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Allerdings nicht in einem der behäbigen Vorderhäuser, sondern im Obergeschoß eines ausgedienten Schlachterschuppens, der in einem von uralten Obstbäumen beschatteten Hinterhof stand. Zu ihrem Zimmerchen führte eine steile, wacklige eiserne Außentreppe, deren lautes Geschepper eine Klingel überflüssig machte. Zwei Betten standen in dem Raum. Das eine an der rechten, das andere an der linken Seitenwand. Zwischen ihnen, an der oben schrägen fensterlosen Rückwand, ein chaotisch vollgestopftes Büchergestell. An der Vorderwand, zum Fenster hin, die Sitzbank, drei Sessel, ein Tisch und ein paar ewig mit Büchern belegte Stühle. Rechts neben der Eingangstür, hinter dem Vorhang, die Spüle und die Kochgelegenheit, ein Klo und ein schmales Handwaschbecken. Wahrlich kein üppiges Altenteil! Weil ich einigen damaligen Berner Spitzenpolitikern unliebsam aufgefallen war, konnte ich – zumindest im zahlenden Teil der Schweizer Presse – zeitweilig nur unter Pseudonym und mittels Deckadressen publizieren. Eine von ihnen war die der Lerskis. Die für mich dort eingegangen Honorare rückte Anneliese freilich immer erst nach gründlicher Kritik am Text heraus. Sie war eine bewundernswert geduldige und genaue Leserin. Selbst dann, wenn es im zur Debatte stehenden Artikel um so spezielle Dinge wie Straßenwischerlöhne, die giftigen Abgase der Kehrichtverbrennungsanstalt oder um die Schmutzzulage der Kanalisationsarbeiter ging. Kein schiefes Sprachbild ließ die schmale, hochgewachsene alte Dame durch; kurzschlüssige Verallgemeinerungen waren ihr ein Greuel, und ebenso erbarmungslos rügte sie meinen verschwenderischen Umgang mit Adjektiven und mit Ausrufezeichen. Tee gab's erst nach erteilter Lektion und Regelung des Geschäftlichen. Und dann war Helmar dran, ein 80jähriger Riese mit schlohweißem Haar, hell-wachen, scharf beobachtenden Augen und einem Gesicht, dessen Profil an die Altersportraits Goethes und Gerhart Hauptmanns erinnerte. Nur: Lerskis Antlitz strahlte Güte aus. Vor allem aber war er ein begnadeter Erzähler, dessen reale Vita derart reich und intensiv war, daß er nichts hinzuzuerfinden brauchte. Vermutlich um der »Eindeutschung« des Elsaß zu entgehen, waren seine Eltern nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870-71 aus Strasbourg ins Zürcher Proletarierviertel Außersihl gezogen, wo er mit zwölf Geschwistern aufwuchs. Zweiundzwanzigjährig emigrierte er nach Nordamerika, wurde Schauspieler, trat erst an deutschsprachigen New Yorker Bühnen, später in Milwaukee und in Chikago auf und hätte sein Dasein mit einiger Wahrscheinlichkeit als erfolgreicher nordamerikanischer Bühnen- und Filmstar beschlossen, wäre da nicht seine erste Frau gewesen, die ihm den Weg zu einer völlig anderen Lebensleistung wies. Lerski: »Als ich sie kennen lernte, war sie Bühnenfotografin. 1911 eröffnete sie in Milwaukee ein eigenes Atelier und wollte bald auch mir das Fotografieren beibringen, indem sie mir mit aller Macht die vermeintlich eisernen Gesetze der fotografischen Porträtkunst einzutrichtern versuchte, mir also endlose Vorträge über die entscheidende Bedeutung nordwärts gerichteter Atelierfenster, den korrekten Umgang mit Vorhängen und anderen Studio-Dekorationen, die schattenlose Ausleuchtung von Hintergründen und die übrigen ewigen Wahrheiten der Berufsfotografen jener Tage hielt. Doch ich mochte ihre Reglements nicht, sperrte mich gegen den Absolutheitsanspruch ihrer ›So-und-nicht-anders-muß-man's-machen‹-Lehren.« War seine Frau beruflich unterwegs, begann Lerski zu experimentieren. Erst heimlich. Doch bald schon begann er, sehr zum Ärger seiner Frau, im Atelier die lehrbuchmäßigen Arrangements von Lampen, Kamera und Objekten zu verändern. Und als er eines Tages herausfand, daß es dort nebst dem erlaubten Nordlicht noch je ein östliches und ein westliches Fenster gab, entfernte er die dicken Wandbehänge, hinter denen sie versteckt gewesen waren, riß sie auf – und machte die Entdeckung seines Lebens: »Als ich das Antlitz des zu fotografierenden Modells auf der Mattscheibe des Fotoapparates betrachtete, war mir, als würde es von den jetzt verbotenerweise aus mehreren Quellen und in unterschiedlicher Stärke flutenden Helligkeiten nicht mehr nur beleuchtet, sondern regelrecht durchleuchtet! Ja, mir schien, als sähe ich in den Menschen, der da vor mir saß, hinein! Die sein Gesicht umspielenden Lichter und die dabei entstehenden Schattenwürfe modellierten ihn sozusagen neu, ließen unversehens Charakter, Temperament, Persönlichkeit des Zeitgenossen erahnen!