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Doch ich hatte den Krieg mit heißem Gefühl verfolgt: über jeden verlorenen Landstrich und dann über jede wiedergewonnene Stadt. Auch bei den Landungen in Nordafrika, Italien und der Normandie fieberte ich mit, doch am stärksten, so glaube ich jedenfalls im Rückblick, war ich bei den Schlachten um Smolensk, Rostov, Leningrad, Moskau und Stalingrad innerlich beteiligt. Mit meinen Freunden sang ich die neuen Kriegslieder; am meisten rührten uns wohl die Lieder der Roten Armee auf den kleinen schwarzen Schellack-Platten, die Grammophonen mußten wir noch mit der Hand aufziehen. Auch solche von den Kämpfen hinter den wechselnden Frontlinien, von Titos Partisanen in den Bergen von Bosnien, Serbien, Kroatien, von Kämpfern in den Sümpfen Belorußlands oder in den Straßen von Florenz und Siena. Und vom geheimen Widerstand in Prag, Oslo, Paris, dem Warschauer Ghetto. Wir sangen auch Lieder vom Untergrund in Deutschland, von dem Schauspiele und Romane wie »The Seventh Cross« von Anna Seghers kündeten. Wie manche Großstadtjugendliche, besonders im nach links neigenden New York, wurde ich in einem Geist tiefen Hasses gegen Mussolini und vor allem gegen Hitler erzogen. Zum Teil, gewiß, weil viele von uns jüdisch waren. Wichtiger aber: Wir waren Antifaschisten. Gerade alt genug, um den Spanienkrieg zu verfolgen. Ich bekam mit, daß sich England, Frankreich und mein Heimatland weigerten, der Republik und ihrer demokratisch gewählten Regierung im verzweifelten Kampf gegen Franco, die Marionette von Hitler und Mussolini, zu helfen; sonst wäre es womöglich nicht zum Weltkrieg gekommen, auch nicht zu Auschwitz und Treblinka. »Pasaremos«, »Non pasaran!« und »La Pasionaria« waren heilige Worte für uns. Wir wußten von Guernica, dem Städtchen im Baskenland, das in zwei Stunden von deutschen Fliegern vernichtet wurde. Alle kannten wir das Gemälde von Picasso. Später empfand ich auch den Bombenkrieg gegen Hamburg, Berlin, Dresden fürchterlich, und das Gefühl verstärkte sich, als ich diese Städte in Ruinen sah und Überlebende kennenlernte. Aber ich mußte dabei an Warschau denken, an Leningrad, Coventry, Lidice, Oradour und immer wieder an die flüchtenden Mütter und Kinder in Madrid, Barcelona und Guernica, wo alles begann. In dem Staat, in dem ich jetzt lebe, durften Luftwaffenoffiziere wie Trautloft und Trettner, die Guernica und Madrid gemartert hatten, in die höchsten Generalsränge aufsteigen. Außer bei uns Linken galt jahrelang die UdSSR als »Schurkenstaat«. In den späten 1930ern milderte sich das etwas, als die Sowjets zur Front aller Länder gegen den Faschismus aufriefen. »Kollektive Sicherheit« war die Devise. Als der Aufruf abgelehnt wurde, versuchten die Sowjets fast zwei Jahre lang mit dem Teufel zu paktieren, um nicht überrannt zu werden, um Zeit und Raum zu gewinnen. Da wuchs wieder der Haß gegen die UdSSR. 1941 wurden USA und UdSSR plötzlich zu Verbündeten, und in den nächsten Jahren wurde klar, daß die Sowjets die Hauptlast des Krieges trugen: Tod, Folter, Vergewaltigung und die Zerstörung von Tausenden Städten. Zu der Zeit waren meine Genossen und ich keine Aussätzige. Und als die Truppen sich an der Elbe trafen, schien es beinahe, als ob man einer friedlichen, freundlichen Welt entgegensah. Doch kurz vor dem Sieg starb der Antifaschist Roosevelt. Sein Nachfolger, Harry Truman, wie auch der Brite Winston Churchill hatten anderes im Kopf. Hiroshima und Nagasaki waren äußerst unfriedliche Signale, gerichtet an die Sowjetunion. Die oft gewaltsame Politik des Zurückrollens linker Kräfte (»Roll-back«) traf großenteils diejenigen, die gegen Hitler-Deutschland und seinen japanischen Verbündeten gekämpft hatten, ob in Italien oder den Philippinen, Griechenland oder Vietnam. Truman traf sich mit Churchill und gab bekannt, daß die Welt aus zwei Teilen bestehe, einem guten und einem schlechten. Verteidigungsminister Charles Wilson (Chef des Rüstungskonzerns General Electric) kannte nur noch zwei Probleme: »Außen Rußland, im Innern die Arbeiter.« Eine harte Zeit. Mich hat sie nicht nur ideologisch, sondern auch geographisch zum anderen politischen Ufer getrieben, und ich begann ein neues Leben direkt an der Trennlinie: Vom Balkon des Büros, wo ich arbeitete, konnte ich die Friedrichstraße entlang direkt in die Läufe der amerikanischen Panzer am Checkpoint Charlie schauen. Bald positionierten sich sowjetische Panzer einige Zentimeter davor. Unser Büro hätte den kleinsten Fehlzug schlecht überstanden. Das ist alles vorbei. Am Checkpoint Charlie sehe ich jetzt beiderseits kapitalistische Büros. Daß die Nazis vor allem von der Roten Armee besiegt wurden, wird jetzt gern übertüncht. Doch ich, lebenslang ein Sturer, lehne solche Tünche ab. Trotz aller begangenen Fehler, Dummheiten und Schwächen auf sozialistischer Seite kann ich nicht akzeptieren, daß die Welt nun für immer McDonalds, Marlboros und Mickey Mouse gehört und Deutschland der Deutschen Bank, Thyssen-Krupp, DaimlerChrysler. Die echte Hoffnung des 8. Mai 1945, symbolisiert durch die Fahne auf dem Reichstagsgebäude wie durch das Händegeben an der gesprengten Brücke in Torgau, muß am Leben gehalten, muß durch Kämpfe weitergereicht werden: Kämpfe in den Parlamenten, vor allem jedoch auf den Plätzen davor. Manchmal mit neuen, aber auch mit den alten Liedern.
Erschienen in Ossietzky 9/2005 |
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