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Ein deutscher DemokratReinhard Bockhofer Der Ossietzky- Redaktion liegen mehrere unangeforderte Artikel zum 200. Todestag Friedrich (von) Schillers vor. Einer würdigt mit passablen Argumenten und Zitaten den Dichter als Freiheitsbarden, ein anderer schilt ihn mit nicht minder eindrucksvollen Belegen als Fürstenknecht; etliche Generationen deutscher Schüler mußten Sätze auswendig lernen wie »Wenn sich die Völker selbst befrein / Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn«, »Freiheit ist ein herrlicher Schmuck, der schönste von allen / Und doch steht er, wir sehns, wirklich nicht jeglichem an«, »Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen, der Staat muß untergehn, früh oder spät, wo Mehrheit siegt.« Da nun aber zu diesem Jahrestag anderweitig schon sehr viel gedruckt worden ist, bitten wir unsere Autoren um Verständnis, daß keiner der eingesandten Artikel erscheint, dafür aber der folgende Beitrag zum 200. Geburtstag von Johann Jacoby. Wie, Sie kennen ihn nicht alle, diesen jüdischen Arzt aus Königsberg (dessen rechtlicher Status heute einem geduldeten Asylbewerber nicht-christlicher Religion vergleichbar wäre)? Eben. Drum. Red.
Als im Jahre 1822 der 17jährige Johann Jacoby an der Königsberger Universität das Medizinstudium aufnahm, ahnte er wenig von den politischen Verhältnissen, und als er es fünf Jahre später mit einer Doktorarbeit zum Thema Delirium tremens abschloß, lag ihm die Politik immer noch fern. Der junge Arzt sammelte in Polen Erfahrungen mit der Cholera. Die Seuche erreichte bald auch Königsberg und forderte hier 1300 Todesopfer. Jacoby wurde in der Stadt als einziger Experte geachtet und wegen besonderer Hilfsbereitschaft geschätzt. Die Juli-Revolution 1830 in Frankreich, der kurze Sieg der Franzosen über das aufgezwungene Königtum, elektrisierte den 25jährigen. Die politischen Hoffnungen der Zeit machten sich in Unruhen Luft, in Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Sachsen, Hannover, Braunschweig, in der preußischen Rheinprovinz. Das Militär schlug alle Aufstände nieder. Jede freiheitliche Regung wurde im Keim erstickt. In Jacoby wuchs die Entschlossenheit, gegen Fürstenherrschaft, für Freiheit und Recht aller Unterdrückten zu kämpfen. Die Amtsenthebung der »Göttinger Sieben« im November 1837 bewog ihn zu solidarischem Handeln. König Ernst August von Hannover hatte die Landesverfassung außer Kraft gesetzt. Als die Ständeversammlung protestierte, löste er sie kurzerhand auf. Sieben Göttinger Professoren erklärten gemeinsam, sie fühlten sich der Verfassung weiterhin verpflichtet. Der König verfügte Berufsverbote. Gehaltszahlungen wurden eingestellt, drei der Professoren (Friedrich Christoph Dahlmann, Georg Gottfried Gervinus und Jacob Grimm) des Landes verwiesen. Eine Welle des Protestes ging in den folgenden Wochen durch alle deutschen und viele andere Länder. In Königsberg sammelte Jacoby für den vertriebenen Professor Dahlmann 1600 Reichstaler, in heutiger Kaufkraft etwa 50 000 Euro. Sein Begleitbrief zu der Geldsendung zeigt die Maßstäbe, die er an sein politisches Handeln anlegte: »Wer das Rechtsgefühl teilt, aus welchem Ihre Tat hervorgegangen, ist verpflichtet, Ihnen auch die Folgen dieser Tat tragen zu helfen.