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Der Führer lebtMit Recht war Stalin mißtrauisch gegenüber dem verkohlten Hitler-Leichnam. Albert Speer hatte sich für den geliebten Adolf geopfert. Hitler schlüpfte mit operativer Hilfe zweier Leibärzte in die Hülle und unter die Maske seines Architekten, der als krimineller Rüstungsminister und Sklavenhalter keine Chance sah, beim Nürnberger Prozeß mit dem Leben davonzukommen. Der Führer jedoch, den Speer spielend, verfügte über die unendliche Magie eines von der Vorsehung gesandten Demagogen. Das Experiment gelang. Speer alias Hitler – Adolf als idealistischer Albert, ein bürgerlicher Edelnazi eben, wie ihn das deutsche Bürgertum zum Spitzenprodukt entwickelte, dieser Kunst-Speer also leugnete seine Menschheitsverbrechen raffiniert mit so theatralischer Finesse, daß ihn die Nürnberger Richter mitleidsvoll vor dem Galgen bewahrten und fürsorglich für 20 Jahre in einen Berliner Luxusknast einwiesen. Adolf-Albert diktierte in der Zelle seine memorierten Lügen wie einst in der noblen Landsberger Festungshaft das Buch »Mein Kampf«. 1965 freigelassen, schob er die gesammelten Märchen einem gewissen Joachim Fest zu, der fortan die Mohrenwäsche in ungezählte Bestseller verwandelte und jenen Film von des Führers »Untergang« als hirnerweichendes Rührstück konzipierte, bei dem der in Wirklichkeit längst zu Staub zerfallene Albert Speer auch noch eine heroisch-widerständige Rolle auf den toten Leib geschrieben kriegte. Als endlich ein notorisch querulanter Filmemacher namens Breloer auftauchte und nach solider Recherche den ganzen Schwindel platzen ließ, gestand Joachim Fest im Spiegel vom 2. Mai 2005 auf Seite 76: »Speer hat uns allen eine Nase gedreht.« Wobei Fest samt Spiegel immer noch naseweis verschweigen, daß Speer gar nicht Speer, sondern dessen Führer ist, so wie Fest nicht Fest, sondern eine Erfindung von Goebbels zum Zwecke der Verklärung des weiland Dritten Reiches ist. In einem Punkt ließ sich allerdings selbst der grandiose Breloer noch durch Fests Imitate täuschen. Der Film Breloers trägt den Titel »Speer und Er«. Mit »Er« ist Hitler gemeint. Tatsächlich ist Speer aber Hitler selbst. Und Fest ist ihr Prophet. Oder so ähnlich. Stalins Mißtrauen jedenfalls war berechtigt. Der Führer lebt. Gerhard Zwerenz
Erschienen in Ossietzky 10/2005 |
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