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Endlich entschließt er sich zur Tat: »Wir haben gelernt, mit dem Vorschlaghammer perfekt umzugehen, und setzen den Schlag genau und hart. Mit beiden Händen hoch ausholen. Wir schlagen im Takt reihum, drei vier Männer halten drauf. Als ich den Hammer auf Gustav Krauses Schädel sausen lasse, ist eine fremde Gewalt in mir, die im letzten Moment die Arme wegzieht, die Kraft umlenkt, Eisen schmettert auf Eisen, von der Richtplatte stieben Funken, etwas sprüht mir ins Gesicht, von der Wucht des Schlages und der verwischenden unwillentlichen letzten Korrektur mitgerissen, falle ich vornüber, der Hammer, dicht neben dem Kopf des Alten auftreffend, streift im Zurückfedern seitlich seine Stirn und ritzt die Schwarte. Danach geschieht eine Ewigkeit gar nichts. Als ich mich wiederfinde, sehe ich, wie der Alte sich unbeholfen aufrappelt, seine Brille aufzusetzen sucht, es nicht schafft, weil das Gestell sich verbogen hat; endlich stapft er zur Tür, wortlos.« Hier klingt bereits die Grundmelodie an, die Leben und Werk des Sozialisten und Libertins Gerhard Zwerenz durchzieht: seine unbändige Wut, wenn Ungerechtigkeit und Unterdrückung herrschen, die intellektuelle Analyse und seine Liebe zum Leben. Diese Trias ist es auch, die den jungen Soldaten 1944 zur Roten Armee desertieren läßt. Danach war er vier Jahre in Gefangenschaft und erkrankte wegen Unterernährung an Lungentuberkulose. Er wurde von einer Kommission gerettet, die ihn als »reinblütigen Proletariar« für die Volkspolizei der gerade gegründeten DDR rekrutierte. Fünf Jahre später geht er als Student nach Leipzig, in »Kopf und Bauch« heißt es: »Die Arbeiterklasse herrschte – nun, ich war, daran ist nicht zu zweifeln, waschechter Arbeiter, Sohn eines Arbeiters und einer Arbeiterin und selbst wieder Arbeiter, wer hätte klassenreiner in die proklamierte Ordnung gepaßt?« Gerhard Zwerenz paßte nicht in diese Ordnung. Er begann sein Studium bei Ernst Bloch, und bald darauf opponierte er mit Erich Loest, Günter Zehm und anderen SED-Genossen gegen Ulbrichts stalinistische Parteilinie. Sie wollten »den richtigen Sozialismus im falschen«. Der drohenden Verhaftung entzogen sich Gerhard Zwerenz und seine Frau Ingrid 1957 durch ihre Flucht in die Bundesrepublik. Hier wurde er kein Renegat, sondern kämpfte als »trotzkistischer Blochianer« gegen Restauration und Wiederbewaffnung in der Adenauer-Ära. »So viel Bekennermut und Widerspruchsgeist erbittert die Parteiwächter drüben sogar noch mehr als die Scharfmacher hüben«, schrieb Alfred Kantorowicz. Und Robert Neumann notierte in seiner Autobiographie über den Freund: »Ein hochbegabter schwer kämpfender Mann, der es im Westen nicht leicht hat, weil er sich dem Klüngel nicht anschließt, der hier das Wetter macht.« Gerhard Zwerenz schrieb mehr als hundert Bücher mit einer Auflage von drei Millionen Exemplaren. Er gehört zu den vitalsten Autoren der Bundesrepublik. »Kindlers Literatur Lexikon« bespricht – neben zahlreichen Verweisen auf Zwerenz' andere Werke – seine drei Romane »Casanova« (1966, Neuauflage 2005), »Kopf und Bauch« (1971, Neuauflage 2005) und »Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond« (1973, Neuauflage 1986). Sein 1988 erschienenes Buch »Soldaten sind Mörder« handelt von den großen Lügen der Kriegsgeschichte und löste einen Skandal aus. Im Jahr 2000 erschien »Krieg im Glashaus«, seine Notizen aus den vier Jahren (1994 bis 1998) als parteiloser Bundestagsabgeordneter der PDS. Gerhard Zwerenz ist mithin der einzige Satiriker, den sich das hohe Haus in seiner Geschichte bisher geleistet hat. Das muß Wolfgang Neuss geahnt haben, als er 1978 in einem Fernsehinterview zu Gerhard Zwerenz sagte: »Du bist als Polemiker gefürchtet, aber in Wahrheit bist du ein vagabundierender Humorist.« An Humor fehlt es in einigen Passagen auch dem neuen großen Bloch-Buch nicht, das Ingrid und Gerhard Zwerenz nach Jahren der Vorarbeit schrieben, aber der Grundton ist tragisch. »Sklavensprache und Revolte – Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West« handelt vom Aufstand intellektueller Genossinnen und Genossen, die 1956 jenen Sozialismus wollten, in dem nach dem Wort von Ernst Bloch »Schach statt Mühle« gespielt werden sollte. Bloch wurde aus dem Lehrstuhl gedrängt und seine Anhänger ins Zuchthaus geworfen. Nun wird Gerhard Zwerenz am 3. Juni 2005 achtzig Jahre alt. Er ist präsent wie eh und je, zuweilen wütend wegen der Zeitläufte, aber inzwischen meistens buddhistisch gelassen. Falsch! Trotzkistisch wollte ich sagen, denn er folgt dem Motto von Trotzkis Testament: »Das Leben ist schön. Die kommende Generation möge es reinigen von allem Bösen, von Unterdrückung und Gewalt und es voll genießen.« Gerhard, ich bewundere dich, weil du noch immer den Vorschlaghammer schwingst!
Erschienen in Ossietzky 11/2005 |
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