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RisikogesellschaftDa kommt Freude auf: Der Internationale Währungsfonds (IWF) konnte in seinem jüngsten Bericht beruhigend mitteilen, das globale Finanzsystem sei »sicherer« geworden, stabiler. Die Wochenzeitung Die Zeit hat sich vom Kapitalmarktexperten des IWF, Gerd Häusler, erklären lassen, wie dieser Fortschritt zustandegebracht wurde. Banken, Versicherungsunternehmen und Fonds, so Häusler, sind inzwischen dazu übergegangen, die finanziellen Risiken »auf sehr viele Schultern zu verteilen« und immer weniger »in ihre eigenen Bücher zu nehmen«. Die neuen Risikoträger sind vornehmlich die privaten Kunden: »Der Preis für das stabilere Weltfinanzsystem sind höhere finanzielle Risiken bei den durchschnittlichen Haushalten« – und die gibt es ja bekanntlich in hinreichend großer Zahl. Der Kapitalmarktexperte gibt ein Beispiel für diese Methode: »Die Pensionsfonds haben den Arbeitnehmern früher eine im Vorhinein festgelegte Rente gezahlt, heute versprechen sie immer öfter keine festen Auszahlungen mehr. Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen zwar Monat für Monat feste Beiträge ein, was aber am Ende herauskommt, hängt von der Entwicklung der Kapitalmärkte und dem Geschick der Fondsmanager ab. Ich glaube, wir haben es mit einer neuen Ära zu tun, wir beobachten diesen Trend in allen Ländern.« Da zeigt sich, daß der Kapitalismus lernfähig ist. Er besorgt nicht nur die Umverteilung des gesellschaftlichen Vermögens von unten nach oben, sondern jetzt auch die Umverteilung der Finanzrisiken von oben nach unten. Arno Klönne
Die BauchschmerzparteiEs ist gekommen, wie in Ossietzky vorausgesagt: Mit Hilfe der Grünen hat die SPD im Haushaltsausschuß des Bundestages und im Parlament selbst die Zustimmung zu MEADS arrangiert, einem neuen (US-amerikanisch-italienisch-deutschen) Raketenrüstungsprogramm, das am Ende nicht weniger als sechs Milliarden Euro kosten wird. Der Bundesrechnungshof hatte rechtzeitig gewarnt, Militärexperten hatten dargelegt, daß der angegebene Verteidigungszweck mit dieser Technik gar nicht realisiert werden könne. Das Geld wird ausgegeben, um den beteiligten Konzernen Gewinne zuzuschustern und um sich im Kreise der NATO-Staaten als rüstungswillig zu präsentieren. Bei den Grünen war Kritik lautgeworden. Die Parteiführung entgegnete, trotz »Magenbeschwerden« wolle sie das von der Bundesregierung vorab schon den Geschäftspartnern zugesagte Projekt nicht blockieren. Mitglieder und Anhänger der Partei der Grünen, soweit sie noch zum Mißtrauen gegenüber dem militärisch-industriellen Komplex neigen, dürfen also Mitleid mit Bütikofer, Roth und Co. empfinden – den Ärmsten ist ein bißchen unwohl, wenn sie Steuergelder für die Waffenproduktion verpulvern. Peter Söhren
VerwandtschaftspazifistDer Deutsche Bundestag hat einen neuen Wehrbeauftragten gewählt, Reinhold Robbe (SPD). Erst gab es Bedenken bei etlichen Fraktionskollegen, denn Robbe hat nicht »gedient«. Aber er hat dann erklärt, wie es zu dieser Jugendsünde gekommen war: »Als junger Mensch habe ich den Kriegsdienst verweigert, weil ich nicht auf Verwandte in Thüringen und Sachsen schießen wollte, im Falle eines Krieges. Heute hätte ich keine Probleme mehr damit, zur Bundeswehr zu gehen.