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Ihr Sprecher Michael Müller fordert, »die notwendige Kritik am angelsächsischen Kapitalismus zu verstärken«, um die »schleichende Zerstörung des Sozialstaates« doch noch aufzuhalten, die SPD-Landesvorsitzenden von Württemberg und Hessen schlagen Boykottaufrufe gegen Unternehmen vor, die vom Ungeist des Shareholder-Kapitalismus inspiriert nur noch die Gewinnmaximierung im Blick haben und dabei die Mitarbeiter vergessen, das heißt sie entlassen... Jenseits der durchsichtigen Wahltaktik läßt sich am Beispiel der Finanzmärkte leicht zeigen – sensible Unionspolitier wie Blüm, Geißler oder Seehofer beteiligen sich gern daran –, zu welch zerstörerischen Tendenzen das kapitalistische Wirtschaftssystem immer wieder neigt: Das auf Aktienkurs und Dividende begrenzte Interesse verführt zu schnellen Gewinnmitnahmen, oft zu ruinösen Spekulationen; Fondsmanager, die oft Firmen und manchmal ganze Staaten in den Konkurs treiben, sahnen vorher oder nachher hunderte von Millionen Euro oder Dollar ab – Müntefering nennt sie »Heuschreckenschwärme«. Aber ist das alles so neu und so überraschend? In der einfachen »Markt-Formel«, wie Marx sie für das kapitalistische System als inhärentes Gesetz aufgewiesen hat, heißt es G - G‘, aus Geld muß nach dem Durchgang durch Produktion und Handel mehr Geld werden, sonst unterbleibt das Geschäft. Die Möglichkeit zu mehr Geld bietet nur die Formverwandlung in der Produktion, weil einzig aus der »Ware Arbeitskraft« mehr herauszuholen ist, als sie kostet. Daß darin ein Unrecht, ein erzwungenes Ausbeutungsverhältnis liegt – ein den Akteuren in der Regel verborgener Betrug –, ist das Eine. Das andere Unheil besteht darin, daß mit diesem »Mehr« etwas in die Welt kommt, das im nächsten Durchgang potenziert »noch mehr Mehr« ansammeln muß, also die Akkumulation von Kapital durch Mehrwertproduktion: »Akkumuliert! Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten« (Marx). Unvermeidlich stößt dieser Prozeß an seine Grenzen, sobald der vom Kapital bearbeitete und »entwickelte« Rahmen eines Landes, einer gegebenen Bevölkerung und ihrer kapitalförmig zu verwertenden Bedürfnisse ausgeschöpft ist. Der Weltmarkt bietet eine Weile Auswege, bis auch da die Grenzen erreicht sind. Zusätzlicher Mehrwert kann nicht mehr realisiert werden, mangelnde Nachfrage infolge der nicht mehr vorhandenen Kaufkraft führt zu Überproduktion, die Waren fallen im Preis, Gewinne bleiben aus, einige Kapitalien müssen sich in Luft auflösen, und das alles bedeutet Wirtschaftskrise mit Pleiten und Arbeitslosigkeit. Ob zyklisch, periodisch, in großen oder kleineren Wellen – diese Tendenz der fallenden Profitrate erschüttert regelmäßig ganze Volkswirtschaften, treibt zu Kriegen weltweit und könnte die Erde wüst und leer machen, wenn die Menschheit nicht lernt, ihre Geschichte selbst zu bestimmen. Die Finanzwirtschaft hat besondere Institutionen hervorgebracht, um die Fährnisse des Akkumulationsprozesses besser umschiffen zu können: Banken, Börsen, Fonds, Hedge-Fonds mit Terminmärkten, Optionen, Futures. Da gibt es nun in der Tat Jongleure, die spielen nicht ein gewöhnliches Kasinospiel, nein, sie versuchen – um im Bild zu bleiben – die Drehgeschwindigkeit der Roulettekugel zu berechnen, sie kennen die Neigungsabweichungen der verschiedenen Spieltische, manchmal läßt sich auch der Croupier kaufen et cetera. Neulich war im Handelsblatt zu lesen, daß die Fondsmanager, besonders in den USA, zur Zeit sehr nervös sind. Rund eine Billion Dollar (also die Kleinigkeit von tausend Milliarden) können in diesen Wochen auf den Märkten nicht untergebracht werden. In den vergangenen Jahren war es in der Regel Politik der cleveren Fondsstrategen, kleinere und auch größere Firmen, oft ohne »ausreichende« Renditeerwartungen, aufzukaufen, in Einzelteile zu zerlegen, neu zu strukturieren, mit neuem Führungspersonal einer Belegschafts-Schrumpfkur zu unterziehen und dann mit