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So viel Freiheit»Der 8. Mai 1945 – eine echte Befreiung war es nicht. Wirklich befreien müssen wir uns selbst. Die Bewährungsprobe liegt noch vor uns«, schrieb am 8. Mai dieses Jahres der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG in der Welt am Sonntag . Wie das? Was erwartet Mathias Döpfner von seinem Volk? Was erwartet Döpfner von seinen Medien, auf daß sie es dem Publikum beibringen? Deutschland, meint er, habe einen »Wettbewerbsnachteil«, denn hierzulande seien »Antikapitalismus, Antiamerikanismus und Antisemitismus als Verwandte im Geiste … gesellschaftsfähig«. Das führt er dann ein bißchen aus und kommt zu dem Schluß: »Am meisten (!; A.K.) aber irritiert die tiefsitzende Skepsis der Deutschen gegenüber dem freien Markt, dem Kapitalismus. Ob der nationale Sozialismus schwarz oder rot lackiert wird, ist nur eine Frage des Designs. Die Grundlage ist das Mißtrauen gegenüber der Freiheit.« Aber hat uns nicht der Bundespräsident am 8. Mai versichert, wir Deutschen hätten »eine Begabung zur Freiheit«? Wir müssen das so verstehen: Ein Talent bedarf der Förderung, und dazu stehen die Springer-Medien bereit. Sie erklären den Lesern, Hörern, Zuschauern, von welchen »Wettbewerbsnachteilen« wir uns – in kleinen oder großen Schritten – noch befreien müssen: von Kündigungsschutz, Flächentarifverträgen, Umweltschutz, Rente, Mutterschutz, Kinderschutz, Streikrecht, Koalitionsrecht, Kartellrecht, Restriktionen im Rüstungsexport, verfassungs- und völkerrechtlichen Hürden gegen Angriffskrieg, von Asylrecht, Sozialstaatsgebot und vielem anderen, was man früher Errungenschaften nannte. Wir müssen uns von all den Zwängen befreien, die uns 1945 im Potsdamer Abkommen (»zur Befreiung des deutschen Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus«) und in der UN-Charta und später in den Länderverfassungen und im Grundgesetz auferlegt worden sind. Damals hat man uns sogar das Recht auf Militär und auf solche publizistischen Monopole streitig gemacht, wie sie der Springer-, der WAZ- und der Holtzbrinck-Konzern jetzt nach und nach errichten. Neuerdings ist auch das größte Wochenblatt in Polen ein Springer-Blatt – Springer schafft Pressefreiheit. Jawoll, viele Befreiungstaten sind schon vollbracht, und wir können ganz im Sinne des Bundespräsidenten stolz darauf sein. Aber viele, viele liegen noch vor uns. Arno Klönne
Kampf den ArbeitslosenKürzlich zeigte der von der CDU als hessischer Justizminister bestellte Christean Wagner sein Faible für elektronische Fußfesseln – die nach seinem Vorschlag nicht nur Straftätern, sondern auch Langzeitarbeitslosen verordnet werden sollen. Er formulierte es so: »Die Fußfesselträger werden zu einer für ihre Verhältnisse hohen Selbstdisziplin und zur Erfüllung des ihnen vorgegebenen Wochenplans angehalten. Die elektronische Fußfessel bietet damit auch Langzeitarbeitslosen und therapierten Suchtkranken die Chance, zu einem geregelten Tagesablauf zurückzukehren und in ein Arbeitsverhältnis vermittelt zu werden.« Dieser Vorstoß, durch ein Leipziger Aktionsbündnis gegen Sozialabbau publik gemacht, stieß auf Widerspruch. Der hessische DGB zum Beispiel forderte eine Entschuldigung gegenüber den Arbeitslosen. Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, offenbar nur leicht irritiert und immer darauf bedacht, vor der Öffentlichkeit die Brisanz solcher Äußerungen abzumildern, qualifizierte das Ganze ebenso schnell wie einfach als »unsäglichen Unsinn« ab. Wagner selbst war dann schnell mit der Erklärung bei der Hand, daß »die Formulierung unglücklich (!) und mißverständlich (!)