« Der mächtige, erzkonservative preußische Innen- und Polizeiminister Rochus von Rochow geißelte solche Geldsammlungen als »strafbare Anmaßung« von Menschen mit beschränktem Untertanenverstand. Auch der preußische König Friedrich Wilhelm III. hatte 1815 am Ende der antinapoleonischen Befreiungskriege seinen Untertanen eine »Repräsentativverfassung« und mehr Mitsprache versprochen, um die Kriegsbereitschaft wachzuhalten. Doch nachdem das napoleonische Joch abgeschüttelt war, war das Versprechen schnell vergessen. Die an den Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. geknüpften Hoffnungen erwiesen sich ebenso als trügerisch. Unter diesem Eindruck verfaßte Jacoby eine Flugschrift, die Anfang 1841 unter dem Titel »Vier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen« erschien. Darin forderte er, politische Unmündigkeit, Staatswillkür, Rechtlosigkeit, Allmacht und Gesinnungsschnüffelei müßten ein Ende haben. Er begründete das Recht des Volkes auf Verfassung und Volksvertretung, auf frei gewählte Repräsentanten, welche die Regierung wirksam kontrollieren, auf gesetzmäßige Teilnahme der Bürger an staatlichem Handeln und auf eine unabhängige Justiz. Er rief dazu auf, nicht länger auf die Gnade des Königs zu warten, sondern »das, was bisher als Gunst erbeten, nunmehr als erwiesenes Recht in Anspruch zu nehmen«. Kein preußischer Untertan hatte je zuvor so mutig, klar, knapp, so kompromißlos formuliert. Die anonyme Flugschrift soll Buchhändlern »aus den Händen gerissen« worden sein. Der preußische König reagierte »mit lebhafter Entrüstung« und voller Zorn, weil Zensur, Verbot und Beschlagnahme der »Schandschrift« mißlangen. Er ordnete an, der Verfasser solle schleunigst gefaßt und strengstens bestraft werden. Die Verfügung war noch auf dem Postwege, als Jacoby dem König am 23. Februar 1841 eine kühne Selbstanzeige schrieb, in der es hieß: »Und so wage ich denn vor meinem Könige die Anonymität aufzugeben und – der gesetzlichen Verantwortung mich unterziehend – diese jetzt in Mannheim erschienene Schrift gegen jeden Eingriff willkürlicher Deutung unter Euer Majestät erhabenen Schutz zu stellen.« Auf Rat seines Ministers von Rochow ließ der König die Kriminaluntersuchung gegen Jacoby geheim eröffnen – wegen Hochverrats. Bei Hochverrat drohte Hinrichtung. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Flugschrift und Prozeß machten Jacoby in allen deutschen Landen bekannt. Der Geheimprozeß, bei dem die Richter den Angeklagten (und der Angeklagte die Richter) nicht einmal zu Gesicht bekamen, begann Mitte März. Bis zum 26. April wurde Jacoby 16mal polizeilich verhört, an manchen Tagen bis zu sechs Stunden, und sein Haus wurde durchsucht. Allein in Königsberg wurden 96 Zeugen vernommen, selbst Kinder. Alle an Druck und Verbreitung der Schrift Beteiligten sollten bestraft werden. Geheimverfahren, Zensurbehörden und Polizeispitzel konnten nicht überall verhindern, daß Notizen Jacobys über die Verhöre in der Presse erschienen. Er kommentierte: »Die Öffentlichkeit allein ist die Waffe, durch die wir siegen können…!« Durch Zuständigkeitsstreit dauerte es bis zum 5. April 1842, bis das Berliner Kammergericht das Urteil sprach: zweieinhalb Jahre Festungshaft wegen Majestätsbeleidigung, frechen Tadels der Regierung, Verspottung der Landesgesetze und Erregung von Mißvergnügen. Jacoby legte Rechtsmittel ein. Nach zweijähriger Prozeßdauer sprachen Preußens höchste Richter ihn frei. Mit unbeschreiblichem Jubel nahm die Öffentlichkeit diesen Sieg über Polizei- und Justizwillkür auf. Zwei Jahre später hatte Jacoby wegen neuer Veröffentlichungen zwei weitere bedrohliche Majestätsbeleidigungsprozesse durchzustehen und wurde wiederum freigesprochen. Die Ausrufung der Republik in Frankreich im März 1848 schien auch in Deutschland Fürstenthrone ins Wanken zu bringen. Die Revolution aber wurde blutig zerschlagen. Als der preußische König zum Gegenschlag ausholte, setzte sich Jacoby, inzwischen Abgeordneter in der preußischen Nationalversammlung, für einschneidende Gegenmaßnahmen ein. Sein Antrag wurde niedergestimmt. 