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Gleich der Beginn macht deutlich, worum es ihm geht. Die Wormser Fünfer-Riege in schwarzen Anzügen und weißen Hemden baut sich an der Rampe auf und fordert im Chor: »Männer reißt euch zusammen, auf euch ruht das ganze System!« Erinnerungen an Einar Schleef weckt auch ein Chor von 14 durch die T-Shirt-Aufschrift »Siegfried« als Klone des Drachentöters ausgewiesenen Burschen, die den Prolog bekräftigen: »Männer! Dies ist keine Zeit für Schwäche!« Der eigentliche Siegfried (Oliver Mallison) ist kein kraftstrotzender Recke, den unter seiner Tarnkappe errungenen Sieg im Wettkampf mit Brunhild (Julia Jentsch) würde man ihm fast nicht zutrauen. Ute (Hildegard Schmahl) beschreibt das im Stil einer Radio-Sportreportage. Überhaupt ist das Drama mit ganz unhebbelscher Alltagssprache in die Gegenwart geholt. Volker, der Spielmann, begleitet es, indem er durch Knopfdruck an der Bühnenwand Rockmusik und Schnulzen abruft. Gunter bringt Brunhild wie ein geschnürtes Paket an seinen Hof in Worms, wo Mutter Ute sie dann zu einem Hausweibchen in rosa Kleid-chen zurichtet. Eine poetische Note in die von Gegensätzen lebende Inszenierung bringt die Hochzeitsnacht von Siegfried und Kriemhild (Wiebke Puls) durch beider akrobatische Tollerei mit einem großen weißen Ballon. In dem am schwierigsten zu illustrierenden Schlußakt von »Kriemhilds Rache« mit der Metzelei am Hof des Hunnenkönigs hilft man sich mit kommentierenden Prosatexten, bis sich die obere Bühne senkt und Leichen nebst Geschirr herabrollen. Ein nie langweilender fast sechsstündiger Abend. Das vom Bundespräsidenten bei der Schiller-Feier problematisierte Regietheater – hier war es gelungen. Kriegenburgs Inszenierung bekam den 3sat-Theaterpreis, Wiebke Puls den Alfred-Kerr-Darstellerpreis. Ein weiteres positives Beispiel, Andrea Breths Wiener Burgtheater-Inszenierung des »Don Carlos«, die Werktreue und äußerliche Modernität verbindet, konnte leider nicht gezeigt werden, weil bei keiner Berliner Bühne die erforderliche Technik vorhanden war. Andere Beispiele von Regietheater, die beim Theatertreffen zu besichtigen waren, überzeugten weit weniger. Die Rolle der Frau in einer Männerwelt war Thema mehrerer Beiträge, variiert auch in Wedekinds »Lulu«. In der Inszenierung des Hamburger Thalia-Theaters ist sie in die Hände von Michael Thalheimer gefallen, bekannt für seine Klassikerreduzierungen auf Digest-Format. Peter Zadek hatte in seiner legendären Inszenierung von 1988 die von Wedekind zweigeteilte »Monstertragödie« in fünf Stunden auf die Bühne gebracht. Bei Thalheimer bleiben knappe zwei Stunden übrig. Die Lulu der wunderbaren Fritzi Haberlandt ist hier kein männermordendes Urweib, sondern eher ein kindlich naives Opfer. Vor gleichbleibend weißem Hintergrund der kahlen Bühne als klinische Sezierkulisse tritt sie anfangs in der Pose eines Models auf, Karrieretraum vieler heutiger Mädchen. Die sie begehrenden und an ihr zugrundegehenden Männer wirken eher lächerlich, wenn sie jeder vor ihr die Hosen runterlassen, aber mangels Viagra-Unterstützung ihre Triebabfuhr nicht beglaubigen können. Skandalträchtig ist solche Drastik heute nicht mehr. Seit Zensur und Staatsanwälte gegen das Stück mobilmachten, sind schließlich hundert Jahre vergangen. Berühren kann erst die letzte Szene, wenn Lulu, zur Prostitution heruntergekommen und damit ihren Vater und Alwa in der trostlosen Londoner Absteige ernährend, als liebebedürftiges verzweifeltes Geschöpf, nur noch von der hoffnungslos anhänglichen Geschwitz bis zuletzt begleitet, schließlich von Jack the Ripper ins Jenseits befördert wird. Da erst entsteht aus der enthistorisierenden Regiekonzeption zeitlos überzeugendes Theater. Wieder aus Hamburg, diesmal vom Schauspielhaus: Shakespeares »Othello«, von Stefan Pucher zum Pop-Thriller hergerichtet. Eigentlich müßte das Stück hier »Jago« heißen. Wolfram Koch im Nadelstreifenanzug ist als die Fäden ziehender, kühl intellektuell überlegener, machtbewußter Intrigant die Zentralfigur der Inszenierung, die eine Mixtur aus Video, Musik und Tanz bietet. Othello (Alexander Scheer), unter Zottelhaar schwarz mit grellrotem Mund geschminkt, kommt daher wie ein Bimbo aus einer Minstrelshow; den wohlfeilen Vorwurf »rassistisch« erspare ich mir. Desdemona (Jana Schulz) erinnert anfangs in weißer Bluse und schwarzem Schlips an eine BDM-Göre und mutiert dann mit aufgestecktem Blondhaar zu einem Hollywood-Diva-Verschnitt aus den dreißiger Jahren. Auf Zypern erscheinen Othello und