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Die neueste Erkenntnis der »Verfassungsschützer« ist die alte: »Der islamistische Extremismus und Terrorismus stellen die größte Bedrohung der Inneren Sicherheit dar – weltweit und auch in Deutschland.« Damit bleibt es beim Feindbild Nr. 1, das seit dem 11. September 2001 gepflegt wird – mit der Folge, daß Muslime hierzulande unter Generalverdacht stehen. Nirgends seien Vorfeldaufklärung und vorbeugende Abwehr so notwendig wie im Kampf gegen den islamistischen Extremismus, sagt Otto Schily. »Die Beobachtung der einschlägigen Aktivitäten ist und bleibt auf absehbare Zeit daher die Kernaufgabe« des BfV – zumal die Zahl der Mitglieder und Anhänger »islamistischer« Organisationen von 30 950 auf 31 800 angestiegen sei. Wer oder was als »islamistisch« eingestuft wird, obliegt der unkontrollierten Definitionsmacht des BfV. Mit dieser Prioritätensetzung ist auch die Daseinsberechtigung des Geheimdienstes auf absehbare Zeit gesichert – hat doch der Kampf gegen islamistisch-terroristische Bestrebungen allen Geheimdiensten einen kräftigen Legitimationsschub beschert. Die ganze Schlapphutbranche ist in den vergangenen Jahren personell, finanziell und technisch nachgerüstet worden – und gerade hat Schily ein drittes Sicherheitspaket vorgelegt, mit dem er den Geheimdiensten noch mehr Überwachungsbefugnisse bescheren will. Wenn mit dem »Islamismus« die Kernaufgabe der »Verfassungsschützer« auf Jahre festgelegt ist, welche Rolle spielt dann für sie der Rechtsextremismus? Er verdiene, so Schily, weiterhin »besondere Aufmerksamkeit« – doch zu einer Kernaufgabe des BfV reicht es nicht. Das gesamte rechtsextremistische Potential in Deutschland sei zwar rückläufig (um 800 auf 40 700 Personen gesunken), aber das neonazistische Potential sei um mehr als 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr angestiegen, ebenso die Zahl der »politisch rechtsmotivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund« (um mehr als zehn Prozent auf 12 051). Welchen Anteil daran die dubiosen, vom »Verfassungsschutz« geführten und bezahlten V-Leute und agents provocateurs haben, wird leider verschwiegen. Das BfV konstatiert auch einen Bedeutungszuwachs der NPD innerhalb der rechtsextremen Szene, was sich sowohl an ihrem Mitgliederzuwachs (von 5000 auf 5300) als auch an ihrer verbesserten Finanzlage ablesen lasse. Doch fehlt hier jeglicher Hinweis auf den entscheidenden Beitrag zum Wiedererstarken der NDP, den »Verfassungsschützer« und Bundesinnenministerium durch das von ihnen angerichtete NPD-Verbotsdesaster geleistet haben. Die zahlreichen V-Leute auf Parteiführungsebene haben die NPD gestärkt, anstatt sie zu schwächen. Der »Verfassungsschutz« ist über sein V-Leute-Netz selbst Teil des Neonazi-Problems geworden – und die politische Führung tut nichts dagegen, jedenfalls nichts Wirksames. Vielmehr schiebt Schily etwa die Schuld am Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag dreist den Verfassungsrichtern in die Schuhe, die zu Recht dieses geheimdienst-verseuchte Verfahren eingestellt haben. »Linksextremistische Bestrebungen« nehmen im »Verfassungsschutzbericht« immer viel Raum ein. Da ist die Rede vom »gewalttätigen Linksextremismus«, zu dem Autonome und Anarchisten gezählt werden; es folgen die als linksextremistisch eingestuften Parteien und Gruppen, an erster Stelle die PDS; dann die Antifaschisten, vor allem die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes; und auch vor der Anti-Atom-, Antiglobalisierungs- und Friedensbewegung machen die Schnüffler nicht halt. Linksextremisten, wohin das Auge blickt. Der Bericht zitiert eine Entschließung des »Friedenspolitischen Ratschlags«, der im Dezember 2004 in Kassel stattgefunden hat: Darin hätten die Teilnehmer 60 Jahre nach der Befreiung Deutschlands von Krieg und Faschismus die geschichtliche Mahnung »Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg« gegen die aktuelle Normalität von Krieg, Hochrüstung sowie Sozialabbau und gegen die Wiederbelebung rassistischer und faschistischer Ideologien gesetzt. Damit, so das BfV, bekräftige der Friedensratschlag sein »Festhalten an einer leninistischen Kriegsursachenanalyse« und stelle eine »suggestive