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Das französische und holländische Nein zu einer europäischen »Verfassung«, die den weiteren Abbau der Arbeitsgesellschaft und ihrer sozialen Errungenschaften auch noch zum verpflichtenden Programm für die Zukunft machen will, ist der jüngste, vermutlich folgenreichste Ausdruck des verbreiteten Unbehagens. Was allerdings europaweit fehlt, sind überzeugende Alternativen, die dieses Unbehagen politisch umsetzen und dem herrschenden Trend entgegenwirken können: Es fehlen sowohl praktikable linke Konzeptionen als auch die entsprechenden Politiker. Die Kluft zwischen den Erwartungen der Wähler und dem parteipolitisch-parlamentarischen Geschehen ist in den letzten Jahren immer tiefer geworden, wie steigende Wahlenthaltung und das Erstarken populistischer Kräfte gezeigt haben. In Italien scheinen sich neue Perspektiven zu öffnen. Die Mitte-Links-Opposition erlebte bei den fast landesweiten Regional- und Kommunalwahlen Anfang April einen unerwartet großen, beispiellosen Aufschwung. Fast überall siegten ihre Kandidaten im ersten Wahlgang; selbst Berlusconi konnte die politische Niederlage seiner Koalition nicht schönreden. Weit entfernt davon, aus dem regionalen Desaster politische Konsequenzen à la Schröder zu ziehen, muß er sich nun den Machtkämpfen im eigenen Lager stellen, wo das Ende der Ära Ber- lusconi und eine neue Weichenstellung in Richtung Mitte ausgehandelt wird. Die Legislaturperiode will man allerdings noch bis 2006 weiterlaufen lassen. Auch die Opposition fordert nicht nachdrücklich die vorzeitige Parlamentswahl. Sie ruft nach wirksamen Maßnahmen, die dem ökonomischen wie sozialen Verfall des Landes endlich Einhalt gebieten sollen, der von eben dieser Regierung wesentlich verursacht ist. Das ist ungefähr so, als erwartete man – um ein Bild von Tucholsky zu verwenden – von einem Apfelbaum, er möge Birnen tragen. Die Strukturschwäche der italienischen Industrie, deren Gründe weit zurückreichen, hat den Folgen globaler und nationaler Deregulierung nicht standgehalten, die rigiden Regeln des Euro-Systems machen das für alle spürbar. Bei vielen Italienern hält sich allerdings die Meinung, der Euro habe ihr Land bisher vor argentinischen Verhältnissen bewahrt. Die jüngsten Einschätzungen des Industriellenverbands Confindustria wie auch des Staatsbankpräsidenten, dessen Glaubwürdigkeit gleich hinter der des Papstes rangiert, bestätigen die längst kursierende Diagnose: Rezession. Der Anteil Italiens am Welthandel ist in den letzen zehn Jahren von 4,7 auf 2,9 Prozent gesunken; die industrielle Produktion ging zwischen 2000 und 2004 um 3,8 Prozent zurück, während sie in Deutschland um 2,6 und in Frankreich um 1,2 Prozent zunahm. Es bedurfte nicht erst der Statistik, um den Menschen die Folgen der skrupellosen Umverteilungspolitik der jetzigen Regierung vor Augen zu führen: Die lohnabhängige Mehrheit der Bevölkerung hat zum großen Teil Einbußen hinnehmen müssen, die längst ans Eingemachte gehen. Es wächst die Zahl der Familien, die in der vierten Woche des Monats, wenn nicht schon früher, kaum noch Geld haben, um Lebensmittel kaufen zu können. Supermärkte bieten neuerdings die Möglichkeit der Ratenzahlung an. Mehr als zehn Millionen Italienern steht das Wasser bis zum Halse, und immer weitere Teile des Mittelstandes werden in Mitleidenschaft gezogen. Ihnen stehen als Gewinner jene Schichten der Selbständigen gegenüber, die ihre Einkünfte und Erträge, wenn überhaupt, nur in geringem Maße versteuern und ihre Überschüsse – seit den Börseneinbrüchen und der Euro-Einführung – vorwiegend in Immobilien stecken, was landesweit zu extremer Verteuerung von Wohnraum geführt hat. Neben den Geschäften der Großbanken, die daran beteiligt sind, ist die Immobilienspekulation der einzige Sektor, der boomt. Berlusconis Steuerreduzierungen entlasten die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen entweder gar nicht oder erweisen sich als Bumerang, der mit erhöhten lokalen und regionalen Abgaben und Gebühren