« Denn infolge der Deutschenvereinigung werden die jetzt »dienenden« jungen deutschen Männer im Interventionsfall nur auf Ausländer schießen. Wer etwa ausländisch versippt oder verschwägert ist, darf dann keine Verwandten mehr kennen. M. W. Die Polizei als Störer 1. Mai in Berlin. Man denkt an Kreuzberg: Punks, Provokateure, massenhaft eingesetzte Polizei, Versammlungsverbote, Festnahmen in großem Stil. Über die ordentlich marschierenden Nazis spricht man nicht. Beispiel: 1. Mai 2002. Die NPD meldete einen Demonstrationszug durch die Innenstadt an. Der Landesregierung und der Polizeiführung kam das ungelegen. Nazi-Aufmärsche schaden erfahrungsgemäß dem Ansehen der Hauptstadt. In einem Gespräch mit dem Bundesgeschäftsführer der NPD kam den Mitarbeitern der Versammlungsbehörde eine rettende Idee: Die NPD könnte doch – wie schon am 1. Mai des Vorjahres – durch Berlin-Hohenschönhausen marschieren. Aus dem Stadtzentrum wäre sie dann raus; und den notorisch PDS-lastigen Bewohnern der Ost-Berliner Plattenbausiedlung könnte es überhaupt nicht schaden, wenn man sie mit einer Horde Neonazis konfrontierte. So dachte man vermutlich. Die NPD hatte gegen die Änderung ihrer Demonstrationsroute nichts einzuwenden, und alle waren es zufrieden. Nur ein winziges Problem gab es noch: In Hohenschönhausen hatte die »Unabhängige Anlaufstelle für Bürger-Innen« (UAB) zeitgleich eine Protestdemonstration unter dem Motto »Keine Naziaufmärsche in Hohenschönhausen« angemeldet, blockierte also die amtlich vorgeschlagene Route des NPD-Aufmarsches. Da man sich den mit der NPD ausgehandelten schönen Kompromiß nicht so einfach verderben lassen wollte, wurde die antifaschistische Demonstration mit Bescheid des Polizeipräsidenten vom 29. 4. 2002 kurzerhand verboten. In der Begründung hieß es, bei der geplanten Aktion der Antifaschisten handele es sich um eine bloße Scheinanmeldung zwecks Verhinderung des Nazi-Aufmarsches. Außerdem sei der Anmelder als Beauftragter einer als gewaltbereit eingestuften Gruppe bekannt. Beide Behauptungen konnte die Polizeiführung im Nachhinein nicht belegen. Es gelang damals nicht, den Nazi-Aufmarsch durch Berlin-Hohenschön-hausen zu verhindern. Ein Erfolg für die NPD wurde er dennoch nicht. Ein Bündnis von Parteien, Kirchengemeinden und Antifa-Gruppen mobilisierte so erfolgreich, daß dann in den Fernsehnachrichten kaum marschierende Neonazis, dafür aber um so mehr protestierende Anwohner zu sehen waren. In den Folgejahren zog es die NPD vor, sich an anderen Orten zusammenzurotten... Fast drei Jahre nach dem 1. Mai 2002 folgte die juristische Aufarbeitung der fatalen Entscheidung, eine antifaschistische Demonstration zu verbieten, um Neonazis ungestört marschieren zu lassen. Das Berliner Verwaltungsgericht gab dem als Kläger aufgetretenen Sprecher der UAB gegen das beklagte Land Berlin im vollen Umfang recht und hob das rechtswidrige Verbot auf. In der Begründung heißt es: »Die Versammlungsbehörde ist nicht berechtigt, den Anmelder einer Versammlung als Störer in Anspruch zu nehmen, indem sie die Versammlung durch eine andere, aus Sicherheitsgründen am ursprünglichen Ort nicht durchführbare Versammlung verdrängt. Überspitzt formuliert, hat die Ordnungsbehörde die im Bescheid vom 29. April 2002 bekämpfte Gefahr selbst geschaffen und war damit selbst ›Störer‹.« Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Gerd Bedszent
Und tausend NebenlagerSechs Jahrzehnte nachdem Anfang Mai 1945 in Bayern und der Ostmark auch die letzten Überlebenden der Konzentrationslager von Truppen der Alliierten befreit worden waren, existiert eine unübersehbare vielsprachige Literatur über die Geschichte dieser Lager, verfaßt von Forschern mehrerer Generationen, vor allem aber geschrieben von denen, die in ihnen gelitten haben. Dennoch sind die Historiker mit ihrer Arbeit, auf diesem Felde »weiße Flecke« zu tilgen, noch nicht am Ende. So Barbara Distel, bekannt vor allem durch die »Dachauer Hefte«, kürzlich bei der Vorstellung des