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Seitdem waren es nur noch Berufssoldaten, die auszogen, die Freie Welt zu verteidigen. Doch gerade jetzt, da viele US-Amerikaner an jene 1970er Jahre zurückdenken, scheint etwas möglich zu werden, was drei Jahrzehnte lang als ausgeschlossen galt: die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Gründe dafür sind Personalmangel in der Armee und rückläufige Rekrutenzahlen in allen Waffengattungen. Diese Vermutungen und Befürchtungen werden genährt von der Reaktivierung der Einberufungsbehörde, die seit 31. März 2005 – erstmals nach 1973 – wieder im Bereitschaftszustand ist. Auf der Eingangsseite der Website der Einberufungsbehörde begegnet einem als erstes ein Dementi: Das Selective Service System (SSS) streitet ab, in irgendeiner Form eine Einberufung vorzubereiten. Es räumt lediglich ein, wie stets seit 1980 bereit zu sein, eine Einberufung vorzunehmen, falls Präsident und Kongreß sie anordnen. Diese Aussage ist teils wahr, teils falsch, aber vor allem überflüssig. Niemand behauptet, das SSS könne eigenmächtig die Wehrpflicht einführen. Es ist aber erwiesen, daß es aus dem Dornröschenschlaf der 80er und 90er Jahre längst aufgeweckt wurde und inzwischen immer mehr Geld erhält – mit eindeutigen Absichten. Wie aber funktioniert eigentlich Wehrpflicht in einem Land ohne Meldewesen? Wie Amerikaner immer wieder stolz betonen, gibt es in den USA keinerlei Pflicht, sich polizeilich zu melden. Wie also kann der Staat Wehrpflichtige einziehen? Seit dem ersten Weltkrieg besteht das SSS, die Einberufungsbehörde. Die Aufgabe des SSS in Friedenszeiten ist es, jederzeit über den Wohnort jedes männlichen Einwohners der USA zwischen 18 und 25 Bescheid zu wissen (lediglich zwischen 1975 und 1980 wurde diese Verpflichtung ausgesetzt). Der männliche Einwohner selber hat die Aufgabe, sich vom SSS registrieren zu lassen. Ausnahmeregelungen gelten für Männer, die sich im Militäreinsatz oder in der Offiziersausbildung befinden, sowie für Staatsbürger anderer Nationen, die sich mit Studentenvisum, Besuchervisum oder einem Diplomatenpaß in den USA aufhalten. Ebenfalls ausgeschlossen von der Registrierungspflicht sind Patienten in Krankenhäusern und Psychiatrien, Strafgefangene und Schwerstbehinderte. Alle anderen müssen sich spätestens 30 Tage nach ihrem 18. Geburtstag oder ihrer Wohnsitznahme in den USA beim SSS melden. Die Einberufungsbehörde speichert persönliche Daten und Adressen, damit der Einzelne im Falle einer Einberufung auch erreichbar ist; jede Adreßänderung ist der Einberufungsbehörde mitzuteilen. Die Strafandrohung für eine versäumte Registrierung beträgt bis zu fünf Jahre Haft und Geldbußen von bis zu 250 000 Dollar. Sich nicht registrieren zu lassen, ist kein Vergehen, sondern eine Straftat. In vielen Bundesstaaten führt eine Verurteilung zu lebenslangem Verlust des Wahlrechts (s. Ossietzky 24/04) . Bisher hat sich der Staat aber zumeist auf schwächere Sanktionen beschränkt wie den Entzug aller staatlichen Leistungen (Ausbildungszuschüsse, Stipendien) und die Nichteinstellung in den öffentlichen Dienst, zum Beispiel bei der Post. Bei Nicht-Staatsbürgern ist die Registrierung Voraussetzung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft. Auf diese Daten greift das SSS zurück, wenn Präsident und Kongreß die Wiedereinrichtung der Wehrpflicht beschließen. Zunächst fände dann eine Lotterie statt, bei der die Geburtstage derer gezogen werden, die als erste einberufen werden; diese unter Nixon eingeführte Lotterie sollte die Wehrgerechtigkeit erhöhen und wurde im Fernsehen übertragen. Dann müssen die Einberufenen zur Musterung erscheinen und werden, wenn sie tauglich sind, ihren Einheiten zugeteilt. Das SSS soll in der Lage sein, 75 Tage nach Wiedereinführung der Wehrpflicht die ersten Rekruten zu stellen. Bereits im Februar 2003 trafen sich der Leiter der Einberufungsbehörde und der zuständige stellvertretende Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium, um über die zukünftigen Aufgaben des SSS zu sprechen. Im September 2003 begann das Pentagon, vakante Stellen in den regionalen Einberufungskommissionen zu besetzen. Die Einberufungsbehörde vergab Aufträge für die Entwicklung einer neuen Datenbank. Im Sommer 2004 wurde eine Probelotterie durchgeführt, außerdem wurden zum ersten Mal seit 31 Jahren wieder organisatorische Vorkehrungen für den Alternative Service getroffen, den ebenfalls von der SSS organisierten Zivildienst. Alle Stellen der Einberufungsbehörde sollten zum 31. 