Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Und wenn Hitler gesiegt hätte?Jean Villain Nur 20 Jahre und zehn Monate nach dem Ende des verheerenden ersten Weltkrieges begann der noch weit schrecklichere zweite. Unüberhörbar angekündigt hatten ihn eine Serie brutal geführter regionaler Aggressionen und militärisch abgesicherter politischer Übergriffe. 1931 fiel Japans Armee in Nordostchina ein. Großbritannien und die USA ließen ihr freie Hand. 1934 okkupierte Hitler das Saarland. Paris hielt still. 1935 setzte Mussolini zur Eroberung Äthiopiens an. London weigerte sich, den nach Äthiopien dampfenden italienischen Truppentransportern den Suezkanal zu sperren. 1936 erhob sich General Franco gegen die rechtmäßige republikanische Regierung Spaniens. Die englische-französische »Entente cordiale« duldete nicht nur die militärisch entscheidende deutsch-italienische Intervention zugunsten Francos, sondern tat obendrein alles, um internationale Hilfeleistungen zu Gunsten der bedrängten Republikaner zu behindern. Und als deutsche Truppen im März 1938 in Österreich einmarschierten, begnügten sich Westeuropas Staatskanzleien damit, das jähe Ende der Eigenstaatlichkeit des Landes an der schönen blauen Donau zur Kenntnis zu nehmen. Am 29.9.1938 schließlich unterzeichnete Sir Neville Chamberlain, damals Premier Großbritanniens, den als das »Münchener Abkommen« in die Geschichte eingegangenen Schandvertrag, der Hitler auch noch die Tschechoslowakei auslieferte. Was Chamberlain nicht daran hinderte, seinen Landsleuten »Peace for our time« zu verheißen. Wenige Tage später besetzte die Wehrmacht die Sudeten und ein halbes Jahr darauf die übrige Tschechoslowakei. Bleibt die Frage, weshalb Chamberlain und mit ihm nahezu alle damaligen Spitzenpolitiker der westlichen Welt nicht nur Hitlers Aggressivität, sondern auch die Mussolinis und der japanischen Imperialisten so lange billigend in Kauf genommen hatten. Immerhin bedrohte Japan mit seiner Losung »Asien den Asiaten« und der Duce mit seinem Traum vom Mittelmeer als »Mare nostrum« ja auch vitale Interessen der etablierten Kolonialmächte. Auch Hitlers »Volk ohne Raum«-Parole und seine in »Mein Kampf« und unzähligen Reden wahrlich ausreichend präzise dargelegten Phantasien von der Weltherrschaft »arischer Herrenmenschen« hätten zu denken geben müssen. Doch anscheinend war in vielen Köpfen nur haften geblieben, daß er dem deutschen Volk »Raum« im Osten erobern und bei der Gelegenheit auch gleich die »jüdisch-marxistische bolschewistische Verschwörung« erledigen wollte. Was in den Ohren jener, deren frühere Versuche, die Oktoberrevolution durch Interventionskriege zurückzubuchstabieren, gescheitert waren, sehr verlockend klang. Um so mehr, als, vom Geschehen in Rußland beflügelt, inzwischen auch in den hochindustrialisierten Ländern des Westens sozialistisch-linksdemokratische Massenbewegungen entstanden waren. Einige von ihnen standen sogar schon im Begriff, das politische Kräfteverhältnis per Stimmzettel, also völlig legal, zu ihren Gunsten zu verändern. So in Spanien und ebenso in Frankreich, wo ein »Front populaire« vorübergehend sogar schon regieren konnte. Einen besseren Augenblick, sich und seine NSdAP dem Westen als abendländisches Bollwerk wider den Bolschewismus anzudienen, hätte Hitler schwerlich finden können. Zumal er seinen Leistungsnachweis durch Abschaffung nicht nur der Kommunisten, sondern auch der Sozialdemokraten, der Gewerkschaften und der bürgerlichen Liberalen im eigenen Land gleich erbracht hatte und sich auch seine Außenpolitik gut anzulassen schien. Im November 1936 hatte er mit Japan einen »Antikommintern-Pakt« abgeschlossen, dessen erklärtes Ziel die militärische Vernichtung der UdSSR war. Ihm traten 1937 Mussolini-Italien, 1939 Horthy-Ungarn, bald weitere Balkanländer und Franco-Spanien bei. * Zur ungeschminkten Darstellung