ersten Bandes eines Vorhabens, das einen vollständigen Überblick über das Netz dieser Lager vermitteln soll: von Deutschland über die Grenzen sich ausdehnend bis in die okkupierten Gebiete. Während Namen wie Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Ravensbrück und andere geläufig sind – sie gehören zu den knapp zwei Dutzend sogenannten Haupt- oder Stammlagern, die es 1944 gab –, bestehen kaum hinreichende Vorstellungen auch nur über die Topographie der etwa 1000 Außen- oder Nebenlager. Mit deren Kenntnis erledigt sich übrigens das Argument des Nichtwissens, lebte doch kaum ein Zeitgenosse an einem Ort des Reiches, in dessen Nähe sich nicht eines dieser Lager befunden hätte. Sie alle sollen in dem auf insgesamt sieben Bände geplanten Werk dargestellt werden. Das setzt schwierige Recherchen voraus, nicht nur im Hinblick auf kleinere Lager, über die häufig im wahrsten Wortsinn Gräser und mitunter stattliche Wälder gewachsen sind. Es trifft auch auf größere Lager zu wie das von Krakow-Plaszow, an das erst der Film »Schindlers Liste« wieder erinnert hat. Diese Forschungen werden, da die Außenlager meist mit der Absicht errichtet wurden, die Rüstungswerke und andere kriegswichtige Unternehmen mit Arbeitskräften – zudem billigen – zu versorgen, noch einmal tief in die gemeinhin als »Verstrickung« verharmloste Rolle der deutschen Industriellen in jenem verbrecherischen System der Menschenschinderei bis auf den Tod hineinleuchten. Dem Auftaktband, der Querschnittsthemen wie Häftlingskategorien, Bewachung, Zwangsarbeit, Frauen in KZ (Opfer und Täterinnen) erfaßt, werden jährlich zwei Bände folgen, in denen, nach der Zeit ihrer Entstehung geordnet, die Haupt- und ihre Außenlager abgehandelt werden. Der letzte Band wird KZ-ähnliche Lager darstellen, die unter verschiedensten Namen existierten. Ein Unternehmen von hohem Rang, dessen organisierender Mittelpunkt das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin ist. Kurt Pätzold Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 1, Die Organisation des Terrors. Hg. Wolfgang Benz/Barbara Distel, Redaktion: Angelika Königseder, C.H. Beck München, 395 Seiten, 58.00€
Wie Bürger Häftlinge jagtenIn Celle sprach man jahrzehntelang, wenn man das Massaker überhaupt erwähnte, von der »Hasenjagd«. Niemand war so wortkarg wie die Jäger. Im April 1945 hatten sie im Stadtgebiet und in einem angrenzenden Wald hunderte Menschen abgeknallt. Wilde Tiere – auf wen von ihnen paßt der Vergleich? Die Täter waren SS-Leute, Polizisten, Feuerwehrmänner, Hitlerjungen, schnell bewaffnete Zivilisten. Bürger der Stadt. Vier Tage, bevor britische und kanadische Truppen einrückten, wollte die SS Tausende KZ-Häftlinge, die in den Rüstungsfabriken der Hermann-Göring-Werke in Salzgitter Zwangsarbeit geleistet hatten, per Bahn nach Bergen-Belsen oder vielleicht nach Neuengamme transportieren, möglicherweise zur Massenvernichtung. Bei einem Aufenthalt auf dem Rangierbahnhof Celle wurden die überfüllten Züge von der Royal oder US Air Force bombardiert, ein in der Nähe stehender Zug mit Munition wurde getroffen, explodierte, brannte. Die Häftlinge versuchten zu fliehen, viele suchten Schutz im Neustädter Holz – aus dem sie nicht lebend herauskamen. Beim Lesen eines jetzt erschienenen Bandes mit Berichten und Dokumenten erschütterten mich am stärksten die Zeitungsartikel mit Prozeßberichten aus den Jahren 1947 und 1948: Die meisten Angeklagten wurden schnell freigesprochen, drei zunächst zum Tode verurteilt. Der letzte Zeitungsartikel endet mit den Worten »eine unvorstellbare Erlösung«. Gemeint ist die Aufhebung der Todesstrafen. E. S.
