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Mephisto und Herr in einer Person (Joachim Meyerhoff) schreit. Den Urschrei. Um uns erregtes Wispern und Flüstern. Der Chor, verteilt im Publikum, zischt, singt und sagt, das Geschehen dynamisch akkompagnierend. Der ironische Mephisto nuschelt den Gott wie der vergangene Papst seinen letzten Segen. Dann hat er den Job, Faust zu verführen. Black. Licht an. Im Zuschauerraum und auf der drehenden Scheibe. Faust (Edgar Selge) sitzt unter uns, spricht seinen Monolog erhellend, witzig, saftig. Kostbare Behandlung des Verses. Er löst ihn auf, reißt ihn an sich, ohne Goethes Sprache zu beschädigen. Und – welch oft entbehrtes Glück – man versteht jede Silbe. Poesie, Phantasie, gepaart mit beispielhaftem Handwerk, bündelt der Schauspieler, nimmt uns im Handumdrehen mit seinem Können für sich ein. Reiner Genuß. Grauer Anzug, langes graues Haar, so wettert er uns mit leuchtendem Blick seine Philosophie entgegen, saust durch die Reihen des Publikums, taucht da unter, dort auf, ist in Bewegung und fühlt sich doch gefangen. Dem Philosophen ist das Leben abhanden gekommen. Er mag nicht mehr, greift zur Phiole. Himmlische Gesänge und Herr Wagner (Tillbert Strahl-Schäfer) halten ihn auf. Beim Osterspaziergang wirbelt Selge wieder über Ränge und durch Reihen, zelebriert jedes Ach und Oh mit vielfachem Sinn unterlegt, sinnlich zerbeißt er die Dichtung, deckt deren Geist auf, genießt die Polemik, deutet, zweifelt, wettert, rast mit Wonne. Oh, blanke Lust, dabei zu sein! Niemals zuvor sah ich einen so geistreichen, heiteren Faust. Mit dem Pudel kommt Mephisto. Ich habe Bedenken, ob er Fausts Furioso wird standhalten können. Doch Meyerhoff nutzt seine besondere Fähigkeit des Gestischen. Er tanzt den Vers, setzt Pantomime ein, ist magisch, schrill, dämonisch, närrisch und sehr entspannt. Mit diesen Mitteln und einem schönen trockenen Ton behauptet er seinen Part. Sprühende Spielfreude, die reine Wonne an ihren Rollen, an Goethes Sprache, die Lust, auf den Brettern, die die Welt bedeuten, zu stehen, führen uns Selge und Meyerhoff mitreißend vor. Bis hin zum bluttriefenden Zungenkuß, dem Pakt zwischen Mephisto und Faust. Dieser Sieg führt Mephisto zu verrückter, manischer Steigerung seines Selbstwertgefühls bis hin zu versuchter Pädophilie mit dem Schüler. Das ist grauenhaft, erzählt vom wahren Wesen des Teufels. Der Schauder löst sich auf in einem zauberhaft umgesetzten Einfall: Nach Fausts Verjüngungskur fliegen die beiden, wie weiland der kleine Häwelmann, ins Leben. Nach Leipzig. In Auerbachs Keller. Eine Verneigung vor Bach folgt. »Oh, Haupt voll Blut und Wunden« erklingt es solistisch und im Chor. Das ist ergreifend. Bis hierher, das sind mehr als zwei Stunden, ist man atemlos einer wunderschönen, spielerisch exzellenten, einfallsreichen Inszenierung gefolgt. Von nun an geht's bergab. Dem Regisseur Jan Bosse ist wohl die Puste ausgegangen. Stetige Brüche ins Modische, Selbstgestrickte, »Coole« bringen keinen Gewinn. Der Dichter wird beschädigt, die Dichte des bisher Erlebten auch. Fausts Entführung in eine vorgegaukelte Welt (er im Jeansanzug, Mephisto als Indianer, dazu Gesang von Heino nebst Rotlicht und Discokugel) – das ist weder lustig, noch assoziiert es Leben und Lebensfreude. Dazu ein Gretchen (Maja Schöne) à la Pippi Langstrumpf mit Minirock und Rotznase. Und Frau Marthe (Regina Stötzel) spielt auf Bongo-Trommeln. Sprachlich setzt ein Zerdehnen ein, Wiederholungen werden bemüht, man verhaspelt sich. Für den Wunsch des Faust nach Leben ist der Regie die Vorstellungskraft verrutscht. Das ist angesichts des bis dahin vorgegebenen Potentials verwunderlich. Modisch geht es weiter (Kostüme: Kathrin Plath): Mephisto nackt in roter Badehose, dito in feuerroter Strumpfhose mit zwei blinkenden roten Hörnern auf dem blanken Schädel, alsdann komplett im roten Anzug plus Posaune. Der Kerl sieht prachtvoll aus, ja, aber was befördert's? Faust und Gretchens Sündenfall, die Mordfälle, die sie verschulden, werden dramatisch akzentuiert mit dem Hymnus auf das Weltgericht: »Dies irae«. Das ist eindrucksvoll, kann aber den heftigen Erdrutsch nach der Halbzeit nicht auffangen. Als Faust ins Publikum pinkelt, klinke ich mich aus. Ich will das nicht. Per Rotlicht und mit Rummelplatzeffekte wird ein Scheiterhaufen für Gretchen imaginiert, toller Einfall, er erreicht mich nicht mehr. Faust und Mephisto verlassen ihre Rollen, latschen aus dem Zuschauerraum. Ende. Goethes Vorgabe zum »Faust«, die dialektische Endlosschleife des »Stirb und werde«, war nicht zu sehen. Hier wurde nur gestorben, Werden war nicht.
Erschienen in Ossietzky 9/2005 |
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