hitze eine große Verlockung ist. Schilder verstellen den Weg, wo es ins weitere (unbekannte) Land geht.

Das Hotel ist sehr schlicht. Keine Handtücher. Bettwäsche wird wohl nicht immer gewechselt. Das Essen aber ist gut und reichlich. Der Parteibauer hat schon ein paar Angestellte; er ist Klein-Kapitalist geworden. Den Berg hinterm Haus hat er für 25 Jahre gepachtet.

Abends gibt es das bei Chinesen zu jeder Jahreszeit beliebte Feuerwerk.

Zurück fahren wir mit dem Zug; Studenten und Ausflügler wie wir füllen ihn. Mit großem Glück bekommen wir sogar Sitzplätze. Beim Einsteigen in Busse oder Züge schockiert es mich immer wieder, wie hemmungs- und rücksichtslos es dabei zugeht.

Die Verkehrsregeln gelten nicht für alle; das sieht man in Peking deutlich. Die roten Ampeln galten auch für unseren Parteisekretär am Stadtrand nicht. Die Partei wird die Macht nicht teilen und nicht abgeben. Wie groß die Angst vor dem Volk, zum Beispiel vor den Studierenden ist, hat man bei den verbotenen Anti-Japan-Demonstrationen erlebt. Wovor hatte man Angst? Daß sich die Demos gegen die Politik der Partei wenden könnten.

Erschienen in Ossietzky 12/2005