andere in US-Army-Look. Cassio wird von Jago Michael die Cassio genannt – ein billiger Wortwitz mit Leonardo DiCaprio. Den Michael liefert Othello nach, wenn er zuletzt, als hätte er nicht eben Desdemona nach lustloser Pornoakrobatik erwürgt, im Goldglitzer-Kostüm á la Michael Jackson singend über die Bühne tänzelt. Mit einem Pucher nicht genug, hatte man auch seine völlig überflüssige Adaption von Max Frischs »Homo Faber« auf eine Berliner Bühne gebracht, wo einen nur eine kurze Reich-Ranicki-Imitation der Langeweile enthob. Gelungener eine andere der in Mode gekommenen Romanübertragungen, ebenfalls aus Zürich importiert, diesmal vom holländischen Regiestar Johan Simons inszeniert: Michel Houellebecqs »Elementarteilchen«. Ende der Neunziger avancierte der Franzose zum Bestseller-Autor, wohl nicht zuletzt seiner reichlichen Sexzutaten wegen. Auch mit seiner 68er-Denunziation lag er im Trend. Im Stück wird sie auf die Mutter zweier von ihr abgeschobener ungleicher Brüder projiziert, die nebst ihren Beziehungspartnern ihre Biographien rekapitulieren. Auf jegliche äußerliche Mätzchen verzichtend, ist das nur aufs Wort konzentriert, von ausgezeichneten Schauspielern auf eine kahle Arenabühne gebracht und fand zu Recht stürmischen Beifall. Schauspielertheater bietet auch Jossi Wielers Inszenierung von Paul Claudels »Mittagswende« an den Münchner Kammerspielen. Nur durch die Qualität der Interpreten wird dieses autobiographisch beeinflußte frühe Stück des katholischen Mystikers über eine Frau zwischen drei Männern erträglich. Und immerhin reduzierte der Regisseur viel religiösen Schwulst. Einen Tiefpunkt erreichte das Theatertreffen mit »Hotel Paraiso«, einem Stück von Lutz Hübner, Deutschlands meistgespieltem zeitgenössischen Dramatiker. Barbara Bürk hatte es in Hannover als überdrehte Familienurlaubsklamotte inszeniert. In der von mir besuchten Berliner Aufführung stimmte etwa ein Drittel der Zuschauer mit den Füßen ab und verließ das Theater vorzeitig. Nicht minder desavouierte sich die siebenköpfige Auswahljury – es sei denn, sie interpretierte die Regel der »bemerkenswertesten Inszenierungen« auch negativ – mit der Einladung an den Zeitgeist-Chaoten Christoph Schlingensief (»Kunst und Gemüse, A. Hipler«), dessen unaufhaltsamer Aufstieg nur als typisches Phänomen der maßstablosen Anything-goes-Spaßgesellschaft erklärbar ist. Neben dieser Volksbühnen-Produktion war aus Berlin noch das Deutsche Theater mit Jürgen Goschs Inszenierung von Albees »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?« vertreten. Ansonsten immer dieselben. Die ausschließlich westlich besetzte KritikerInnen-Jury – man sollte sie durch eine Punkte-Wertung wie bei der alljährlichen Umfrage der Zeitschrift theater heute ersetzen – hatte von den 600 gesichteten Inszenierungen zuletzt 67 diskutiert, davon nur vier ostdeutsche. Theatertreffen-Daueropponent Claus Peymann korrigierte diese Ignoranz, indem er sein Theater am Schiffbauerdamm für »Die Dresdner Weber – Eine Hommage an Gerhart Hauptmann« öffnete. Die Uraufführung der originalen »Weber«, mit denen der Dramatiker dem Aufstand der schlesischen Weber von 1844 ein Denkmal setzte, hatte 1892 im gleichen Haus stattgefunden – in einer geschlossenen Vorführung, um die Zensur zu umgehen. Jetzt saßen die Zensoren in Hauptmanns Bühnenverlag Felix Bloch Erben. Weil die Inszenierung von Volker Lösch aktuelle Aussagen Dresdner Arbeitsloser enthielt – inklusive als »Morddrohungen« interpretierbare Verwünschungen gegen Sabine Christiansen, die dagegen klagte –, wurden weitere Aufführungen untersagt. Nach längerem Rechtsstreit mußte der Verlag klein beigeben, erteilte aber keine Gastspielgenehmigung für das Theater am Schiffbauerdamm. Deshalb sah man in Berlin die Dresdner Antwort auf das ursprüngliche Verbot: eine spielerische Zitaten-Collage von Heinrich Heine, Georg Weerth und Karl Marx bis Bundespräsident Köhler und Christiansen-Talkshows. Eine treffende Imitation der Moderatorin tritt auf, alle anderen Texte und die aktuellen Bezüge zur Arbeitslosenproblematik werden von 33 Dresdner Bürgern im Chor vorgetragen. Da wird auch wieder Einar Schleef lebendig, der »Die Weber« einmal als »erste deutsche antike Tragödie« bezeichnet hatte. Am Ende eines schwachen Theatertreffen-Jahrgangs doch noch ein Stück intelligenten, packenden politischen Theaters, auch in bester ostdeutscher Tradition künstlerischer Einmischung. Die Weber sind unter uns.
Erschienen in Ossietzky 11/2005 |
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