Oskar Ansull, Ralph B. Hirsch, Tim Wegener: » › Hasenjagd‹ in Celle«, Schriftenreihe der RWLE Möller Stiftung, 80 Seiten, 4€
Ein Volk, ein ReichIn Ossietzky 8/05 erinnert Christoph Koch an das Faktum, daß auch die erweiterte BRD getreulich am latent expansionistischen Dogma festhält, Nachfolgerin des Deutschen Reiches (damit auch, was weniger gern gehört oder gelesen wird, des Reichs von Adolf Hitler) zu sein. Kochs Hieb wider Polen in dem Zusammenhang ist insofern ungerecht, als bereits gut 30 Jahre vorher die damalige Volksrepublik, ebenso UdSSR und DDR dieselbe Kröte schluckten, wenn auch unter Protest. Im Buch von Michael Klundt (Hg.): »Ein Untergang als Befreiung. Der 8. Mai 1945 und seine Folgen«, PapyRossa Verlag Köln 2005, stehen auf S. 190 f. im Aufsatz von Gerhard Stuby »Vom ›Feindstaat‹ zur ›verschämten‹ Großmacht« diese Erkenntnisse: Nachdem noch unmittelbar vor BRD-Gründung eine knappe Mehrheit deutscher Völkerrechtler die These des in die USA emigrierten Österreichers Hans Kelsen vertrat, »nach der mit der bedingungslosen Kapitulation das deutsche Reich untergegangen« sei, wurde dem die Behauptung entgegengestellt, das Reich sei nach der Kapitulation zwar »handlungsunfähig geworden. Rechtsfähig sei es aber geblieben. Diese These war schon in der Endphase des Naziregimes vom Staatssekretär im Innenministerium Wilhelm Stuckart während der kurzen Phase der Dönitz-Regierung entwickelt worden. In verschiedenen Varianten fortgeführt, sollte sie bald herrschend werden und die Gegenthese vom Untergang des Deutschen Reiches in eine Außenseiterposition drängen. Diese wurde, vor allem als sie später zur offiziellen Ansicht der DDR avancierte, nur noch mit Naserümpfen wiedergegeben.« Stuby, der Gleiches schon einmal in Demokratie und Recht 2/1990 darlegte, hat leider ein interessantes Detail vergessen: Stuckart war zusammen mit Globke auch Kommentator der Nürnberger Rassengesetzgebung. Seite 192 des zitierten Buchs birgt als krönenden Schluß die Nachricht, bei einer Sondertagung der Staatsrechtslehrer im April 1990 sei die Wiederbelebung der Stuckart-These »präzise zusammengefaßt« worden, nämlich u. a. so: »Die Bundesrepublik sei identisch bzw. teil-identisch mit dem fortbestehenden Deutschen Reich geblieben. Als Folge der friedlichen Revolution der Bevölkerung der DDR sei der Sezessionsvorgang (die Etablierung eines zweiten, nichtkapitalistischen deutschen Staates; M. B. ) gestoppt und durch den Beitritt nach Art. 23 GG rückgängig gemacht worden. Jetzt sei das Deutsche Reich durch die neue Bundesrepublik, die mit ihm identisch sei, wieder handlungsfähig.« Darüber läßt sich stundenlang nachdenken. Manfred Behrend