25 Abgeordnete sollten stattdessen nach Potsdam reisen, um dem König eine Bittschrift zu erläutern, darunter Parlamentspräsident von Unruh und Jacoby, der von dieser Aktion nichts hielt. Der König wollte die Abgeordneten zunächst nicht einmal empfangen. Später erlaubte er dem Präsidenten, die Bittschrift zu verlesen. Wortlos nahm der König die Schrift entgegen, drehte sich um, wollte den Saal verlassen. Wie dumme Schuljungen standen die Volksvertreter da. Keiner wagte ein Wort, nur Jacoby faßte Mut: »Majestät! Wir sind nicht bloß hierher gesandt, um eine Adresse zu überreichen, sondern auch, um Eure Majestät mündlich über die wahre Lage des Landes Auskunft zu geben. Gestatten Eure Majestät daher – «. Als der König den Wunsch mit schroffem »Nein!« abkanzelte und auf die Tür zuging, rief Jacoby ihm hinterher: »Das ist immer das Unglück der Könige gewesen, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen!« 24 Volksvertreter erstarrten. Jacoby hatte das Wort ergriffen, ohne vom König ermächtigt worden zu sein. Noch im Schloß, dann auf der Rückreise, am nächsten Tag in der preußischen Nationalversammlung hagelte es Vorwürfe und Pfui-Rufe über Jacobys unerhörte Dreistigkeit. Landesweit verdammten die einen Jacoby, die andern feierten ihn. Berliner Bürger ehrten ihn mit Massendemonstration und Fackelzug. Am 26. April 1849 stimmte die preußische Nationalversammlung der »Paulskirchenverfassung«, der ersten gesamtdeutschen Reichsverfassung, gegen den Willen des Königs zu. Friedrich Wilhelm IV. löste daraufhin die preußische Nationalversammlung auf. Widerstand blieb aus. Im sächsischen Dresden brach ein Aufstand zugunsten der Reichsverfassung aus. Der König von Sachsen floh und rief das preußische Militär zu Hilfe. Als der Aufstand niedergekämpft war, erklärte der preußische König – ohne Rechtsgrundlage – das Mandat der preußischen Abgeordneten in der Frankfurter Nationalversammlung für erloschen. Obrigkeitshörig folgten die über 100 preußischen Volksvertreter dem Befehl. Das Paulskirchenparlament wurde zum »Rumpfparlament«. Jacoby, im Mai 1849 als Abgeordneter nachgerückt, wollte als allerletzte Rettungschance für die Demokratie in Deutschland seinen Wählerauftrag noch nutzen; durch sein Nachrücken stellte er die Beschlußfähigkeit der Nationalversammlung wieder her. Vergeblich. Schon am 18. Juni 1849 wurde dieses erste deutsche Parlament, inzwischen nach Stuttgart gewechselt, durch württembergisches Militär brutal gesprengt. Die Polizei fahndete bereits nach Jacoby. Wegen Hochverrats verlangte Berlin seine Auslieferung. Er floh in die Schweiz. Freunde beschworen ihn, dort sei er sicher. Jacoby aber stellte sich dem Gerichtsprozeß. Seine Begründung: »Mögen überweise Egoisten mich einen Schwärmer heißen oder ›Märtyrersucht‹ mir als Motiv unterlegen – je mächtiger die Willkürherrschaft, je allgemeiner die Furcht vor derselben, um so mehr fühle ich die Verpflichtung in mir, mit dem Beispiele des Mutes voranzugehen und der Gewalt mein gutes Recht entgegenzustellen.« Diesmal schien sich die Schlinge um Jacobys Hals zuzuziehen. Seine Freunde waren in größter Sorge. Mit acht gegen vier Stimmen sprach das Königsberger Geschworenengericht Jacoby zur allgemeinen Überraschung frei. Donnernder Applaus auf den Zuschauerbänken, Jubel in der Öffentlichkeit! Ab 1863 warnte Jacoby vor der preußischen Annexions- und Kriegspolitik und vor »Verblendung« durch militärische Erfolge: »Soll Preußen als Rechtsstaat erstehen, muß notwendig der Militär- und Junkerstaat untergehen!