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Ihn treibt das Unrecht um, das dem ehemals reichsten Mann Rußlands, dem Ex-Chef des früher größten russischen Öl-Konzerns, Michail Chodorkowski, widerfahren ist, der jetzt in Moskau wegen Betruges, Unterschlagung und Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe zu neun Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. Lambsdorff, als verurteilter Steuerbetrüger und Geldwäscher in diesem Metier bestens bewandert, sieht in dem Prozeß »eine Verletzung internationalen und russischen Rechtes« und unter Berufung auf eine Entschließung des Europarates einen »Verstoß gegen Menschenrechte« sowie eben einen »himmelschreienden Skandal, wo jeder, der einigermaßen rechtens denkt, sagen muß, so geht das nicht«. Der Graf steht mit seiner Meinung nicht allein. Rechtensdenkende gibt es zur Genüge. Die Grünenchefin Claudia Roth nannte das Verfahren einen »politischen Schauprozeß«, und Gernot Erler, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, sprach von einem »politischen Exempel«. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedbert Pflüger, bezeichnete den Prozeß gegen Chodorkowski als »Willkür« und forderte den Bundeskanzler gleich auf, die deutsche Rußland-Politik zu überprüfen. Nicht fehlen durfte schließlich auch der bekannte überseeische Menschenrechtsexperte George W. Bush, der gegenüber dem russischen Präsidenten Putin umgehend seine Besorgnis über das Urteil äußerte. So drängt sich denn eine weitere Frage auf, nämlich die nach dem Grund der Erschütterung über den Prozeß und das Urteil gegen Chodorkowski, der es nach Gorbatschows siegreicher Perestrojka in der Jelzin-Ära in wenigen Jahren vom Funktionär des Kommunistischen Jugendverbandes (Komsomol) zum Multimilliardär gebracht hatte. Sind die Erregten wirklich der Auffassung, daß bei dieser Bereicherung alles rechtens zugegangen ist? Auf die von Präsident Putin gestellte Frage »Wie kann in einer normalen Wirtschaft jemand, der das Gesetz achtet, in fünf oder sechs Jahren sechs bis sieben Milliarden Dollar verdienen?« kann es keine Antwort geben, die Chodorkowski als Unschuldslamm erscheinen ließe. Befürchten die deutschen und US-amerikanischen Fürsprecher Chodor- kowskis vielleicht, daß mit seiner Verurteilung und der faktischen Verstaatlichung seines Öl-Imperiums Rußland schrittweise zum Staatssozialismus zurückkehrt? Das schon eher, zumindest lassen die Überlegungen des Grafen, er hat sie übrigens in einem Interview mit dem Deutschlandradio angestellt, auf solche Befürchtungen schließen. Er meinte: »Es gibt auch Stimmen aus der deutschen Industrie und aus der deutschen Wirtschaft, die den Prozeß gegen Chodorkowski mit Besorgnis verfolgen. Es geht ja hier nicht nur um eine politische Auseinandersetzung. Es geht auch um die Renationalisierung von Rohstoffen, in diesem Falle von Öl...Von Privatisierungen will man abrücken. Man will Privatisierungen zurückdrehen.« Doch die besorgten Advokaten des Kapitalismus kann man beruhigen: Derzeit gibt es in Rußland keinerlei Anzeichen dafür, daß die im Kreml Regierenden eine Rückkehr in die realsozialistische Vergangenheit ansteuern. Das Milliardenvermögen nicht weniger Superreicher bleibt unangetastet, und einige Oligarchen genießen weiterhin die Gunst des Präsidenten. Allerdings wurden ihnen mit dem scharfen Vorgehen der Justiz gegen den Ex-Jukos-Chef noch einmal zwei wichtige Signale gegeben: Wirtschaftet weiter nach den Gesetzen der »freien Marktwirtschaft«, aber mischt Euch nicht in die Politik ein! Und beachtet die Interessen des russischen Staates, verhaltet Euch patriotisch! Diese Vorschriften zum Wohlverhalten hatte Chodorkowski mißachtet. Mit Skrupellosigkeit und amerikanischen Krediten zu seinem Riesenvermögen gelangt, wollte er 2003 Teile des Jukos-Konzerns an die US-Firmen Exxon Mobil und Chevron Texaco verkaufen, also den Kern der nationalen russischen Erdöl-Industrie an das US-amerikanische Kapital ausliefern. Er machte sich so zum Handlanger des US-Imperialismus, dessen Ziel es war, nach dem Vordringen in die erdölreichen Zonen der ehemaligen Sowjetrepubliken am Kaspischen Meer nun auch einen beträchtlichen Teil der Erdölförderung in Rußland unter seine Kontrolle zu bringen. Mit diesem Griff nach den strategischen Reserven Rußlands wurde der Bogen überspannt, und der sonst aus allgemeiner ökonomischer Schwäche gegenüber den USA so aufgeschlossene und nachgiebige Putin sah sich zum Handeln gezwungen. Zerschlagen wurde nicht nur der Jukos-Konzern, sondern auch diese Komponente der geostrategischen Pläne Washingtons. So ist die von Bush geäußerte Besorgnis der USA über die Verurteilung Chodorkowskis, dem sie ihre Spitzenadvokaten an die Seite gestellt hatten, nur allzu verständlich. Verständlich ist auch der heilige Zorn des Grafen. Immerhin war er Berater einer Bankgruppe, die dem Ölkonzern Jukos bis zu dessen Zerschlagung zur Seite stand. Nun hat er ein schönes Nebeneinkommen, mit dem er seine kärglichen Pensionen und Dividenden aufbessern konnte, verloren. Wahrlich »ein himmelschreiender Skandal«.
Erschienen in Ossietzky 12/2005 |
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