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Unter den eidgenössischen Abstimmungsvorlagen macht das neue Partnerschaftsgesetz für gleichgeschlechtliche Paare den Evangelikalen offenbar Probleme. Mir nicht. Schwieriger ist der Entscheid über den Anschluß der Schweiz an die Abkommen von Schengen und Dublin. Hier muß ich mein Nein gegen die Empfehlung der Grünen und der Sozialdemokratischen Partei setzen, die das mit der EU ausgehandelte Paket polizei- und asylrechtlicher Bestimmungen bereits im Parlament fast widerstandslos akzeptiert haben – um einer größeren Sache willen: der Integration in die europäische Staatengemeinschaft. Manche preisen es gar in den höchsten Tönen als »Ja zu einem Projekt der Öffnung, der Zusammenarbeit, der Sicherheit, der Freiheit«. So der Originalton von Hildegard Fässler-Osterwalder, SP-Nationalrätin und Sprecherin eines ausdrücklich linken Komitees, welches die Assoziierung mit Schengen/Dublin propagiert: Schengen erleichtere den Grenzübertritt, verhindere in Zukunft »kilometerlange Staus« und »frustrierte Gäste«. Wichtig für den Wirtschaftsstandort sei auch, daß die Schweiz im Schengener Informationssystem (SIS) »kein Fahndungsloch« bleibe. Und bezüglich Dublin vertraut sie den »europäischen Mindeststandards«, mit denen die rasante Abwärtsspirale in der Asylpolitik gestoppt werden könne. Früher klang das ganz anders. »Der Schnüffelstaat darf nicht durch die europäische Hintertür neu legitimiert werden«, warnte Paul Rechsteiner, der heutige Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, anno 1991. »Schengen ist kein Projekt der Öffnung, sondern ein repressives Werk«, stellte Remo Gysin noch im April 2002 fest. Nun stimmten sie beide als SP-Nationalräte zu. Es habe sich einiges nachbessern lassen, erklärt Gysin; zudem falle die Schweiz in puncto Datenschutz und Asylrecht zusehends hinter europäische Normen zurück. Von der Präsidentin der Grünen Partei war zumindest noch zu hören, sie habe beim Ja-Sagen »in Bezug auf Schengen ein sehr ungutes Gefühl«. Umgekehrt abstrus entwickelte sich die Debatte auf der politischen Rechten, die von ihren Forderungen her eigentlich reichlich Anlaß zum Applaudieren hätte: mehr und perfektere Zugriffsmöglichkeiten für Staatsschutz und Polizei, weniger Asylgesuche. Da im Geltungsbereich des Abkommens von Dublin ein Asylantrag nur ein einziges Mal gestellt werden darf, käme die von EU-Mitgliedsländern umgebene Schweiz für einen Asylbewerber fast nur noch in Frage, wenn er im Flugzeug landet. Die Regierung verkündet daher offiziell die frohe Botschaft: »Es wird erwartet, daß die Schweiz gemäß Dubliner Regelung mehr Asylsuchende an die andern Länder zurückgeben kann, als sie von diesen übernehmen muß.« In der Abstimmungspropaganda wird das auch in Franken umgerechnet. Wir könnten sparen! Doch das Referendum, mit dem der Parlamentsbeschluß einem Volksentscheid unterworfen wurde, kam von rechts! Von der sogenannten Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz, mit der Schweizerischen Volkspartei als tragender Säule. Während mir der Gedanke an die Integration in eine Festung Europa, abgeschottet gegen den Rest der Welt, nicht behagt, ist das Nein von rechts gegen die Welt und Europa gerichtet. Das eigene Haus soll Festung sein und bleiben, ohne fremde Vögte. »Keine Fremdbestimmung!