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OpportunitätsministerinAls »wichtiges Ereignis der Woche« meldet und kommentiert die Welt am Sonntag eine Idee der Familienministerin Renate Schmidt (SPD): Die will das Kindergeld umkrempeln, von der bisherigen Pauschalzahlung in eine einkommensabhängige Prämie, und zwar so, daß bei höherem Eltern-Verdienst der Staat auch mehr für die Kinderbetreuung zahlt. Das Springer-Blatt lobt die Ministerin für ihre Abkehr von »kruder Sozialethik«: Indem der Staat zukünftig denjenigen, die mehr haben, auch mehr für die Kinderaufzucht gebe, seien vor allem Akademikerinnen bevölkerungspolitisch zu aktivieren. Damit sei dem ökonomischen Prinzip der »Opportunitätskosten« Rechnung getragen. Wenn vor einer Babypause das Einkommen hoch sei, müsse eben der finanzielle Anreiz zur Gebärfreudigkeit auch höher sein als bei Einkommensschwachen. Nun ist Renate Schmidt, obwohl kein Akademikerinnenkind, nicht so dumm, daß sie glauben könnte, so sei das vielbeschworene demographische Problem der Bundesrepublik zu lösen. Sie hat, so vermute ich, etwas anderes im Sinn: Zeitig vor der nächsten Bundestagswahl sollen solche Verheißungen als Lockmittel der SPD für die gehobenen Mittelschichten ausgelegt werden. Bei den Unterschichten, mag Renate Schmidt denken, ist für ihre Partei sowieso nicht mehr viel zu holen. Marja Winken KurzdenkerWolfgang Schroeder, Leiter des »Funktionsbereiches Sozialpolitik« beim Hauptvorstand der IG Metall, wurde von der Tageszeitung junge Welt gefragt, was er denn von der »Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit« halte. Er hält »ausdrücklich nichts« von diesem Versuch, denn der erschwere die Durchsetzung gewerkschaftlicher Politik, die darin bestehen müsse, »mit der Regierung um beste Lösungen zu ringen«. Bei einem knappen Wahlausgang könne das Auftreten der WASG »gar zu einer Stärkung der Opposition beitragen«. WASG hin, WASG her – aufschlußreich ist, was als Weltbild eines führenden gewerkschaftlichen Theoretikers zum Vorschein kommt. Schroeder kann sich offenbar eine Einflußnahme der Gewerkschaften auf gesellschaftspolitische Entwicklungen nur im Wege des Verhandelns mit einer sozialdemokratisch geführten Regierung vorstellen. Fremd ist ihm der Gedanke, daß die Kräfteverhältnisse in Politik und Gesellschaft im Konflikt von Parteien und Organisationen, bestimmt werden, daß neu auftretende soziale Bewegungen auf sie einwirken, daß der Streit um Alternativen – auch in den Parteien und Parlamenten –, wenn er denn geführt wird, Kräfteverhältnisse ändern kann und daß gewerkschaftliche Erfolge auch aus Opposition gegen eine Regierung heraus erzielt werden können. Dem Funktionsbereichsleiter wäre ein Bildungsurlaub zum Studium der Geschichte zu gönnen. Oder auch ein Studienaufenthalt in anderen Ländern, zum Beispiel in Italien. Demnächst wird möglicherweise Zeit dafür sein. Denn wenn die Sozialdemokraten die Bundesregierungssessel räumen müssen, kann, Wolfgang Schroeder zufolge, die IG Metall ihre ringende politische Arbeit erst einmal einstellen. Arno Klönne Freie MeinungsäußerungDer Hamburger Flüchtlingsrat wollte für Bleiberecht und Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen demonstrieren. Auf einem drei mal drei Meter großen Areal in der Hamburger Innenstadt sollte ein Miniatur-Wüstencamp entstehen, gedacht als Protest gegen die Flüchtlingslager, die Bundesinnenminister Otto Schily – zur besseren Abschottung Europas – außerhalb der EU in den Herkunfts- und Transitregionen plant. Das zuständige Hamburger Bezirksamt widersetzte sich mit der Begründung: »Die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ist ein Rechtsgut, hinter dem die freie Meinungsäußerung, wenn sie auf dieses Gut einwirkt, zurücktreten muß.