« sei, besonders, wenn der Satz nur isoliert (!) gelesen werde. Nachgeschoben wurde die Erklärung, es gebe keinerlei Überlegungen oder gar Pläne, die Fußfessel bei Arbeitslosen oder Suchtkranken anzuwenden. Eines darf man nun als gesichert annehmen: Nachdem Hartz IV als Strafexpedition gegen die faulen Säcke angelaufen ist, hat sich ministeriell gesehen der Abstand zwischen Straftätern und Langzeitarbeitslosen dermaßen verringert, daß man ihn einfach vernachlässigen kann. Sicher werden andere Gedankenträger das Thema weiter bearbeiten. Daher dürfte es angeraten sein, schon heute ergänzende Vorschläge zu unterbreiten: Vor etwas mehr als 60 Jahren gab es bereits erfolgreiche Maßnahmen, mit denen zu kontrollierende Arbeitspflichtige aus der Masse der übrigen herausgehoben und vor allem auch renitente Ar-beitsunwillige im Interesse der Volksgemeinschaft zu Fleiß und Gehorsam angehalten werden konnten. Daran anknüpfend wäre vorzusehen, daß neben der Fußfessel, die dem Träger ja im Normalfall nicht anzusehen ist, eine deutliche Kennzeichnung vorgenommen wird, etwa mit einem nicht zu kleinen Abzeichen aus Stoff, das auf die Oberbekleidung zu nähen ist und damit auch zum Beispiel für den Vorarbeiter den in sitzender Position befindlichen Arbeitnehmer eindeutig erkennbar macht. Wobei es keineswegs schadet, daß der Abzeichenträger auch für seine sonstige Umwelt am Arbeitsplatz oder auf dem Wege dorthin erkennbar wird. Schließlich darf man davon ausgehen, daß auch die Reaktion des einen oder anderen Nachbarn dazu beitragen kann, den vom Minister angestrebten »geregelten Tagesablauf« schneller als sonst zu erreichen. Vielleicht empfiehlt sich ein in zwei Farben gehaltenes Abzeichen in Form eines auf der Spitze stehenden Karo mit dem Buchstaben A für Langzeitarbeitslose, im anderen Falle eines in abweichenden Farben gehaltenen mit dem Buchstaben S für Suchtkranke. Den Fachleuten wird schon genügend einfallen. Wir sind ja schließlich nicht von gestern. Joachim Bennewitz
Kinder in TheresienstadtEs ist eine seltsame Geschichte um das Kinderbuch »Brundibar«, das aus Amerika nach Deutschland gekommen ist. Autor und Zeichner sind berühmt. Das Presseecho ist überwältigend. Eltern kaufen das Buch. Sie wissen, daß ihre Kinder die wunderbaren bunten Bilder lieben werden. Auf der Rückseite eine knappe Inhaltsangabe: Brundibar, ein gräßlicher Leierkastenmann, läßt zwei arme Kinder, Aninka und Pepicek, die inmitten des bunten Markttreibens für ihre kranke Mutter um Milch bitten, davonjagen. Erst im letzten Satz erfährt man: »Der Text erzählt die Kinder- oper ..., die 1943 und 1944 vielen Kindern in Theresienstadt Mut und Hoffnung gegeben hat.« Mut und Hoffnung gewiß. Nur: Von den 7590 Kindern unter fünfzehn Jahren haben 242 überlebt. Der Ort wird nur dieses eine Mal erwähnt. Vom Verlag bekommt, wer das Buch vorstellen möchte, ausführliche Informationen: 1938 wurde die Kinder-oper von dem Komponisten Hans Krása und dem Karikaturisten Adolf Hoffmeister in Prag geschaffen. Krása wurde nach Theresienstadt deportiert und hat seine Oper dort 55 mal aufgeführt, mit hungernden, heimwehkranken Kindern, die durch dieses Spiel ein wenig getröstet und abgelenkt wurden. Der heute 67jährige Maurice Sendak, der Zeichner des Buches, entstammt einer polnisch-jüdischen Emigrantenfamilie, viele seiner Verwandten sind im Holocaust umgekommen. Damals war auch er ein Kind, die entzückenden Melodien mußten ihn faszinieren. »Kinder in meinem Alter ... starben und ich lebe... Du fühlst dich, als müßtest du nicht nur dein Leben leben, sondern viele Leben, so daß du für die Kinder lebst, die nicht weiterleben konnten.