« So erkannte Helmar Lerski das Licht als das nicht nur chemisch, sondern auch gestalterisch entscheidende Element der Porträtfotografie. Man mußte freilich schon wissen, wen man vor der Kamera hatte, und das Licht entsprechend dirigieren. Lerski: »Von da an war ich von der Idee, mit Licht bewußt Gesichter zu gestalten, wie besessen. Immer wieder versuchte ich, das, was ich in jenem ersten Augenblick gesehen hatte, zu rekonstruieren, neue Lichterkonstellationen zu erproben, möglichst viele unterschiedliche Gesichter auszuleuchten. Denn je nachdem, wie ich von nun an mit Spiegeln und Reflektoren Sonnenstrahlen lenkte, kreuzte und dosierte, wurde aus ein und demselben Modell bald ein Optimist, bald ein Melancholiker, ein Held oder ein Schwächling. Es kam einzig darauf an, worauf ich das Licht lenkte und was ich im Schatten ließ. Und indem ich es immer wieder variierte, ging mir auf, daß potentiell in jedem Menschen alles drinsteckt. Die Frage ist nur, worauf das Licht fällt!« Eine These, die im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ankam. 1914 berief man Lerski an die Staatsuniversität von Austin, wo er einen der ersten Lehrstühle für Fotografie aufbaute. Auf den amerikanischen Fotoporträtisten wurde man nach 1918 aber auch in Deutschland aufmerksam. Eine Ausstellung seiner Werke in Berlin brachte ihm die Stellung eines »Chefoperateurs der UFA« ein, und bald schon arbeitete er mit den bekanntesten Regisseuren und mit Schauspielern wie Emil Jannings, Conrad Veidt, Werner Krauss und Henny Porten. Einige avancierten – nicht zuletzt dank Lerskis Art, sie auszuleuchten – zu berühmten Filmstars. Außerdem, nicht nur nebenbei, porträtierte er Unbekannte. »Den Rest romantischer Neigung, die noch in den amerikanischen Bildern steckte, streifte ich bald ab. Auch wurde ich es müde, Menschen vor meiner Kamera zu haben, die mich zu zwingen suchten, sie so zu sehen, wie sie sich selber sehen wollten. Es ging mir jetzt nur noch um Wahrhaftigkeit, um das Eindringen ins Wesentliche. Falten und Runzeln, die Schrift, die das gelebte Leben in Gesichtern hinterläßt, störten mich nicht mehr. Ich wollte ja nichts vertuschen, ich wollte sichtbar werden lassen, wie es um Menschen stand. Klar, daßich damit bei so manchem Prominenten keinen Anklang fand. Auch deshalb wandte ich mich mehr und mehr den sogenannten kleinen Leuten zu. Ich setzte sie ins ›richtige Licht‹, und sie verwandelten sich aus Erniedrigten und Beleidigten in Menschen voller Kraft und Würde, voller Mut und Intelligenz....« So wurde ich, damals ein Reporter-Küken, dank einmal wöchentlicher Artikel-Kritik und Tea-time im einstigen Schlachteschuppen an der »Platte« nach und nach nicht nur mit Helmar Lerskis Vita, sondern auch mit seinem Werk vertraut. Was selbstverständlich dazu führte, daß ich an Letzterem auch meine eigenen, mit der Rolley und mehr Glück als Verstand geknipsten Reportage-Illustrationen maß. Sie dem Meister vorzulegen, getraute ich mich erst nach langem Zögern, gefaßt auf niederschmetternde Kritik. Doch wunderbarerweise ging er genauso ernsthaft auf sie ein wie seine Frau auf meine Texte, analysierte Bild um Bild, lobte das ein oder andere Motiv, wies freundlich auf verschenkte Möglichkeiten hin, diskutierte mit mir stundenlang den Umgang mit Objektiven, Brennweiten und Belichtungszeiten und erklärte, was er meinte, an Beispielen aus dem eigenen Fundus. So aus seinem 1931 erschienenen Bildband »Köpfe des Alltags«, in dem sich, von Lerski »ins richtige Licht« gerückt, 80 konterfeite Namenlose als unverwechselbare Persönlichkeiten zu erkennen gaben. Zum nicht minder wichtigen Lehrmaterial wurde mir indes auch Lerskis zweiter, mit einem Vorwort Albert Einsteins versehener Porträtband »Der jüdische Mensch« sowie sein eigentliches, nach 1933 in Palästina entstandenes Hauptwerk »Verwandlungen durch Licht«. Es enthielt weiter nichts als 175 Aufnahmen ein- und desselben jungen Mannes, der noch nicht einmal besonders fotogen war, dafür aber die Geduld aufgebracht hatte, sich während drei Monaten tagtäglich einem stets wechselnden Kreuzfeuer von Sonnenstrahlen, gelenkt von nicht weniger als 16 Spiegeln und Blenden, auszusetzen. Was, obschon er dabei sitzen konnte und sich kaum zu rühren brauchte, in Wahrheit auf eine Vorübung fürs Fegefeuer hinauslief, denn die Sessionen fanden auf dem Flachdach einer Tel Aviver Mietskaserne bei erbarmungsloser Mittagshitze statt. Mithilfe seines dabei nahezu gerösteten Modells lieferte Lerski damals den Beweis, »daß das Objektiv nicht objektiv zu sein braucht, daß der Lichtbildner mit Hilfe eben dieses Lichts frei schaffen, frei charakterisieren kann, nach seinem inneren Gesicht.«
Erschienen in Ossietzky 10/2005 |
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