« Nachdem ich mich gerade noch einmal vergewissert habe, daß ich weder die Sicherheit noch die Leichtigkeit irgendeines Verkehrs beeinträchtige, möchte ich nun doch meine Meinung frei äußern: Bei dieser Gewichtung eines Grundrechts wird die Demokratie vom Verkehr überrollt werden. Kirsten Hofmann Gewaltsame MausklicksWer am 20. Juni 2001 zwischen 10 und 12 Uhr über 1000mal die Lufthansa-Homepage aufgerufen hat, habe Gewalt gegen Sachen angewandt, sagte Amtsrichterin Bettina Wild gegenüber dem Internet-Magazin heise online. Sie wird am 14. Juni 2005 in Frankfurt a.M. einen Prozeß gegen die Initiative Libertad! eröffnen. Libertad! hatte zusammen mit »kein mensch ist illegal« u.a. zu einer Demonstration gegen das Abschiebegeschäft der Lufthansa aufgerufen. Versammlungsort war www.lufthansa.de. Während der Lufthansa-Aktionärsver-sammlung 2001 sollte die Website des Konzerns zwei Stunden lang besucht werden. Ossietzky berichtete damals über den Aktionsplan. Tatsächlich protestierten dann mehr als 13 000 Menschenrechtler gegen die Beteiligung der Luftfahrtgesellschaft an den zum Teil tödlich endenden Abschiebungen von Flüchtlingen. Die Lufthansa-Homepage wurde dadurch für kurze Zeit blockiert. Gegen das Sit-In auf dem Datenhigh-way stellte die Lufthansa Strafanzeige. Die Polizei beschlagnahmte im Herbst 2001 bei Libertad!-Mitgliedern zehn Computer und andere Datenträger. Nach dreieinhalb Jahren wurden die Geräte mit ausgebauten Festplatten zurückgegeben. Daß dies erst nach so langer Zeit geschah, bestätigt die Einschätzung von Libertad!, die Beschlagnahmung habe darauf gezielt, die Arbeit der Initiative zu behindern.. Libertad! setzt sich gegen staatliche Repression, für die Freiheit aller politischen Gefangenen ein. Richterin Wild spricht von einer »konzertierten Aktion zu einem fest verabredeten Zeitpunkt mit einer klaren Behinderungsabsicht«. Mobilisierung dafür könne ein Aufruf zu Gewalt sein. Neben der angeklagten Initiative Libertad! sind auch andere Internet-Aktivisten und Juristen am Prozeßverlauf interessiert. Erstmalig wird in Deutschland juristisch über Proteste im Internet verhandelt. Die Richterin kann sich nur blamieren, wenn sie festlegen will, bei wievielen Mausklicks pro Minute Gewalt anfängt. Aber selbst wenn sie das tun wird, haben die DemonstrationsteilnehmerInnen nichts mehr zu befürchten. Die Straftat »Besuch der Lufthansa-Homepage« wäre inzwischen verjährt. Nils Seibert
Dem Menschen ein Helfer»Er begrüßte die Oktoberrevolution und war einer der ersten Kritiker Stalins. Er lebte für die Revolution, haßte aber die revolutionäre Phrase. Den Zweifel hielt er für eine Tugend des radikalen Sozialisten.