« Das aber steht nur in einem Interview für die Rezensenten. Und die heutigen jungen Leser und ihre jungen Eltern? Sollten sie wirklich alle wissen, wofür Theresienstadt steht? Sollten sie wirklich aus winzigen Details wie hier und dort einem Davidstern oder einem hebräischen Wort inmitten der turbulenten Zeichnungen erkennen, worum es in der Oper geht? Tony Kushner, der Autor, so erklärt mir der Verlag, wollte kein Sachbuch. Wäre durch ein separat eingefügtes Informationsblatt für die Eltern – 60 Jahre nach dem furchtbaren Geschehen – denn ein Sachbuch entstanden? Ist ein deutscher Verlag nicht verpflichtet, eine solche Verständnishilfe zu geben? Krása und die meisten Kinder sind in Auschwitz ermordet worden... Nachdem in den achtziger Jahren eine Freiburger Liobaschwester die kleine Oper wiederentdeckt und – auch in Israel – aufgeführt hatte, folgten viele deutsche Jugendbühnen. Durch behutsame Aufklärung wurde dafür gesorgt, daß die kleinen Aninkas und Pepiceks mit Begeisterung und Freude dabei waren, obgleich sie das Schicksal ihrer armen Vorgänger kannten. Sie wurden nicht geängstigt, aber informiert. Wer mehr über Kinder und Jugendliche in Theresienstadt erfahren will, sei auf die Geschichte der 1927 in Prag geborenen Philosophin Jana Renée Friesova hingewiesen: »Festung meiner Jugend«. 1942 kam sie – mit 15 Jahren – in das Ghetto, zweieinhalb Jahre mußte sie dort zubringen, bis zur Befreiung. Sie berichtet von dem grausamen Alltag, von Heimweh, Angst, Hunger, aber auch von den heimlichen (verbotenen) Schulstunden, von romantischen Träumen, von Freundschaften und viel Hoffnung. Sie berichtet von dem Entsetzen, wenn Freundinnen verschwanden, »auf Transport gegangen sind«, auf Transporte ohne Wiederkehr. »Ein typisches Theresienstädter Kind«, schreibt sie, »kannte nicht die Lehrbücher der Schulklassen, in die es gehört hätte. Aber dank der Erwachsenen, die zum großen Teil nicht zurückgekommen sind, erhielten die Kinder ... ein moralisches Bewußtsein dessen, was ein Mensch ist oder sein könnte...« Ingeborg Hecht
Tony Kushner/Maurice Sendak: »Brundibar«, aus dem Englischen von Mirjam Pressler, Gerstenberg-Verlag, 56 Seiten, farbig, 18 € (ab 5 Jahren) Jana Renée Friesova: »Festung meiner Jugend«, Hg. Brücke/Most-Stiftung zur Förderung der deutsch-tschechischen Verständigung und Zusammenarbeit, Dresden, 244 Seiten mit Fotos und Dokumenten, 12,90 €
Ein TrendsetterMangel an Gespür für Konjunkturen auf dem Erinnerungsmarkt kann man dem publizistisch arrivierten Soziologieprofessor Heinz Bude gewiß nicht nachsagen; zudem leitet er das Ressort »Bundesrepublik« am Hamburger Institut für Sozialforschung, was die Fähigkeit verlangt, geschichtspolitisches Marketing erfolgreich zu betreiben. Also verdient Bude Aufmerksamkeit, wenn er anläßlich des 8. Mai über zwei Seiten hin in der Frankfurter Rundschau »deutsche Erinnerungskultur« beschreibt und zu dem Schluß kommt, es sei an der Zeit, »ein neues Kapitel im Gedächtnis der Bundesrepublik zu eröffnen«. Ganz klar: In fünf oder zehn oder fünfzehn Jahren läßt sich der Medienevent zum »Untergang 1945« nicht wiederholen, und vermutlich wird dann selbst von Bude keine große deutsche Zeitung mehr etwas über das Ende des »braunen Totalitarismus« wissen wollen. Er ist aber ganz unverzagt, denn er weiß, wo noch etwas zu holen ist: »Wir brauchen den Osten.« Wozu? »Um zu verstehen, daß wir Deutschen noch eine andere Art totalitären Erbes mitschleppen.« Da wissen wir also, was uns thematisch erwartet. Und Bude wird zuständig bleiben. Schließlich wurde die DDR ja von der Bundesrepublik vereinnahmt. Marja Winken
