Gerd geht

Martin Petersen

Gerd geht! Und wer ist schuld? Natürlich, wie immer: die Linken. »Wie Schröder einem Putsch seiner Partei zuvorkam«, stand bald schon auf dem Spiegel . Im Heft prangten Fahndungsfotos von diesen miesen SPD-Linken – es gibt ihrer noch sechs! Die hatten sich Sprengstoffgürtel, Handgranaten und Maschinengewehre besorgt – ach nein, die Putschisten hatten einen Brief entworfen, den sie dann lieber doch nicht abschickten. In diesem angeblichen Schriftstück, das der Spiegel aus irgendeinem Mülleimer gezogen haben will, soll tatsächlich verlangt worden sein: »Der anhaltende Vertrauensverlust [...] kann nicht länger mit Durchhalteparolen beantwortet werden. Die Bundesregierung und die SPD müssen stattdessen gemeinsam den Mut aufbringen, ihre Politik einer Inventur zu unterziehen.« Klare Sache: Putsch! Knallharte Forderungen, über begangene Fehler nachzudenken – so darf sich ein Staatsmann von Schröders Format erpressen lassen! Da hatte Gerd keine Wahl mehr. Also: Neuwahlen, Linke raus, weitermachen! Komisch nur, daß Gerd mit der Agenda 2010 in den Wahlkampf zieht. Damit wird er höchstens noch Arbeitgeberpräsident! Vielleicht sucht er ja, in der Tradition deutscher Führer, sein Heil im Untergang.

Er war beliebt bei allzu vielen. Staatsmännisch stellt er sich zur Schau. Ein Ziel nur blieb von seinen Zielen: die Macht. Sie macht ihn gnadenlos und grau. Aber als alles anfing, sah unsere Zukunft noch rosig, ja rot angehaucht aus. Und ich gestehe: Auch ich habe ihn gewählt! Wider besseres Wissen – die Zukunft stand ja schon lange vorher im Ossietzky . Ich ließ mich anstecken vom Richtungswechsel-Wahn, ich hoffte auf einen roten Sozialstaat und grünen Pazifismus. Dann mobbten sie Oskar raus, griffen Serbien an, entschädigten Zwangsarbeiter und Arisierungsopfer mit einem Taschengeld. Den Sozialstaat verurteilten sie zu einem langsamen Tod, den sie hämisch »Reformen« nannten. Heute zeigt sich, daß Gerd der Helmut Schmidt der Jahrtausendwende war: Er sollte lediglich den Weg für Kohl ebnen. Also für Angie. Und die droht: »Ich will Deutschland dienen.« Soll heißen: Sie wird den Karren erst so richtig tief in den neoliberalen Dreck reinfahren. Und wir müssen alle mitfahren!

Gerd war angetreten mit dem Satz: »Wir werden nicht alles anders machen, aber vieles besser.« Er tritt ab mit dem Satz: »Diese Partei ist nicht regierungsfähig.« Leider, Gerd, ist sie es doch. Wenn sie könnte, würde sie noch heute zur Großen Koalition überlaufen. Aber auf ihre mickrigen Prozentpunkte ist Angie dank Deiner Politik nicht angewiesen.

Gerd geht – Angie kommt? Eigentlich ist doch egal, wer das Abrißunternehmen BRD weiterführt. Die mediale Aufregung um Neuwahlen soll lediglich Interesse an einem schlechten Produkt erzeugen: Politik ohne Alternative. Eine erfreuliche Wendung gibt es aber doch: Die Grünen, die längst alle ihre Ideale im Meer des Opportunismus versenkt haben, saufen in selbigem ab. Und wenn Fischer sich zum Strich in der Landschaft hungert – Rot-Grün geht unter. Helmut Kohl wußte schon, warum er damals, am Abend seiner Abwahl, so ausgelassen, ja fast schon triumphal, lachte.

Erschienen in Ossietzky 12/2005