« Die Rede ist von einem fast vergessenen Mann: Jacob Walcher. Die 1998 im Berliner Trafo-Verlag erschienene Biographie, der diese Sätze entnommen sind, hätte viele Leser verdient. Zu wünschen ist, daß die von Michael Lukas und Nicole Seidel gestaltete Walcher-Ausstellung, die kürzlich im Brecht-Weigel-Haus in Buckow gezeigt wurde und nun nach Dresden und Augsburg wandern soll, dazu beitragen wird, die Lebensleistung dieses deutschen Revolutionärs bekannter zu machen. In Bertolt Brechts Arbeitsjournal und seinen Briefen wird Jacob Walcher (1887-1970) oft erwähnt, zum Beispiel 1948: »nachm(ittags) bei jakob walcher, der über die schwierige lage spricht, nüchtern und positiv wie gewöhnlich.« Und wie Brecht holten sich viele andere kluge Leute Rat bei dem aus Oberschwaben stammenden Metallarbeiter und Gewerkschafter, der 1910 nach Berlin gekommen und hier vor allem bei Rosa Luxemburg in die politische Lehre gegangen war. 25 Jahre später, im Exil, ging Willy Brandt bei Jacob Walcher in die politische Lehre. Ihre Wege trennten sich in den Nachkriegsjahren, und sie entzweiten sich. Aber noch 1982 schrieb Brandt sehr achtungsvoll über seinen Mentor von damals: »Walcher war für mich einer der kernigsten Repräsentanten der alten deutschen Arbeiterbewegung, selbstsicher und kulturbewußt, kein blutleerer Intellektueller, sondern ein intelligenter und vitaler Facharbeiter. Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, welche Bildung, auch klassischer Prägung, und welches Kunstverständnis sich dieser Typus eines klassenbewußt-en Arbeiters angeeignet hatte.« Man kann das umso weniger, wenn man die Profile heutiger Politiker auf dem Bildschirm sieht. Die eingangs zitierte Biographie von Ernst Stock und Karl Walcher zeigt als tiefen Einschnitt in Walchers Leben den Ersten Weltkrieg mit dem historischen Versagen der SPD. Auch Walcher sollte Soldat werden, wurde aber zum Glück dienstuntauglich geschrieben. So konnte er sich mit ganzer Kraft in die politischen Kämpfe einbringen. Angesichts der auch durch Mitschuld der SPD verlorenen Revolution von 1918 streckte er bald seine Fühler zur KPD aus, auf ihrem Gründungsparteitag saß er im Präsidium. Beim Zweiten Kongreß der Kommunistischen Internationale in Moskau trug er so prinzipielle Standpunkte vor, daß sogar Lenin Beifall klatschte. Nach der Rückkehr nach Deutschland, wo die revolutionären Erhebungsversuche beendet waren, begann für ihn die Sisyphosarbeit des politischen Alltags, besonders in Gewerkschaftsfragen. Ihm war die Einheit der Gewerkschaften besonders wichtig. Dadurch geriet er immer wieder zwischen alle politischen Stühle. 1928 aus der KPD ausgeschlossen, begründete er mit anderen die Kommunistische Partei Opposition (KPO). Auch dort zerstritt er sich und ging zur SAPD. Als 1933 die geeinigte Rechte über die zerstrittene Linke gesiegt hatte und viele Linke ins Exil gingen um zu überleben, war er zunächst in Paris als Reichssekretär der SAPD tätig. 1941 konnte er in die USA fliehen, wo er wieder als Dreher und Metallarbeiter arbeitete. 1946 ging er nach Ostberlin, um am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken – aber nicht nach dem Stalin-Modell. Abermals wurde er aus der Partei, diesmal der SED, ausgeschlossen, obwohl sich Wilhelm Pieck für ihn verwandte. Er starb im Alter von 83 Jahren im Frieden des Menschen, der bis zuletzt dem Menschen ein Helfer war, wie sein Freund Hermann Budzislawski am 4.7.1970 in der Weltbühne schrieb. Die Hoffnung auf eine lernfähige sozialistische Bewegung hatte er nie aufgegeben. Jochanan Trilse-Finkelstein