zurückschnellt. Nun sollte man meinen, daß das breite, soeben von der Wählerbasis großzügig bestätigte Oppositionsbündnis, das nochmals unter der Führung von Romano Prodi antreten soll, der Berlusconi schon einmal besiegt hat, mit nichts anderem beschäftigt sei, als das politische und ökonomische Programm auszuarbeiten, von dessen Verwirklichung sich seine Anhänger den entscheidenden Umschwung erhoffen. Doch weder suchen die Parteien den Kontakt zur Basis, noch debattieren sie miteinander über neue Ziele und Inhalte. Gesellschaftliche Widersprüche, Bedürfnisse und Ungleichzeitigkeiten, die neuer Denk- und Handlungsansätze bedürfen, bleiben unerörtert. Dazu gehört die Steuerhinterziehung, die ein solches Ausmaß angenommen hat, daß dem Fiskus rund ein Drittel der Steuereinnahmen, auf die er Anspruch hat, entgeht. Wie soll der Staat dagegen vorgehen? Welche Maßnahmen zur sozialpolitischen Umverteilung von oben nach unten soll er ergreifen? Mit welchen ökonomischen Initiativen könnte er die Folgen der um sich greifenden Deindustrialisierung in weiten Regionen auffangen? Auf solche Fragen entwickelt das immer noch lockere Parteienbündnis – dessen neuer Name »Unione« mehr Hoffung als Realität ausdrückt – keine gemeinsamen Antworten. Stattdessen zerstreitet es sich derzeit gerade über Nebensächliches, zum Beispiel darüber, ob die letzten 25 Prozent der Wahlkreise gemäß dem alten Verhältniswahlrecht nach Einheitslisten (Prodi) oder Parteilisten (Rutelli) vergeben werden sollen. Dabei geht es jedoch um mehr als persönliche Machtkämpfe zwischen Francesco Rutelli, dem Führer der stärker in der Mitte verankerten »Margherita«, und Romano Prodi, dem Repräsentanten des etwas weiter links wachsenden »Ulivo«. Die Hauptfrage ist, wie sich die zukünftige Regierungspolitik der »Unione« ausrichten soll: zur Mitte hin oder eher nach links. Dabei spekuliert man, wie man bisherige Berlusconi-Wähler gewinnen und die vielen Nichtwähler einbeziehen kann. Dahinter zeichnen sich Differenzen zwischen Teilen der »Unione« in allen wesentlichen wirtschafts- und außenpolitischen Fragen ab: Arbeitsgesetzgebung, Immigration, Kriegseinsatz bis hin zum Gesetz über die künstliche Zeugung. Die ausgeprägte Differenzierung der politischen Interessen – in der Opposition wie in der Regierungskoalition – ist immer noch in den strukturellen Unterschieden der italienischen Gesellschaft begründet, die nie ähnlich der deutschen vereinheitlicht wurde und die ihr jahrzehntelanges politisches Zentrum, eine kompromißfähige christdemokratische Partei, verloren hat. Das Anfang der neunziger Jahre eingeführte Mehrheitswahlsystem, von dem man sich erhoffte, daß es zu einem »Bipolarismus« führen werde, erwies sich unter diesen Umständen als untauglich: Die Zahl der Parteien hat sich nicht verringert – ganz im Gegenteil. Zugenommen hat der Zwang, politisch unvereinbare Positionen unter einen Hut zu bringen; er scheint heute unausweichlich. Die Berlusconi-Koalition konnte den Gefahren interner Zerreißproben nur durch Erpressung oder Unterordnung der Minderheiten unter die ökonomische Übermacht des Konzern- und Regierungschefs begegnen – doch auch diese Methode ist an Grenzen gestossen. Ein glaubwürdiges Mitte-Links-Bündnis muß demokratische Spielregeln wieder stärken und darf nicht der Gefahr erliegen, den Berlusconismus »soft« weiterzuführen. Politische Klärungen dürfen nicht länger unterbleiben. Sonst wird man es nicht schaffen, die Regierung im nächsten Jahr abzulösen und dann selber zu regieren. Der zerspaltenen Linken kommt damit gegenüber ihren Koalitionspartnern noch einmal eine entscheidende Aufgabe zu, die auch aus den Referenden in Frankreich und den Niederlanden hergeleitet werden kann: endlich ihre Politik an den Bedürfnissen der Basis, der Mehrheit der Lohnabhängigen, zu orientieren, deren politisches Potential sich gerade in Italien in vielen verschiedenen außerparlamentarischen Bewegungen artikuliert.
Erschienen in Ossietzky 12/2005 |
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