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Punkt 2: Wenn er einmal nicht recht hat, tritt Punkt 1 in Kraft.« Es kam auch vor, daß Blätter von einem Tag auf den anderen eingestellt wurden. Im Kollegenkreise wurde jedesmal behauptet, der Besitzer habe das Blatt lediglich zu dem Zweck gegründet, unsauberes Geld zu waschen und danach die Finanzierung sofort zu beenden. Während dieser zumeist unfreiwilligen Wanderungen habe ich mehrere Chef-redakteure erlebt: angemessen vorsichtige, von ihrem Beruf besessene und gleichgültige. Einen von ihnen werde ich nie vergessen. Immer forderte er die Mitarbeiter streng auf, kritisch und couragiert zu schreiben – aber bitte so, daß wir dafür ein dickes Lob vom Kreml bekämen. Rußlandexperten im Westen setzen sich unaufhörlich damit auseinander, ob es bei uns Pressefreiheit gibt oder nicht. Als Alt-Profi möchte ich diese Frage mit jein beantworten. Beginnen wir mit dem Fernsehen: Im Zeitalter miserabler Löhne und Renten bleibt dieses Medium neben dem Rundfunk die Hauptinformationsquelle. Zeitungen zu abonnieren, können sich nicht viele Russen leisten. Die Monatsgebühren für den Zugang zum Internet sind auch ziemlich hoch. Stimmt es, daß der Staat die wichtigsten Fernsehprogramme seiner Kontrolle unterworfen hat? Nicht ganz. In den Nachtstunden werden die Kommentatoren mutiger, und über die Obrigkeit werden durchaus unangenehme Dinge berichtet. Zur normalen Sendezeit schrecken die Kollegen nicht davor zurück, Regierungsmitglieder und Duma-Abgeordnete dadurch ins richtige Licht zu rücken, daß sie einfach deren dümmliche, gegen das Allgemeinwohl gerichtete Äußerungen zitieren und über ihre Taten berichten. Es gibt sogar kritische Sendungen am Wochenende. Als die radikalste gilt Der Augenblick der Wahrheit , die ausufernde Korruption, Behördenwillkür und wirtschaftliche Stagnation anprangert. Meine Bekannten mögen sie nicht mehr sehen. Sie sagen, nach all diesen Bildern der Aussichtslosigkeit bleibe einem nur noch, sich aufzuhängen. Von wirklich oppositionellen Medien, die womöglich auch Einfluß hätten, kann nicht die Rede sein. Die Redakteure kennen sehr gut die Grenzen, bis zu denen sie mit ihrer Kritik gehen dürfen. Der Chefredakteur des relativ unabhängigen Senders Moskauer Echo , Alexej Wenidiktow, beschwerte sich über Selbstzensur, die unter den Mitarbeitern verbreitet sei: »Ich frage einen, warum er dies oder das nicht kommentiert hat, und höre die Antwort: wegen eventueller Probleme mit der präsidialen Administration«. Ein stattliches, maßgebliches Aktienpaket des Echo gehört dem Gasprom-Konzern. Nach Wenidiktows Angaben mischt sich der Konzern nicht direkt in die redaktionelle Arbeit ein. Aber leitende »Gasprom«-Herren rufen gelegentlich an und mahnen – nicht laut, eher scherzend – zur Mäßigung. Viel trister geht es in der Provinz zu. Die dortigen Medien, mit sichtbaren und unsichtbaren Fäden an die örtliche Exekutive gebunden, erinnern an Jonathan Swifts Gulliver. Der Mietvertrag, die Druckerei, die Aufsichtsbehörden, die einen immerzu plagen und gar auf die Anklagebank bringen können, sind wirksame Mittel, Medien zum Gehorsam zu erziehen. Ein jüngstes Beispiel dafür: In der baschkirischen Stadt Blagoweschtschensk wurden die Journalisten der oppositionellen Zeitung Der Spiegel aus dem Redaktionsgebäude, das sich unter amtlicher Verwaltung befindet, rausgeworfen. Warum? Sie hatten polizeiliche Willkür entlarvt. In der kleinen Stadt eine andere Stelle zu finden, ist unmöglich. Abhängigkeit von Oligarchen ist nicht besser als Abhängigkeit von Behörden. Die Milliardäre brauchen die Presse entweder zur Geldwäsche oder zum Zweck politischer Einflußnahme. Mein einstiger Kollege Boris Resnik, der heute der Duma angehört, setzt sich unermüdlich für allgemein verbindliche Verträge ein, die den Eigentümern strikt jeden Einfluß auf die redaktionelle Arbeit verwehren sollen. Noch wichtiger scheint es mir, für finanzielle Unabhängigkeit der Medien zu sorgen. Die Presse müßte von der Mehrwertsteuer befreit werden, andere Steuersätze wären radikal zu senken. Die Versandkosten sind heute doppelt so hoch wie die Produktionskosten einer Zeitung – und die Post gehört dem Staat. Die Papierproduktion befindet sich fast zu 100 Prozent in den Händen ausländischer Unternehmer. Sie erwerben das russische Holz zu günstigen Inlandspreisen, die ebenso reguliert sind wie die Strom- oder Wassertarife; sie führen das Papier aus und bieten es dann oft noch teurer als zum Weltmarktpreis an. Wo bleibt da der regulierende Staat, fragt der Parlamentarier. Er hat neue Gesetzentwürfe erarbeitet, die den Medien helfen sollen. Wird er sie durchbringen? Wenn ja, wann? Und wie werden sich die Entwürfe auf dem Wege durch die parlamentarischen Gremien verändern? Werden sie am Ende stark lädiert sein? Wer weiß.
Erschienen in Ossietzky 12/2005 |
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