Erinnerung an Gotthold GlogerZu den vielen verleugneten Seiten deutschen Geschichte gehört auch diese: In den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland, den Adenauer-, Globke-, Oberländer- und Heusinger-Jahren, siedelten etliche Künstler in die Deutsche Demokratische Republik über, so unterschiedliche wie Peter Hacks und Adolf Endler. Einer von ihnen war auch Gotthold Gloger. Vier Jahre nach seinem Tod erinnert jetzt eine Ausstellung des Kurt-Tucholsky-Literaturmuseums im Schloß Rheinsberg an diesen Alleskönner, der Erzählungen, Fernsehspiele, Kinderbücher, Romane verfaßte, in seinem abseits gelegenen Bauernhaus bei Gransee für seine vielen FreundInnen kochte, gelegentlich auch sang, mancherlei aus Holz schnitzte und vor allem aquarellierte. Wohl kaum einer hat die Kunst, Farbknospen auf nassem Papier erblühen zu lassen, so souverän beherrscht wie er, der bei Emil Nolde, aber auch bei Otto Pankok und Ernst Wilhelm Ney gelernt hatte. Wäre er im Westen geblieben, würden seine Bilder heute das Zehnfache kosten. Die Ausstellung (geöffnet dienstags bis sonntags zwischen 9.30 und 17 Uhr) läuft bis 29. Mai. Eckart Spoo
Sinnstudie oder Kino?Was für ein furioser Einfall und Anfang: Da legt sich einer, der Hermann Kant nicht nur zum Verwechseln ähnelt, sondern mit ihm – seiner Biographie, seiner Hamburger Herkunft, seinen Ansichten, Krankheiten und Macken – identisch ist, in der belebten Hamburger Spitalerstraße in einem geborgten Schlafsack auf das nasse Pflaster. »Sinnstudie! Nicht stören und nichts spenden!« steht auf einem beiliegenden Schild. Nun rechnete ich mir aus und hoffte, daß der für seinen Biß bekannte Schriftsteller seine Wut und Sprachgewalt auf Zustände ergießt, in denen »anzukommen« einer wie er nicht gehofft hatte. Aber wie oft im Umgang mit Kunst bringt Rechnen nichts: Hermann Kant in seinem Schlafsack ist eher neugierig als wütend, eher hintersinnig als vergnatzt. Er liegt da in dieser belebten Straße und sinniert, beobachtet, erinnert sich, deutet Gesehenes und wendet Gedachtes – ein bewegungsarmer Flaneur mit einem Tick für Sprache und Wörter, die gekostet, hin und her gewendet, gedreht, gekaut, zerbissen werden und doch nicht kleinzukriegen sind. Da geht es um Lieder mit manchmal etwas veränderten Texten, die vom Chor der Heilsarmee an sein Ohr dringen, um andere Multi-Kulti-Straßenmusikanten, um Bauzäune und immer wieder den Geruch aus der nahen Fischbratküche, der an Genüsse erinnert. Wer so weit unten liegt, hat eine sehr eigene Sicht. Stiefel sind dann näher als Köpfe, und nicht alles erschließt sich nur durch Schauen… Daß das Buch »Kino« heißt, ist nicht allein mit immer wieder eingestreuten Erinnerungen an Filmausschnitte begründet. Alles schon mal da gewesen? Mehr als das. Letztendlich sind Sinnstudierender und Heilsarmee, Straßenmusikanten und Fischverkäuferin nichts anderes als willige oder benutzte Akteure in einer Inszenierung, die dem Geld hinterherhetzt. Kino! Christel Berger Hermann Kant: »Kino«, Roman, Aufbau-Verlag, 200 Seiten, 17,90