« Entsetzt zeigte sich Jacoby darüber, wie sich die deutsche Nation von Mitte der sechziger Jahre an durch Bismarck in den Krieg gegen Frankreich hineinhetzen ließ. »Deutschland – in staatlicher Freiheit geeint – ist eine sichere Bürgschaft für den Frieden Europas. Unter preußischer Militärherrschaft dagegen ist Deutschland eine beständige Gefahr für die Nachbarvölker, der Beginn einer Kriegsepoche, welche Europa in die barbarischen Zeiten des Faustrechts zurückzuwerfen droht.« Bismarcks Politik entwickelte sich am Parlament vorbei. Jacoby kritisierte die Finanzierung der Kriege ohne Beteiligung der Abgeordneten als verfassungswidrig: Wenn die Bürger die Lasten des Krieges zu tragen hätten, müßten sie auch mitentscheiden dürfen, ob sie den Krieg wollen. Seine Mahnungen verhallten im Wahn jener Zeit. Als die preußischen Kriegsvorbereitungen heimlich intensiviert wurden, saß Jacoby nicht im Parlament, sondern im Gefängnis. Preußens Ministerpräsident von Bismarck hatte ein Ermittlungsverfahren gegen ihn empfohlen – wegen Störung der öffentlichen Ordnung und Vorbereitung des Hochverrats. Das Plenum des Landtags entschied zweimal, Jacobys Immunität nicht aufzuheben: das erste Mal im Januar 1864 »mit großer Mehrheit«; das zweite Mal »einstimmig« am 12. Juni 1865. Jeweils wenige Tage nach den beiden Beschlüssen löste der König das Parlament auf. Jacobys Immunität war in entscheidenden Momenten des Hochverratsprozesses erloschen. Das unter Ausschluß der Öffentlichkeit getroffene Urteil zweier Instanzen lautete: sechs Monate Gefängnis wegen »öffentlicher Beleidigung der Mitglieder des Staatsministeriums«. Während seines Gefängnisaufenthalts wurde er in weitere Prozesse verwickelt, deren Ausgang die Haftzeit verlängerte. Mit brillanten, mutigen Verteidigungsschriften gelang es Jacoby, Öffentlichkeit herzustellen und so die Diskussion über eine Verfassung immer wieder neu anzufachen. An die Adresse seiner Wähler gerichtet, forderte er mehr politisches Engagement: »Das Volk muß bereit sein, selbst einzustehen für sein gutes Recht! (…) Selbst denken, selbst handeln, selbst arbeiten muß das Volk, um die papierne Verfassungsurkunde zu einer lebendigen Verfassungswahrheit zu machen.« Die politische Freiheit sah er auch als Voraussetzung für die Überwindung sozialen Elends. In seinen letzten Lebensjahren trat der radikaldemokratische Liberale der Sozialdemokratie bei. Aus der Erfahrung mehrerer gewaltsamer Parlamentsauflösungen durch das Militär zog er seine vielleicht wichtigste Lehre: Jede Revolution sei verloren, welche die alten wohlorganisierten Gewalten neben sich fortbestehen läßt. Doch in der deutschen Revolution 1918 unterblieb der Bruch mit der Vergangenheit; die Weimarer Republik wurde kaiserlichen Militärs, Beamten und Richtern überlassen, die sie ablehnten und von innen her zerstörten. Am 6. März 1877 starb Johann Jacoby. Tausende, die im Trauerzug seinem Sarg folgten, ehrten damit einen Mann, der Thron, Altar und Habgier der besitzenden Klasse den Kampf angesagt hatte, einem geradlinigen, mutigen Oppositionellen, der sich selbst in Zeiten harter Unterdrückung nicht anpaßte. Auch heute, da Opposition in der Kunst besteht, so geschickt dagegen zu sein, daß man später dafür sein kann, brauchen wir dringend Menschen mit aufrechtem Gang. Menschen wie Johann Jacoby.
Mit viel Sachkenntnis und Sympathie geschrieben ist Bernt Engelmanns Biographie »Die Freiheit! Das Recht! Johann Jacoby und die Anfänge unserer Demokratie«, Berlin und Bonn 1984
Erschienen in Ossietzky 10/2005 |
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