der Ursachen des Zweiten Weltkriegs gehören allerdings noch andere, nicht minder peinliche Wahrheiten. Etwa die einer bis in die frühen Zwanziger Jahre zurückreichenden, aus heutiger Sicht pervers anmutenden Kooperation zwischen Moskau, der deutschen Rüstungsindustrie und der Reichswehr. Da der Versailler Vertrag Deutschland jegliche Luftrüstung verboten hatte, erprobte die Reichswehr ihre heimlich dennoch entwickelten neuen Kampfflugzeuge, Panzer und Kanonen nun eben in den hermetisch abgeriegelten Weiten Rußlands. Und spionierte dort nebenher spätere Bombenziele aus. In seinem Buch »Selbstmörderische Allianz« enthüllte Olaf Groehler, einer der führenden Militärhistoriker der DDR, daß die Wehrmacht ohne diese sehr spezielle, bis 1933 intensiv weitergeführte deutsch-sowjetische Zusammenarbeit auf gar keinen Fall schon 1939 in der Lage gewesen wäre, loszuschlagen. Anzumerken wäre hier noch, daß Groehlers Buch erst nach 1989 erscheinen konnte. Hitlers Kriegslüsternheit dürfte sodann auch durch die 1936 einsetzenden Moskauer »Säuberungsprozesse« ermuntert worden sein. Fielen ihnen doch fast zwei Drittel der höheren Offiziere der Roten Armee, darunter Marschall Tucha-tschewsky und mit ihm der größere Teil seines Generalstabs, zum Opfer. Am 23.8.1939 schließlich unterzeichnete Wjatscheslaw Molotow im Auftrag Stalins jenen verhängnisvollen »Deutsch-Sowjetischen Freundschaftsvertrag«, mit dem sich die UdSSR vor dem drohenden Angriff Nazi-Deutschlands zuschützen hoffte, nachdem sie vergeblich bei den Westmächten um Beistandszusagen geworben hatte. Der Vertrag verschaffte Hitler die unumgängliche Rückendeckung im Osten und damit freie Hand gen Westen, außerdem verpflichtete er die UdSSR zu kriegswichtigen Lebensmittel- und Treibstofflieferungen an Deutschland. Als Gegenleistung erhielt Stalin Estland, Lettland und Litauen sowie die Zusicherung ostpolnischer Gebiete. Eine der nachhaltigsten, bis tief in die Nachkriegszeit hineinreichenden politischen Folgen dieses üblen Deals bestand darin, daß er weltweit zur Verwirrung, Spaltung und zeitweiligen Lähmung der antifaschistischen Massenbewegungen führte. Nach der physischen Liquidation eines Großteils ihrer fähigsten Kader und wegen ihrer waffentechnischen Rückständigkeit war die Sowjetarmee auf die große Prüfung vom Juni 1941 schlecht vorbereitet. Entsprechend niedrig wurde ihre Kampfkraft eingeschätzt. Nordamerikas Kriegsminister rechnete nach dem 21. Juni 1941 mit einem Zusammenbruch der UdSSR binnen einem, höchstens drei Monaten. Der britische Generalstab prognostizierte in seiner internen Analyse vom 1. 7. 1941, »... daß die erste Phase einschließlich der Besetzung der Ukraine und Moskaus nur drei Wochen ... beanspruchen« dürfte. Hitlers Außenminister Ribbentrop prophezeihte seinem italienischen Kollegen Ciano, daß »Stalins Rußland binnen acht Wochen von der Landkarte verschwinden« werde. Selbst Stalin rechnete mit dem Schlimmsten und ordnete schon kurz nach Beginn des deutschen Überfalls die Evakuierung großer Teile des Regierungsapparats von Moskau nach Kuibischew an. Doch die Rotarmisten hielten stand. Trotz verlorener Schlachten und grauenhafter Verluste. Zum Beispiel an der Chaussee nach Wolokolamsk, wo sie im November 1941 die schon bis dicht vor Moskau gelangten Panzer General Guderians nicht nur stoppten, sondern zurückwarfen. Erfolgreich verteidigten sie über 1000 Tage Leningrad und trieben die Invasoren schließlich dorthin zurück, woher sie gekommen waren. Bündnisfähig wurde die Sowjetunion in den Augen Churchills und Roosevelts indes erst, nachdem amerikanische und britische Spitzenmilitärs begriffen hatten, daß der militärische Sieg über das Dritte Reich ohne die Sowjetarmee schwer erreichbar sein würde. In einer nach Guderians Niederlage von den Stabschefs der US-Streitkräfte verfaßten Denkschrift zum voraussichtlichen weiteren Kriegsverlauf liest man: »Die Aufrechterhaltung einer aktiven Front in Rußland bietet die bei weitem beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Landoffensive gegen Deutschland, weil nur Rußland über ausreichende Menschenreserven verfügt und dem Zentrum der deutschen Militärmacht am nächsten benachbart ist... Selbst wenn die Sowjetarmeen sich hinter den Ural zurückziehen müßten und dort einen geordneten Widerstand fortsetzen könnten, bliebe immer noch die Hoffnung, Deutschland zu Lande endlich und vollständig zu besiegen.