Antworten

Jürgen Thumann, BDI-Präsident. – Die derzeitige Kapitalismusdebatte wird Ihrer Meinung nach »auf einem üblen Niveau« geführt, und das schrecke ausländische Investoren ab. Kritisches über Unternehmer freilich dürfe durchaus gesagt werden, und Sie selbst hätten dazu auch etwas beizutragen: »Wenn jemand langfristig ausreichende Gewinne erwirtschaftet und trotzdem damit beginnt, Produktion zu verlagern, kann ich das nicht nachvollziehen.« Sie sind ein schlauer Fuchs. Denn welches Unternehmen wird seine Gewinne schon als ausreichend ansehen – und noch dazu auf lange Frist? Der von Ihnen als fragwürdig bezeichnete Fall tritt also praktisch nicht auf, und so haben Sie die Debatte über den Kapitalismus auf ein höheres Niveau gebracht.

Hans-Jochen Vogel, SPD-Altvorsitzender. – So schlimm wie Anfang der 1930er Jahre sei das mit der Arbeitslosigkeit nicht, sagen Sie in einem FAZ- Interview: »Heute ist die Arbeitslosigkeit nicht mehr primär ein materielles Problem, vielmehr ist es die Ausgrenzung und Demütigung, als die viele ihre Arbeitslosigkeit empfinden.« Gegen die zweitgenannte Problematik, so dürfen wir annehmen, geht die von Ihrer Partei geführte Regierung jetzt mit der Ein-Euro-Zwangsarbeit vor, da muß sich dann niemand mehr überflüssig fühlen. Und das erstgenannte Problem, das materielle, läßt sich zum zweitrangigen erklären. Dann jedenfalls, wenn man über Pensionsansprüche als zweifacher Bürgermeister a.D., als Bundesminister a.D. und manch anderes Polster verfügt.

Harry Nutt, Redakteur der Frankfurter Rundschau . – Über den Heuschreckendiskurs mokieren Sie sich: »Das Wort Kapitalismus tauchte mit der früheren Verve wieder auf«, die »überwunden geglaubte, ressentimentgeprägte Beobachtung von Eliten«. In der »aufgeregten Diskussion« sehen Sie »eine sonderbare Renaissance von Kapitalismus und Kapitalismuskritik«, die Ihnen mißfällt. Aber so sonderbar ist das Auftreten von Kapitalismuskritik doch nicht, denn der Kapitalismus selbst bedurfte ja keiner Renaissance, auch wenn Sie ihn nicht wahrgenommen haben. Sie hätten vom Feuilleton Ihrer Zeitung mal auf die Wirtschaftsseiten hinüberschauen sollen.

Wolfgang Clement, zuständiger Bundesminister. – Gar nicht so aufgeregt durch die Rhetorik des SPD-Parteivorsitzenden, aber doch ein bißchen unwirsch hat Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt Ihnen »Klärungsbedarf« signalisiert, und so haben Sie bei einer Veranstaltung der Dresdner Bank klargestellt: »Es ändert sich nichts an dem Weg, den wir eingeschlagen haben.« Der Chefpropagandist des deutschen Unternehmertums, Professor Hans-Werner Sinn, hatte »Franz Münteferings moralische Entrüstung« als Gerede abgetan, das sich »genau so gut gegen das Gesetz der Schwerkraft richten« könne. Das wird Ihnen eingeleuchtet haben: Das Kapital herrscht nach dem ehernen Willen eines Naturgesetzes. Basta. Sonst könnte ja jeder Betriebsrat kommen und motzen. In diesem Sinne betreuen Sie Wirtschaft und Arbeit. Ganz kapitalphysikalisch.

Erschienen in Ossietzky 9/2005