größerem Gewinn wieder am Markt zu plazieren. Auf diese Weise – so das Handelsblatt – seien die hohen Renditen der Finanzinstitute bis zu 25 Prozent jährlich ermöglicht worden. Doch seit einiger Zeit sei nicht mehr sicher, daß man die akquirierten und restrukturierten Firmen wieder loswerde, viele müßten geschlossen werden. Wenn aber kein Verkauf mit hohen Gewinnen erfolge, brächen bei den Fonds oder den Banken die gewohnten Kurse ein, weil die jährlichen Ausschüttungen vermindert werden müßten. Befürchtungen bestünden auch wegen überbewerteter Immobilienbestände. Wenn diese »Blase« platze, könne es eine Kettenreaktion geben… Jeder Fonds will am besten abschneiden, damit ihm die Kunden weiter ihr Geld anvertrauen und neue hinzukommen. Was sie mit ihrem Streben nach der höchsten Rendite anrichten, ist dann in seinen Auswüchsen, aber oft auch in seinen legalen und normalen Transaktionen Anlaß für die Empörung der braven Menschen vom Schlage Münteferings oder Blüms. Doch die Erbosten fragen nicht, wie die verhängnisvolle Sucht entsteht. Wer sind denn die Kunden der Fonds? Und woher kommt das Geld, das sie zur möglichst schnellen Vermehrung den Banken, Börsen und Fonds anvertraut haben? Vor allem handelt es sich um Geld, das Firmeninhaber und Vermögensbesitzer nicht für ihren aktuellen Konsum und nicht für Investitionen in der eigenen Firma benötigen. Warum sollten sie zusätzlich investieren, wenn das Geschäft gewinnbringend läuft, die Maschinen auf dem neusten Stand sind und eine Ausweitung der Produktion an Absatzgrenzen stoßen könnte? Sie »sparen« ihr überschüssiges Kapital. Woher also kommt das Geld? Sie haben es »verdient«, in der Regel dadurch, daß sie ihre Angestellten mit Maschinen Rohstoffe verarbeiten ließen, und daß am Ende ihre Produkte mehr einbrachten, als für Löhne, Rohstoffe, Anlageersatz und Abschreibungen aufzubringen war. Das war ja auch der Sinn all ihrer Unternehmungen. Konzedieren wir, daß nicht nur Unternehmer Ersparnisse an die Fonds abführen; auch die höher verdienenden Angestellten bis hinein in die Facharbeiterschaft legen Geld zurück, und jene, die etwas wagen, geben ihr Geld gern auch mal in einen als lukrativ ausgewiesenen Fonds. Auch ist es seit Jahrzehnten offizielle Politik in den größeren Industrieländern, Rentenversicherungsbeiträge und andere Sozialstaatsabgaben in private Kapitalanlagen zu leiten: Für die Banken und Fonds ein Riesengeschäft, weil sie an Gebühren und Schlagkraft gewinnen. Und zugleich dient diese Beteiligung größerer Schichten der Bevölkerung dazu, »wirtschaftliches Denken«, womit kapitalistisches Kalkül gemeint ist, in den Köpfen zu verfestigen: Der Wert meines Rentenfonds darf doch nicht durch Arbeiter gefährdet werden, die für mehr Lohn streiken… Doch oft eignen sich die großen Anlieger wie mit einem großen Staubsauger das Geld der kleinen Leute an, indem sie Aktien oder Immobilien kampagnenartig hochjubeln, um bei überhöhten Kursen rechtzeitig auszusteigen und die eigenen Mittel einschließlich der Gewinnmitnahmen in anderen Segmenten der Anlagemärkte (zum Beispiel Bundesobligationen) zwischenzuparken. Wenn dann die Aktienkurse darniederliegen, steigen sie schnell wieder ein – übrig bleibt zum Beispiel die klagende Schutzgemeinschaft der Telekom-Kleinanleger. Es ist dann relativ leicht, all die sich betrogen fühlenden »kleinen Leute« mit simplen Parolen einzufangen: Schuld sind die Kredithaie, die Börsenzocker, kurz »das böse Finanzkapital«. Wer es jetzt noch versteht, in diesem Gewerbe »Juden« auszumachen und ihren »Einfluß an der Wall Street«, ihre geheimen Fäden zu bestochenen Politikern und Konzernlenkern anzuprangern, hat schnell »ein Volk« auf seiner Seite, das sich um seine patriotischen Regierungs- und Wirtschaftsmänner schart. Und keiner will mehr wissen, wie die Verfaßtheit seines eigenen Arbeitsverhältnisses die Ursache des Elends ist.
Erschienen in Ossietzky 9/2005 |
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