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Walter Kaufmanns LektüreDem Göttinger Wallstein Verlag ist hoch anzurechnen, daß er Fred Wanders in den 70er Jahren in der DDR erschienenen Roman »Der siebte Brunnen« neu aufgelegt hat. Das Buch hat die drei Jahrzehnte überdauern können wie nicht viele andere literarische Werke. Sein Thema ist die Schoah, die Wander erschütternd bildhaft macht. Doch die Art, wie hier Juden von überall her, alle dem Untergang geweiht, trotz des Hohngelächters der Gestiefelten, das ihnen in den Ohren gellt, der Grausamkeiten, die mitzuerleben sie gezwungen sind, der bestialischen Hinrichtungen, deren Vollstreckung ihnen nicht erspart bleibt, brüderlich zu überleben versuchen, läßt sie uns ans Herz wachsen und vertraut bleiben wie nahe Verwandte, unvergeßlich. Ihr unverwechselbares Wesen beeindruckt auch da noch, wo es gebrochen wird, sich unterm Joch verbiegt, wo aus guten Menschen böse werden, aus hilfsbereiten rücksichtslose. Meisterlich, wie Wander über sie alle zu erzählen, sie von sich und ihrer Vergangenheit erzählen zu lassen versteht. Bewundernswert die Genauigkeit – bis hin zum Schluß: »Joschko fuhr dem Kleinen vorsichtig mit der Hand übers Gesicht, dieses winzige, zerknitterte, schwarze, traurige Gesicht. Mit dem Löffel, mit meinem Löffel, träufelte er dem Träumenden ein paar Tropfen in den Mund.«
W.K.Fred Wander: »Der siebte Brunnen«, Roman, Wallstein Verlag, 166 Seiten, 19.60 Euro
Wie für ViscontiEndlich ein noch junger Schriftsteller (geboren 1968), dem die Lage in der Welt wichtiger ist als der eigene Bauchnabel! Tellkamps Szenario rechten Geheimbündlertums, das die unfähige Parteien-Demokratie ablösen und so die Menschheit »retten« will, ist zwar erfunden und dennoch so unwahrscheinlich nicht – wenn die politische Passivität der meisten Menschen anhält. Aber was sollen, was können sie tun? Die Spannung zwischen Denken und Handeln, Philosophie und Weltveränderung ist ein Thema des Buches, in dessen Mittelpunkt ein intelligenter und sympathischer Bankierssohn steht. Wiggo Ritter hat die Übel dieser Welt klar erkannt und muß als verkrachter Philosoph die eigene Zukunftslosigkeit, das Nicht-Gebrauchtwerden und das Gefühl der Erniedrigung erleben. In letzter Minute, schwer verletzt und zum Mörder geworden, verabschiedet er sich von der Verheißung einer falschen Elite. Uwe Tellkamp kann schreiben, muß es wohl auch. Wörter, Farben, Gerüche, Szenen, Konstellationen scheinen ihn zu bedrängen, wollen nur von ihm festgehalten, gemalt und freigegeben werden, und er macht Stimmen, Monologe, einen grandiosen Roman daraus. So explosiv die Sprache, so genau und kenntnisreich die Schilderung der Details. Woher nimmt dieser Arzt an einer Thüringer Unfallklinik seine Kenntnis der westlichen high-society? Wann hat er die verschiedenen Philosophien verinnerlicht und die Gesetze des Lebens der Bienen oder Termiten studiert? Lebte Visconti noch, das Buch gäbe eine wunderbare Vorlage für einen Film des Meisters. Christel Berger Uwe Tellkamp: »Der Eisvogel«, Roman, Rowohlt Berlin, 319 Seiten, 19,90€