3. 2005 melden, daß sie im Notfall innerhalb von 75 Tagen eine Einberufung durchführen könnten. In den Gesprächen zwischen SSS und Verteidigungsministerium ging es aber nicht nur um die traditionelle Einberufung, sondern um eine neue Form der Dienstverpflichtung, nämlich den sogenannten skills draft : Einberufung nicht zur kämpfenden Truppe, sondern auf freie Stellen von Fachkräften. Der skills draft soll Männer und Frauen zwischen 18 und 34 erfassen und detaillierte Informationen über ihre Qualifikationen und Fähigkeiten speichern. Die Einberufung dieser Qualifizierten (zunächst wahrscheinlich Sprach- und Computerexperten) wäre nicht nur für den Bedarf des Verteidigungsministeriums möglich, sondern auch für das Department of Homeland Security und andere Einrichtungen. Das Protokoll dieses Treffens spricht davon, zusätzlich zu den einfachen identifizierenden Informationen, die bisher gesammelt werden, in einem erweiterten und überarbeiteten Programm die Angabe aller Fähigkeiten und Qualifikationen zu verlangen, die für die nationale Sicherheit oder das Gemeinwohl entscheidend sein könnten. Diese Angaben müßten Männer und Frauen bis zum Alter von 35 Jahren laufend aktualisieren. Schon heute gibt es in den USA keine größere bundesstaatliche Datenbank als die des SSS. In den letzten Jahren haben etliche Bundesstaaten Gesetze verabschiedet, die die Führerscheinvergabe mit der Registrierung beim SSS verknüpfen. Wenn die neue Registrierungspflicht oder sogar der skills draft kommt, würden sich Millionen Einwohner Amerikas zwischen 18 und 34 mit ihren persönlichen Daten, ihren gegenwärtigen und früheren Qualifikationen in einer riesigen Datenbank wiederfinden. Doch die Lehren aus Vietnam sitzen sehr tief. Das US-amerikanische Militär hat nach Vietnam lange gebraucht, um sein Ansehen bei der eigenen Bevölkerung wiederherzustellen, und möchte es nicht schnell wieder ruinieren. Die Politiker wissen, daß kaum ein Thema in den USA so heiß umstritten ist wie die Mobilmachung. Politiker beider Parteien haben sich daher vor Wahlen wiederholt von der Wehrpflicht distanziert. Außer in einer extremen Ausnahmesituation wird sich auch George W. Bush nicht dazu durchringen. Eine konventionelle Einberufung ist also unwahrscheinlich. Eine solche Dienstverpflichtung wie ein skills draft hingegen ist eher vorstellbar. Sie würde das Militär entlasten, und der Staat käme zu einer umfassenden Datenbank, die auch für andere Kontrollaufgaben nutzbar wäre. Unter dem Vorzeichen der nationalen Dienstpflicht ließe sich auch das Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat neu definieren; die USA selber würden sich verändern: hin zu einem Staat mit umfassenden Mobilisierungsmöglichkeiten und absoluter Kontrolle über seine Bürger im Namen nationaler Interessen und nationaler Sicherheit. Außerdem würde eine Dienstverpflichtung oder ein skills draft den Kriegsgegnern weniger politische Munition liefern. Der Spezialist für arabische Dialekte, den das Department of Homeland Security angefordert hat, wird höchstwahrscheinlich nicht im medienwirksamen Bleisarg von seinem Einsatz zurückkehren. Noam Chomsky hatte 1967 die Folgen der Einberufung als günstig für die politische Bewußtseinsbildung eingeschätzt: »As the coffins come home and the taxes go up, many people who were previously willing to accept government propaganda will become increasingly concerned to try to think for themselves.« Im Falle des Vietnamkrieges hat er Recht behalten. In den neuen Kriegen wird sich das so kaum wiederholen.
Erschienen in Ossietzky 10/2005 |
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