Multimedialer GeschichtslehrerEin Lehrer kann für die Schüler Kollege, Freund, Vertrauter und Mitstreiter werden. An der Berliner Humboldt-Universität, wo ich 1968 immatrikuliert worden war, hatte ich das Glück, bei dem damaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter Kurt Pätzold im Fach »Deutsche Geschichte 1917 bis 1945« zu hören und gemeinsam mit ihm, ich als Vertreter der Jugendorganisation, er der Parteisekretär, politisch zu wirken. Später promovierte ich unter seiner Beratung, da leitete er schon als Professor die Sektion Geschichte, und ich war stolz, 1978 eine seiner wissenschaftlichen Assistentinnen werden zu dürfen und weiter von ihm lernen zu können – durch seine kritischen Hinweise, produktiven Ratschläge und geduldige Vermittlung seiner Erfahrungen. Doch das nahm mit der »Abwicklung« des Instituts für Geschichtswissenschaften Anfang der 90er Jahre ein jähes Ende. Er stand ganz oben auf der Liste der zu entfernenden Hochschullehrer, sein Lehrstuhl wurde für die »neue Besatzung« gebraucht, seine wissenschaftliche Kompetenz wurde zur Konkurrenz, die Verteidigung seiner materialistischen Geschichtsauffassung brachte ihm die Kündigung ein. Da die neuen Machthaber sehr gründlich aufräumten, folgte mein Weggehen von unserer gemeinsamen Arbeitsstätte wenig später. Nun hätten sich unsere Wege trennen können. Es war wohl seine fordernde Ausstrahlung, seine Besessenheit, Fragen an die Geschichte zu stellen, auch an die gegenwärtige, nicht nur für die Fachwissenschaft, sondern auch für den politischen Alltag, die mich bestärkten, in der Zunft weiterarbeiten zu wollen. So verloren wir uns nicht aus den Augen, sondern setzten unsere gemeinsame wissenschaftliche Arbeit, nun erst recht, fort. Aber wer wollte Historiker aus dem Osten? Er fragte mich, ob wir nicht, um unsere Daseinsberechtigung zu beweisen, gemeinsam etwas schreiben könnten. Ich sagte sofort zu, und 1992 erschien ein Buch über die Wannsee-Konfrenz, zwei Jahre später eines über Franz Novak, den Transportoffizier Adolf Eichmanns. In den darauffolgenden Jahren publizierte Kurt Pätzold mit dem Jenenser Historiker Manfred Weißbecker über die im Ergebnis des Nürnberger Prozesses zum Tode verurteilten Führer des Naziregimes (1996), über die Geschichte der NSDAP (1998), über Rudolf Heß (1999) und über Schlagwörter und Schlachtrufe aus zwei Jahrhunderten deutscher Geschichte (2002). Er selbst widmete sich innerhalb von nur zwei Jahren dem Thema des Zweiten Weltkrieges und veröffentlichte Bücher unter den Titeln: »Ihr waret die besten Soldaten« (2000) und »Stalingrad und kein Zurück« (2002). Daneben schreibt er regelmäßig wissenschaftliche Aufsätze, Artikelserien, Rezensionen, zuweilen auch Glossen für Zeitschriften und Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsender. Sein Arbeitsplatz ist aber nicht nur der häusliche Schreibtisch. Allein von Januar bis Mai diesen Jahres hat er auf über 30 Veranstaltungen in Berlin, Schwerin, Hamburg, Bremen, Cottbus, Gera, Suhl, Siegen, Dortmund, Köln, Köthen, Pforzheim und Seelow zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus geredet und sich nicht nur den Fragen aus der Geschichte, sondern auch denen über die aktuelle politische Situation in diesem Lande gestellt. Wenn sich junge, linke Leute bemühen, ihn als Referenten oder Demonstrationsredner zu gewinnen, sagt er nie ab. Von ihm, der dieser Tage 75 geworden ist, gibt es weiterhin viel zu lernen. Erika Schwarz