Vereiste EmotionenWo in anderen Büchern ein roter Faden verläuft, da weht bei der 1960 in Leipzig geborenen, seit langem in Köln lebenden Schriftstellerin Roswitha Haring winterliche Kälte. »Ein Bett aus Schnee«, kurz nach seinem Erscheinen mit dem aspekte -Literaturpreis für das beste Debüt ausgezeichnet, ist kein kühles Buch, allein die Erwachsenen, die das namenlose Mädchen als Eltern, Onkel und Tanten umgeben, leiden an emotionaler Unterkühlung. Einmal nur hebt die Mutter des Mädchens die Distanz zu ihrer Jüngsten auf. Der mütterliche Kuß aber stärkt das Kind nicht in der Liebe zu den Eltern, sondern stiftet in ihrer Seele nur noch größere Verwirrung. Einfacher ist es da, mit Enttäuschungen umzugehen, weil die fast täglich kommen. Aus einer großen Stadt stammend, verbringt es die Winterferien bei Verwandten im Gebirge. Beide Ebenen, die familiäre Umwelt und die »Winterfrische«, vermischen sich im Denken des Mädchens. Das ist erzähltechnisch hervorragend gelöst, setzt beim Leser jedoch eine gerüttelt Maß an Konzentration voraus. Im Verlaufe der Geschichte wird das Mädchen mit dem Wissen konfrontiert, daß einer der Onkel mit einer ihrer Schwestern etwas gemacht hat, »was nur Verheiratete machen dürfen oder Leute, die heiraten wollen«. Über das Geschehen, das nicht auf den Nenner der Vergewaltigung gebracht wird, breitet die Familie den Mantel des Schweigens oder, um im Bild dieser Geschichte zu bleiben, eine Decke aus verharschtem Schnee. Nach literarischen Vorbildern befragt, nennt Roswitha Haring den Italiener Primo Levi: Von ihm könne man exemplarisch lernen, was es heißt, auch und gerade menschliche Extremsituationen emotionslos, rein aufs Faktische reduziert, zu erzählen – um, wie aus Leser-Sicht zu ergänzen wäre, das ihnen eingeschriebene Grauen nur umso deutlicher hervortreten zu lassen. Welch ein kleines Meisterwerk diese Novelle ist, zeigt sich auch dann, wenn wohl kaum ein Leser dieses Buch ohne den dringenden Wunsch zur Seite legt, das Mädchen zu trösten. Genau das konnte und wollte die Autorin ihrem Geschöpf nicht gewähren, weil, wie Haring zu Recht meint, es dann »eine ganz andere Geschichte« geworden wäre. Kai Agthe Roswitha Haring: »Ein Bett aus Schnee«, Ammann Verlag, Zürich, 181 Seiten, 17.90
An die LokalpresseIch habe da mal eine Frage an die Stiftung Warentest: Jetzt im Frühling locken viele Firmen schon wieder mit tollen Schnäppchen, obwohl der Winterschlußverkauf gerade mal vorbei ist. Die Preise sind nochmal ganz schön gepurzelt, so daß es sich lohnt, auch Dinge einzukaufen, die man schon doppelt und dreifach hat. Denn man spart auf jeden Fall, wenn man die Super-Angebote wahrnimmt; das steht ja in allen Anzeigen. Meine Nachbarin und ich machen uns ständig gegenseitig auf die Angebote aufmerksam, und dann ziehen wir gemeinsam los. Wir sagen schon nicht mehr, wir gehen einkaufen, sondern wir sagen, wir gehen sparen. Zu Hause legen wir dann alles auf den Tisch und rechnen uns genau aus, wieviel wir wieder gespart haben. Das sind jetzt bei jedem von uns schon mehrere hundert Euro. Und jetzt kommt meine Frage: Wieso habe ich ständig Ebbe im Portemonnaie? – Marianne Manko (64), Berufshausfrau im Rentenstand, 07955 Wenigenauma * Wenn ich die Presse richtig verfolgt habe, fallen viele über den Chef der Bundesagentur für Arbeit her, und das nur, weil er einen weisen Vorschlag gemacht hat. Er hat empfohlen, über 55jährige aus der Liste der Arbeitssuchenden herauszunehmen, weil sie wegen ihres fortgeschrittenen Alters doch nicht mehr vermittelbar sind. Fast gleichzeitig trat das Streitkräftereserve-Neuordnungsge-setz in Kraft, demzufolge Reservisten »im Spannungsfall« bis zum 60. Lebensjahr zum unbefristeten Militärdienst eingezogen werden können. Da der »Spannungsfall« durch über fünf Millionen Arbeitslose ja längst eingetreten ist, schlage ich