Katze im SackDie Berliner Distel-Kabarett-Theater-Gesellschaft mit beschränkter Haftung präsentierte als neueste Premiere »Alles für die Katz«, dem Theaterzettel nach ein »Kabarettprogramm«, auf der Bühne treffend angekündigt als »Kabarettstück«. Kein ganzes Kabarett, sondern ein Stück Kabarett. Quasi ein Stückwerk. Ein Stück Werg, das hier aber nicht dem Abdichten einer Rohrleitung dient, sondern dem Zusammenhalt einer Handlung, der die eigentliche Handlung fehlt (einer Fehl-Handlung), weil nichts weiter passiert außer der Anwesenheit eines Mannes und einer Frau, die sich zwei lange Stunden lang über eine ominöse Erbschaft streiten. Diese besteht aus einem Kater, der gelegentlich über die Szene geworfen (Regie: Martin Maier-Bode) und auch aufgefangen wird (Choreografische Mitarbeit: Kristina Rouvel). Der kunstgewerbliche Kater sieht so entzückend aus wie ein alter Scheuerlappen. Angeblich riecht er etwas, wie man aus der Szene Nr. 22 (»Katzenpisse«) erfährt. Inge Ristock schrieb das Szenarium und die Sprechtexte. Die zahlreichen und erfrischenden Liedertexte stammen von einem Perfektionisten für singbare Poesie, von Dieter Lietz. Kompositionen und Arrangements: Bernd Wefelmeyer. Als musikalischer Begleiter und Mitspieler glänzte aufs Neue der bewährte Matthias Lauschus (Piano, Trommel, Gitarre, Mundharmonika, Trompete, Gesang). Mit ihm zusammen gelang es Dagmar Jaeger und Michael Nitzel überraschenderweise, die spröde Vorlage mit hübschen Glanzlichtern zu verzieren. Frau Jaeger konnte wieder ihre klangvolle und bekanntlich sehr schöne Stimme hören lassen, und Herr Nitzel zog viele von all seinen kabarettistischen Registern. Ansonsten, wie gesagt, ein Kabarettabend mit relativ wenig Kabarettistischem. Wir müssen heutzutage alle sparen. Beim Verlassen der Anstalt hörte ich, wie ein würdiger älterer Herr sagte: »Da hätten wir ja zu Hause bequem auf dem Sofa sitzen und im Sat 1 den Comedy-Stadel kucken können. Aber Sat 1 sehn wir ja zum Glück sowieso nich.« L. K.
Press-KohlNeben anderen »Lesungen auf einen Blick« empfahl die Berliner Zeitung auch diese: »Richard Burger. Wortservierungen – Schön sein! Gedanken von Udo Walz, Sören Kierkegaard, Hegel und Nietzsche.« Ich nahm mir vor, an der Lesung teilzunehmen. Wer möchte nicht gern schön sein! Die meisten Autoren kennt man ja. Sören Kierkegaard, Hegel und Nietzsche waren berühmte Frisöre. Und Udo Walz ist, glaube ich, ein autodidaktischer junger Salon-Philosoph für Damen & Herren. * Diese Rubrik erfreute mich auch mit einem besonders hübschen Druckfehler, der Ihnen nicht vorenthalten werden darf: »Friedrichshainer Feder-Lesen. Offener Treff für Scheibende und Nur-Zuhörer.« Da möchte ein scheibender Nur-Zuhörer wie ich mit ermunternden »Nur zu! Nur zu!«-Zurufen eigentlich nicht fehlen. Denn aus den Scheibenden können eines Tages Schiftsteller werden, sozusagen Kapitäne des Schiffttums. Wer einem heute bloß wie ein schulliger Scheihals vorkommen mag, wird eines Tages vielleicht berühmt sein wie Fiedich Schriller! Felix Mantel
Die verflixte SiebenEin Leser fragte: »Wie viele Ossietzky-Hefte Nr. 7 folgen noch?« Wir versichern ihm und allen: In diesem Jahr keins mehr. Nehmen Sie nun bitte einen Filzstift und machen auf dem Heft vom 16. April aus der 7 eine 8. Mit Ihrer freundlichen Hilfe wird unser Fehler dann behoben sein. Red.
Erschienen in Ossietzky 9/2005 |
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