Walter Kaufmanns LektüreDie Schilderung der Kindheit des Philip Roth, scheinbar wahrheitsgetreu in allen Einzelheiten, läßt anfangs keine Zweifel aufkommen, daß der Autor seine eigene Vergangenheit gestaltet. Der Familienkreis ist genau benannt: der emsig tätige Vater Herman, die umsichtige Mutter Bess, der künstlerisch begabte Bruder Sanford und Alvin, der in die Familie aufgenommene, fast schon erwachsene, rundum unangepaßte Vetter, und wir sehen sie alle mit den Augen eines forschen und zugleich träumerisch-phantasievollen Philip. Bald ist einem, als teilte man dessen Leben in der Etagenwohnung im zweiten Stock, als störten einen die Geräusche aus der Wohnung unten, als liefe es einem – wie dem Jungen – im dunklen Keller kalt über den Rücken. Man fängt an, sich in den Straßen der Umgebung auszukennen, weiß Philips Wege zur Schule, zum Markt, zum Hof des Waisenhauses, zur Synagoge, bewegt sich ortskundig zu Verwandten und Bekannten des Jungen im Viertel, allesamt Juden in Newark, die nicht Fremde sein wollen, die Amerika als auch ihr Amerika ansehen – bis dann. Aber da ist man schon so einbezogen in das beschriebene Leben, daß die Erwähnung von Charles A. Lindbergh als Präsident der USA zunächst nur verdutzt. Stimmt da etwas mit der eigenen Geschichtskenntnis nicht? War dieser mehrfach in Nazideutschland gefeierte, von Hitler dekorierte Amerikaner, dieser Meisterpilot, der als erster im Soloflug den Atlantik bezwang, tatsächlich mit Erfolg gegen Franklin D. Roosevelt angetreten – weil er versprochen hatte, den Eintritt Amerikas in den Krieg zu verhindern? Konnte das so gewesen sein? Natürlich nicht! Man ist, erkennt man jetzt, einem »Was-wäre-Wenn« aufgesessen: Judenhaß, Pogrome, Verhaftungen, Fluchtwellen nach Kanada, politische Morde, all das hat Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Newark, auf das der Familie Roth, und diese Auswirkungen sind so realistisch geschildert, daß man auch weiter die Aufzeichnungen authentischer Erinnerungen des Schriftstellers zu lesen glaubt. Der kleine Philip Roth sieht seinen Vetter Alvin mit kanadischen Truppen in den Krieg ziehen, erlebt die Umsiedlung der Mutter und des Jungen aus der Wohnung und weiß, daß dies eine Zwangsumsiedlung aufgrund eines Lindbergh-Erlasses gegen die Juden ist, erlebt auch, daß der eigene Vater sich dem widersetzt, und sieht ihn mit einem alten Auto nach Kentucky aufbrechen, um dort den einstigen Nachbarjungen zu retten, der nach einem Mordüberfall von Ultrarechten auf die Mutter verwaist ist; es wird für den Vater eine Reise durch ein feindliches, ihm entfremdetes Amerika... »It Can't Happen Here« war in den dreißiger Jahren ein weltbekannter Roman von Sinclair Lewis, der die Gefahren eines faschistisch dominierten Amerika gezeigt hat. Zu ihm zieht Philip Roth mit »The Plot against America« eine deutliche Parallele, und wenn er Präsident Lindbergh in Fliegermontur auftreten und vor Hurra-Patrioten eine Rede halten läßt, ist man an Präsident Bush erinnert, wie er in Fliegermontur übers Deck des Flugzeugträgers »Abraham Lincoln« schreitet, um dann vor versammelter Mannschaft seine Siegesrede zu halten: »Mission Accomplished«... Bleibt abzuwarten, daß dieser Roman in deutscher Sprache erscheint – the sooner, the better! W. K.