vor, alle über 55jährigen arbeitslosen Reservisten sofort zum Wehrdienst einzuberufen. Das hätte mehrere Vorteile: Erstens würde die Zahl der Arbeitslosen deutlich reduziert, und die Aufwendungen für das Arbeitslosengeld II würden gesenkt. Zweitens könnte der Gesundheitszustand der reservierten Altersarbeitslosen erheblich verbessert werden, denn durch regelmäßigen Dienstsport wie Marschgepäcklanglauf, Kriechübungen mit Gasmasken durch unwegsames Gelände, Training an der Eskaladierwand oder Übernachtungen auf dem vereisten Waldboden würden sich der angejahrte Kreislauf, die erschlaffte Muskulatur und die überalterten Sinne der Senioren deutlich verbessern, wenn nicht sogar erneuern. Sollte dieser Effekt im Einzelfall nicht eintreten, bliebe im Falle des körperlichen Ablebens immer noch die positive Auswirkung auf die Statistik. Drittens könnte durch die Einführung des 1-Euro-Solds für Senioren-Reservi-sten der Bundeswehr-Etat wesentlich entlastet werden. – Waldemar Wohlleben (58), Langzeitarbeitsloser und Leutnant d. R., 99310 Witzleben * Wenige Tage, nachdem der Heilige Vater zu seinem Dienstvorgesetzten heimgerufen worden ist, hat ein führender Berliner CDU-Funktionär aus Berlin-Mitte vorgeschlagen, die Karl-Marx-Allee in Johannes-Paul-II.-Allee umzubenennen. Ich finde den Vorschlag vom Prinzip her total gut, zumal der Papst überall in der Welt – auch bei seinem Besuch 1996 in Berlin – mehr Liebe gefordert hat. Deshalb scheint es mir allerdings würdiger und sinnvoller, die Oranienburger Straße mit dem Namen des langjährigen Stellvertreters Gottes auf Erden zu ehren. Auf diesem Boulevard, ebenfalls in Berlin-Mitte, wird die Forderung Seiner Heiligkeit besonders intensiv umgesetzt. Ich glaube deshalb fest daran, daß dieser Vorschlag sowohl von den Anwohnern als auch von den BürgerInnen unterstützt werden wird, die in der Oranienburger Straße nur beruflich verkehren. – Gottlieb Schulze (58), arbeitsloser Freidenker, Berlin-Linienstraße Wolfgang Helfritsch
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlEinem fulminanten Artikel von Harry Nutt in der Frankfurter Rundschau entnehme ich: »Die Freude am Ranking, mit der in den einschlägigen Blättern mal Ärzte, mal Rechtsanwälte und andere Elite-Dienstleister öffentlich gewogen werden, ist zudem einem auffälligen Hang zum Trüben gewichen.« Der im auffällig Trüben tätige Elite-Dienstlei-ster Harry Nutt zog mit seiner essayistischen Angel auch den folgenden syntaktischen Kraken ans Tageslicht: »Die Lust am Vergleichen, die in modernen Gesellschaften über verschiedene Symbole und Stati wie beruflichen Rang, allgemeines Ansehen sowie die käuflichen Güter verlaufen kann, griff hier ganz unsinnlich auf das zu, was man im Berufsalltag immer noch recht diskret und erkennbar verschlossen übermittelt bekommt: den Gehaltszettel.« Ich möchte hier nicht ganz unsinnlich auf das zugreifen, was ich im Berufsalltag immer noch recht diskret und erkennbar verschlossen übermittelt bekomme, nämlich Nutts Gehaltszettel, weil ich noch im Unklaren bin über die verschiedenen Symbole dieses Mannes. Ganz geheimnisvoll sind aber seine Stati, die er vielleicht für den Plural von Status hält. Die Mehrzahl von Status heißt indes, wie schon Caesar wußte: Statusse oder Statitata. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 8/2005 |
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