Verbindung zwischen der Kriegspolitik der Nationalsozialisten und den Planungen der Europäischen Gemeinschaft für gemeinsame militärische Strukturen her«. Und schon ist der Friedensaktivist ein Linksextremist. Der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) wird geheimdienstlich bescheinigt, sie weise in ihren Leitungsgremien eine »Vielzahl von – zumeist älteren – Kommunisten« auf, huldige einer »typisch kommunistischen« Faschismusanalyse und pflege »kommunistische Widerstandslegenden«. Obwohl von dem »überalterten Verband« nach Einschätzung des BfV »kaum noch außenwirksame Aktivitäten« ausgehen, kommt das Amt dennoch zu einer erschreckenden Erkenntnis: Da habe doch tatsächlich ein VVN-Vorsitzender »effiziente antifaschistische Handlungsstrategien gegen Neonazi-Aufmärsche auf der Straße und gegen deren staatliche Sanktionierung« gefordert. Außerdem werfe die VVN staatlichen Institutionen regelmäßig vor, die zunehmenden Naziumtriebe zu dulden und gleichzeitig antifaschistische Gruppen zu diffamieren. Wenn das nicht linksextremistisch ist. An der in zwei Landesregierungen und etlichen Parlamenten sitzenden PDS interessiert das Bundesamt neben den »extremistischen Strukturen in der Partei« besonders ein innerer Parteikonflikt: nämlich die »Ambivalenz, einerseits auf verschiedenen Ebenen in Regierungen und Verwaltungen mitzuarbeiten, andererseits aber das Endziel der Partei – eine über die Grenzen der bestehenden Gesellschaft hinausweisende sozialistische Ordnung – nicht aus den Augen zu verlieren«. Besonders verdächtig scheint ein Zitat aus der PDS-Zeitschrift Disput : »Es ist unsere Überzeugung, daß die Gesellschaft verändert werden muß und verändert werden kann – und zwar zum Besseren für die Menschen.« In der Rubrik »Agitations- und Kommunikationsmedien« kommt auch eine Tageszeitung zu Ehren: die junge Welt , nach Einschätzung des BfV ein »bedeutendes Printmedium im linksextremistischen Bereich«. Einzelne ihrer Redaktionsmitglieder und ein großer Teil der Stamm- und Gastautoren seien dem »linksextremistischen Spektrum« zuzuordnen. Die Zeitung pflege eine »streng ideologische, antikapitalistische Ausrichtung« und propagiere die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft. Streng ideologisch – das darf man getrost zurückgeben –, aber nie und nimmer kapitalismuskritisch befaßt sich der »Verfassungsschutzbericht« nicht nur mit Rechts-, Links- und Ausländerextremisten, sondern er behandelt auch das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst – allerdings nicht als gefährlich-obskure Organisation unter der Rubrik »Sicherheitsextremismus und verfassungswidrige Bestrebungen«, sondern verblüffenderweise als integralen Bestandteil und Garant der Demokratie – obwohl doch das BfV als Geheimdienst gerade demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit widerspricht. Und so verliert er auch kein Wort etwa über die hochproblematische Infiltration und Finanzierung der rechten Szene. Kein Wort über die Verstrickung des »Verfassungsschutzes« in kriminelle Machenschaften. Kein Wort beispielsweise darüber, daß V-Leute die expandierende Neonazi-Musikszene lange Zeit fest im Griff hatten und mit volksverhetzenden, zum Mord an Juden, Künstlern und Politikern aufrufenden CDs versorgten. Recht informativ hingegen sind die Strukturdaten des BfV: So erhielt das Bundesamt 2004 einen offenen Zuschuß aus dem Bundeshaushalt in Höhe von 141 Millionen Euro (die verdeckten Gelder werden nicht ausgewiesen) und hatte knapp 2500 Bedienstete; der Militärische Abschirmdienst (MAD) mit knapp 1300 Bediensteten erhielt 73,5 Millionen Euro. In NADIS, dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem aller bundesdeutschen Geheimdienste des Bundes und der Länder, waren Anfang 2005 mehr als eine Million personenbezogener Eintragungen gespeichert, davon über die Hälfte aufgrund von Sicherheits-überprüfungen in sicherheitsempfindlichen Behörden und Betrieben. Wie viele V-Leute das BfV in welche Gruppen und Szenen eingeschleust hat, bleibt jedoch ebenso sein Geheimnis wie eine Antwort auf die Frage, was in dem VS-Bericht Information, was Desinformation ist.
Erschienen in Ossietzky 11/2005 |
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