« lautet die Parole, mit der etwa das »Komitee für ein freiheitliches Waffenrecht« das Nein zu Schengen propagiert. Ehrenpräsidenten von Schützverbänden, ehemalige Divisionäre sowie der Vize einer Vereinigung Pro Tell unterzeichneten das Inserat. Hingegen begrüßte der Präsident des Schweizerischen Friedensrates in einem Hearing die waffenrechtlichen Restriktionen, die Schengen brächte, und plädierte für ein Ja. Zwar hätte er lieber schärfere Regelungen gehabt, aber immerhin ... Die offizielle Abstimmungsbroschüre erläutert zu diesem Punkt: »Je nach Waffentyp muß der Erwerb gemeldet oder ein Waffenerwerbsschein angefordert werden. Wer nicht Schütze, Jäger oder Waffensammler ist, muß für einen Waffenerwerbsschein neu einen Erwerbsgrund angeben, weiterhin aber keinen Bedürfnisnachweis liefern.« Das bringt den linken, pazifistischen Demokraten in mir zum Grübeln. Was werten wir eigentlich in diesen Zeiten schon als Fortschritt? Und wie groß dürfen kleinere Übel sein? Welch eine Wohltat, in diesem Umfeld eine Kolumne von Jean Ziegler zu lesen: »Warum ich gegen Schengen bin«. Knapp und klar legte er dar, daß das Gerede von »mehr Sicherheit« ein leeres Versprechen sei. »Der mit Millionen Franken angeheizte, seit Jahresbeginn angelaufene Propagandafeldzug ist total absurd. Von der unendlich komplexen und schmerzhaften Problematik des Asylrechts kein Wort.« Asylsuchenden würde eine Antragstellung mit vernünftiger Chance auf Anerkennung praktisch unmöglich gemacht, hielt der langjährige Genfer SP-Nationalrat und wortgewaltige Kämpfer gegen »die neuen Herrscher der Welt« fest. Noch mehr Tote und Papierlose wären die Folge. Zur Bestätigung meiner Absicht, beim grundsätzlichen Nein zu bleiben, konnte ich mir keinen besseren Kronzeugen wünschen. Doch nichts ist in diesem Zusammenhang sicher. Die jüngste work -Ausgabe enthält einen »Widerruf«. Ich las den seltsamen Text mehrmals, ohne ihn im Kern zu verstehen. Ziegler habe seine »Position zu Schengen weiterentwickelt«, hält die Redaktion fest. Mit einem Nein »wäre die Schweiz noch isolierter in Europa«. Zwar verurteilt Ziegler »die asylfeindliche Grundhaltung des Vertragswerkes« nach wie vor, aber er will nun »die kluge, mutige Außenpolitik von Bundesrätin Calmy-Rey« mit einem Ja unterstützen, »vorbehaltlos«. Denn die Schweizer Diplomatie habe in Brüssel »brillant verhandelt« und »das Maximum dessen herausgeholt, was möglich ist«. Ach so. Ach ja? Daß es gelang, das Bankgeheimnis zu retten, kann unser tapferer Bankenkritiker nicht meinen ... Ein paar linke Nein-Stimmen bleiben noch: die mit einer Sonderbeilage engagiert argumentierende Redaktion der alternativen Wochenzeitung etwa, wenige Dissidentinnen und Dissidenten aus den Reihen der Grünen und der Sozialdemokratie oder die kleine kommunistische Partei der Arbeit. Die deutschen Medien werden uns wohl am 5. Juni kurzerhand zum nationalistischen Protestpotential addieren. Für detaillierte Analysen der helvetischen Wirrnis dürfte es eine Woche nach dem französischen Votum zur EU-Verfassung kaum reichen. Vielleicht ist nebst dem Ergebnis noch zu erfahren, daß auch ein Mitglied der Schweizer Regierung gegen Schengen auftrat. Das schlimmste von allen: Bundesrat Christoph Blocher, ein seit Jahren alle Debatten prägender Rechtspopulist. Er sprach zum 60. Jahrestag des Kriegsendes bei einer Gedenkveranstaltung an der Grenze zu Deutschland. In einer kabarettreif martialischen Szenerie ermahnte er sein Volk zum weiterhin tapferen Sichern der Grenzen. Es ist nicht leicht, beim Abstimmen solche Kampfgefährten zu haben. Doch was tun? Müßte ich Ja sagen, weil Blocher für das Nein ist? An solchen Sonntagen, liebe Nachbarinnen und Nachbarn, das will dieser Bericht aus dem Bergland vermitteln, ist Neid auf unsere direkte Demokratie unangebracht.
Erschienen in Ossietzky 11/2005 |
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