Philip Roth: »The Plot against America«, Haughton Mifflin Compagny, 391 Seiten, 26 Dollar
Ich war im anderen FilmAls Sohn eines damals berühmten kommunistischen Schriftstellers mußte er sich noch vor Schulbeginn mit den Eltern auf den Weg ins Exil machen. Erst lernte er französisch, dann russisch. Moskau wurde zur Heimat. Das eigentliche Vaterland erlebte er erst als Soldat der Roten Armee wieder. Ein Verhältnis zu Deutschen, die im Land geblieben waren, entwickelte sich sehr allmählich und mühsam, zumal er nach dem Krieg noch einmal zum Studium nach Moskau ging. Er wurde zu einem wichtigen deutschen Filmregisseur und zu einem Kulturpolitiker, der in keine Schablone paßte. Vieles in seinem Leben barg immense Konflikte, er konnte damit umgehen; auch das machte ihn zu dem Besonderen, der er war, von sehr verschiedenen Menschen respektiert, von vielen verehrt. Über ihn zu schreiben, ohne ihn gekannt zu haben, ohne die Lebens- und Arbeitsatmosphäre, die damaligen Hoffnungen und Probleme miterlebt zu haben, ist ein riesiges Wagnis, solange es noch Zeitzeugen gibt, die all das kannten. Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich haben offenbar mit vielen von ihnen gesprochen, haben alle schriftlichen Quellen studiert und können doch nichts anderes beschreiben als ihre Vorstellung von Konrad Wolf, ihre heutige Sicht auf Filme, die damals, als sie aufgeführt wurden, ganz andere Fragen und Einsichten provozierten. Es fehlt historisches Verständnis und Einfühlungsvermögen, das sich nicht aus Parteitagsbeschlüssen und öffentlichen Reden erschließt. Es fehlt das Wissen über die Funktion von DEFA-Gutachten. Es fehlt so viel, um Konrad Wolf gerecht zu werden! Sehen wir uns lieber seine Filme an, dann erfahren wir mehr über den Reichtum und das Können dieses Mannes – seine Probleme und Hoffnungen, seine Irrtümer und Erfahrungen. Christel Berger Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich: »Der Sonnensucher Konrad Wolf«, Biographie, Aufbau-Verlag, 589 Seiten, 24.90 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlKunst und Kultur , Zeitschrift der Gewerkschaft ver.di, veröffentlichte ein Interview mit dem Schriftsteller Joachim Walther, der in der Büchergilde Gutenberg gemeinsam mit Ines Geipel die »Verschwiegene Bibliothek« herausgibt. (Es handelt sich nicht um Bücher, die verschwiegen sind, sondern um solche, die in der DDR verschwiegen wurden beziehungsweise verschwiegen werden sollten.) Der K+K -Redakteur Burkhard Baltzer fragte unter anderem: »Die Auswahl ist vermutlich ein Kampf?« Joachim Walther erwiderte: »Unser erstes Kriterium ist Literarizität , nicht politischer Frust...« Das klingt geheimnisvoll, aber auch ein bißchen bedrohlich. Wie geht's Herrn Walther? – Weiß nicht genau, man sagt, er leide neuerdings an Kriterien, sein erstes ist Literarizität. – Gibt es da ein wirksames Me-dikament? – Hoffentlich. Da er das Wort erfunden hat, wird es ihm gelingen, sich auch ein passendes Gegenmittel auszudenken. Man muß ja nicht unbedingt Lysol verwenden. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 10/2005 |
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