« Der Rückzug hinter den Ural fand nicht statt. Trotzdem hatte, wer um den Sieg der Antihitlerkoalition bangte, Phasen qualvoller Ungewißheit durchzustehen. Blieb doch der Spielraum zwischen Sieg und Niederlage bis Anfang 1943 so schmal wie die paar Straßenzüge Stalingrads, welche die Wehrmacht noch vom Ufer der Wolga und damit von der Kontrolle der ökonomisch-strategischen Hauptschlagader der UdSSR trennten. Wofür aber gaben damals 35 Millionen Sowjetbürgerinnen und -bürger ihr Leben? In einer Rede vor dem US-amerikanischen Kongreß, gehalten am 7. Januar 1943, beantwortete Franklin Delano Roosevelt diese Frage auf seine Weise. Er sagte: »Es hat für uns alle hier wenig Sinn, wenn wir von Sicherheit reden und von dem, was der Mensch zum Leben braucht, und zugleich die Gefahr eines weiteren Weltkrieges in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren heraufbeschwören... Die Kriege nehmen an Umfang, an Tod und Vernichtung zu... Ich schaudere bei dem Gedanken, was aus der Menschheit, uns selbst nicht ausgeschlossen, werden wird, wenn dieser Krieg mit einem unvollkommenen Frieden endet und ein weiterer Krieg ausbricht, sobald die kleinen Kinder von heute herangewachsen und in wehrfähigem Alter sein werden.« Der Präsident der USA wußte, wovon er sprach, denn nur einen Monat zuvor hatte in Chicago die erste von Menschen kontrollierte nukleare Kettenreaktion stattgefunden, womit die entscheidende Voraussetzung zur Herstellung der Atombombe geschaffen worden war. Was wäre Europa, was der Welt widerfahren, hätten die Nazis gesiegt? Nicht nur, daß dann der Zweite Weltkrieg mit Sicherheit weit mehr als 75 Millionen Menschenleben – die afrikanischen und asiatischen Opfer mitgerechnet – gekostet hätte. Wirklichkeit geworden wäre dann außerdem die in »Mein Kampf« verheißene Vision einer Vielzahl militärischer unterworfener Völker. Weitere Abermillionen Menschen wären in den eroberten Ländern enteignet, versklavt, ethnisch gesäubert und physisch liquidiert worden, und der am Leben gebliebene Himmler hätte dem einen furchtbaren Auschwitz mit Sicherheit Dutzende weitere hinzugefügt. Deren Bewachung und die Niederhaltung der Bevölkerungen der besetzten Länder, dazu ein permanenter Mehrfrontenkrieg gegen Aufständische und Partisanen hätten den Sieger ferner zum Unterhalt und Dauereinsatz von Millionenheeren gezwungen. Und ebenso zur immer weiteren Aufblähung der gegen die eigene Bevölkerung angesetzten repressiven Überwachungsapparate. Lehren doch die seit Beginn von Roosevelts »unvollkommenem Friedens« geführten kolonialen Kriege, und von diesen am deutlichsten der neueste, noch unentschiedene, zweierlei. Zum einen, daß die blutige Unterdrückung anderer Völker auch die Unterdrücker ruiniert. Zum andern und vor allem, daß sie die Unterdrücker unvermeidlich barbarisieren. Was früher oder später gleichermaßen unvermeidlich zum Widerstand und Aufstand auch im eigenen Lager führt. Vielleicht war die größte historische Leistung der Sowjetunion eben die, daß sie den Hauptbeitrag zur Verhinderung des Siegs der Nazis leistete. Und so sich und die Deutschen und mit ihnen viele hundert Millionen weiterer Menschen vor einer Katastrophe unbeschreiblichen Ausmaßes bewahrte. Solange sie bestand.
Erschienen in Ossietzky 9/2005 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |