Absolution für Deutschland

Otto Meyer

»Absolution!« Das Wort fiel jüngst in der Fernsehsendung Menschen bei Maischberger . Peter Scholl-Latour und Arnulf Baring setzten sich vehement dafür ein, in der Papstwahl »die Absolution für die deutsche Nation« zu sehen . Scholl-Latour, katholisch sozialisiert, klärte auf: Absolution bedeute »die Lossprechung von Sünden, Vergebung«. Mit der Wahl eines Deutschen zum Stellvertreter Christi auf Erden durch die Weltkirche – im Glaubensverständnis: durch den Heiligen Geist, also durch Gott – sei nun endlich Schluß mit dem Starren auf unsere unglückliche Vergangenheit. Das »schwarze Loch« der deutschen Geschichte, die zwölf Jahre Nazi-Diktatur mit den Menschheitsverbrechen, sei damit endgültig verschwunden, vergeben und vergessen: Absolution durch Gott und Weltkirche.

Baring stimmte zu: Was er schon lange fordere, sei mit der Wahl des Deutschen Joseph Ratziger zum Papst Benedikt XVI. von und vor der ganzen Welt bestätigt worden. Und er erklärte, wozu das gut ist: »Tief sitzender Selbstzweifel ist ein wesentlicher Grund für die Stagnation im Lande.« Die Agenda 2010 könne so lange nicht gelingen, wie wir mit unserer Geschichte noch nicht richtig ausgesöhnt seien. Damit müsse jetzt Schluß sein, auch die zwölf Jahre gehörten dazu, im Guten wie im Bösen...

»Wir sind Papst« hatte die Bild- Zeitung getitelt und »Unser Joseph Ratzinger ist Benedikt XVI.« Was zunächst nur eine der üblichen Bild -Übertreibungen zu sein schien, erwies sich bald als Ausdruck der Stimmungslage in Kreisen, die sich selbst für Eliten in diesem Lande halten. Ob Präsident, Kanzler oder OppositionsführerInnen – alle wollten sie teilhaben an der Gnadengabe dieser Absolution und ein bißchen oder sehr »stolz« sein auf unser durch und mit Benedikt gesegnetes deutsches Vaterland.

Wo Glück und Segen so offen gezeigt werden, kann Neid nicht ausbleiben, der sie aber erst vollkommen macht. Am Tag darauf verkündete der Bild- Aufmacher: »›Hitler-Junge‹ – Engländer beleidigen deutschen Papst!« Englische Blätter hätten getitelt: »Vom Hitler-Jungen zum Papa Ratzi« oder »Panzerkardinal«; der Daily Mirror habe gar geschrieben: »Von Hitler-Jugend bis Vatikan – die Reise des Vollstreckers«. Und auch in Skandinavien habe es »verzerrende« Kritik gegeben. Bild stellte alles richtig: Die Hitler-Jugend war nach der Darstellung des Blattes eigentlich eine tolle Pfadfindertruppe, die nur von Hitler im Krieg mißbraucht worden sei! Aber was soll man auch von ehemaligen Feinden oder Neutralen anderes als Neid und Unverständnis erwarten? Zumal, wenn sie nicht mal richtige Christen, nämlich nicht katholisch sind! Bild vermutet einen »Papstneid bei Protestanten«.

Doch ob anglikanisch, evangelisch oder katholisch – »Absolution« setzt nach christlicher Lehre ein von Herzen kommendes Sünden- und Schuldbekenntnis voraus sowie den festen Vorsatz zu Buße und Umkehr. Davon allerdings war weder bei Scholl-Latour noch bei Baring und schon gar nicht bei den Bild -Zeitungsmachern etwas zu vernehmen. Und daß Köhler, Schröder, Merkel und Co. den längst wieder begonnenen Griff nach Weltmachtgeltung Deutschlands – ökonomisch und militärisch – jetzt aufgeben und sich der behaupteten »Absolution« würdig erzeigen wollen, zeichnet sich bisher nicht ab. Wer sich aber die Absolution nur erheuchelt, wird verdammt bleiben vor Gott und der Welt.

Karl-Heinz Völker, Frage zu Ihrem Aufsatz (26. Sep. 2005, 17:04)

Erschienen in Ossietzky 10/2005