Shakespeare-Marathon

Anne Dessau

Im Studiotheater der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«, Berlin, Belforter Straße, tummeln sich an diesem Vormittag die Studenten des nunmehr dritten Studienjahres, jene jungen Menschen, die ich in einer Ossietzky -Serie durch das vergangene Jahr begleitet habe. Ich will sehen, was sie in diesem Semester geschafft haben. Die Proben zum neuen Projekt »Shakespearemachtmensch« boten eine Möglichkeit dafür.

Zehn Uhr morgens. Studenten fegen und wischen die Bühne, rücken die Versatzstücke des Bühnenbildes zurecht. Stimmübungen klingen durchs Haus: »Ja, je, ji jo, ju, jei, jeu jau!« ,Wortfetzen Shakespeares werden mit leichtem Knödel vorgetragen, andere strecken und dehnen ihre morgenmüden Körper. Der Shakespeare-Marathon von mehr als drei Stunden fordert Kondition.

Das Bühnenrund hat sich gefüllt. Orkanartig brechen jetzt Sprech- und Gesangsübungen aus. Die Studentinnen und Studenten laufen, gehen, tanzen im Kreis, hopsen und springen: Lockerungsübungen. Ringsum hohle Quadern, getürmt zu unterschiedlichen Spielebenen für reizvolle Arrangements.

Urplötzlich sind die Akteure verschwunden in den mit Klappen versehenen Kuben, im Spiel tauchen sie unerwartet auf, da und dort, wie es Text und Inszenierung verlangen.

Die Königsdramen hat man sich vorgenommen und in Richard, den Heinrichen und Johann Muster freigelegt, welche die Titelthese »Machtmensch« schaurig bekräftigen: Mord und Totschlag, Hinterhalt und Intrigen, liederliche Verflechtungen. Was in Menschen abgründig ist, wird bei Shakespeare ans Licht gebracht. Das Licht der Finsternis. Die jungen Schauspieler stürzen sich darauf.

Es macht Freude, ihre gut gebildeten Stimmen zu hören, wie sorgsam sie den Text behandeln, wie mühelos die Verse perlen. Die jungen Schauspieler haben an Persönlichkeit gewonnen. Ihr Umgang mit den Figuren ist geprägt vom erlernten Handwerk. Das erzeugt Gelassenheit.

Regie-Studenten dürfen das Können der Schauspieler-Truppe zur gemeinsamen Weiterbildung nutzen. Verblüffende Stunts sind zu sehen, Pantomimen geben der Inszenierung Witz und Pfiff, ohne sich zu verselbständigen, Tanz, Akrobatik und Gesang – das in Kursen und im obligatorischen Unterricht Erlernte, wird behutsam angewendet.

Margarita Breitkreiz (aus Sibirien, Sie erinnern sich?), deren reizvoller Akzent (als Julia) im vergangenen Jahr noch deutlich war, hat es zu beinahe perfekter Aussprache gebracht. Ihr schüchterner Romeo (Alexander von Hugo), damals noch ausgeliefert ans Übermaß der literarischen Figur, steht jetzt selbstbewußt auf der Bühne, er führt seine Rolle, nicht sie ihn. Gabor Biedermann (»Kälte« im Deutschen Theater, s. Ossietzky 23/04) versteht es nunmehr, auch seinen Körper souverän ins Spiel zu bringen, die Lust an der Bewegung ist ihm anzusehen. Manchmal zweifelt er, ob er wirklich will, was er da tut auf den Brettern, die die Welt bedeuten. An diesem Vormittag ist zu sehen: er will. Niklas Kohrt (dito »Kälte«) ist ein vorzüglicher Sprecher. Bei ihm besteht derzeit die Gefahr, daß er im eigenen Wohllaut badet, so daß ihm die Figur wegschwimmt. Er ändert das, sobald es ihm bewußt wird. Er kann das.

An diesem Tag (erste Hauptprobe) zeigt die Inszenierung noch Längen. Die Stoppuhr der Regisseurinnen und Regisseure (André Rößler, Sebastian Klink, Sebastian Martin, Yvonne Groneberg. Julie Pfleiderer) sagt es, der Betrachter empfindet's. Das Tempo zu beschleunigen, ist eine Frage von Exerzise, steter, zeitraffender Wiederholung der Abläufe. Bis zur Premiere schaffen sie das. Toi, toi, toi. Aufführungen von »Shakespearemachtmensch« sind demnächst im Studiotheater zu sehen. Ich freue mich auf das Intendantenvorsprechen dieses Studienganges im Oktober, Schluß- und Höhepunkt der Ausbildung. Bis dahin.

Erschienen in Ossietzky 10/2005