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Von den genannten Kommunisten wurden mehr als die Hälfte unter Hitler oder Stalin ermordet, einige von Stalin an Hitler ausgeliefert und umgebracht. Es hagelt Anmerkungen: »von Gestapo verhaftet und ... hingerichtet ... 1936 zum Tode verurteilt und hingerichtet ... im KZ Buchenwald umgekommen ... nach Moskau beordert, dort verhaftet und erschossen ... in Moskau verhaftet ... erschossen ... in einem Arbeitslager umgekommen ... in das KZ Mauthausen verschleppt und dort ermordet ... 1937 vom NKWD verhaftet, zum Tode verurteilt und erschossen ... Im Lager von Mithäftlingen umgebracht ... 1943 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet ... Starb 1943 im Lager ... 1937 in Berlin-Plötzensee hingerichtet ... in Mexico ermordet ... 1941 Auslieferung an Deutschland und KZ-Haft ... 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet ... 1941 verhaftet und an die Gestapo überstellt ... 1944 im KZ Buchenwald ermordet ... 1933 verhaftet und schwer mißhandelt, am 18. März 1935 zum Tode verurteilt und enthauptet ...« Ein Martyrium von Genossen. Lenin warnte 1924 vor dem groben Stalin. Ein Jahrzehnt später realisierten sich die Befürchtungen, denn Hitlers Machtantritt bot Stalin die Basis, auf der die Barbarei zu den Großen Säuberungen eskalieren konnte. Hitlers Kriegsziel der Ost-Eroberungen, bereits in »Mein Kampf« deutlich artikuliert, wurde nicht ernstgenommen. Vier Tage nach dem 30. Januar 1933 hielt der neue Reichskanzler in geheimer Zusammenkunft mit Reichswehrgenerälen eine Rede, in der er seine Kriegspläne offen und exakt formulierte. Diese Rede in der Dienstwohnung des Generals Hammerstein wird von der Zeitgeschichte teils unterschätzt, teils unterschlagen, obwohl Hitlers Worte in allen Details den 2. Weltkrieg frappierend genau ankündigten. Stalin erhielt den Text schon wenige Tage später auf den Tisch, eine Tochter Hammersteins hatte insgeheim mitgeschrieben. Stalin mußte vom Februar 1933 an in Nazi-Deutschland seinen Todfeind sehen. Der Band »Gegen Faschismus und Krieg« liefert Chronologie und Logik der Stalinschen Gegenzüge. Es ging ums Überleben. Selbst die Ungeheuerlichkeit des Hitler-Stalin-Paktes vom August 1939 wird noch als ein so raffinierter wie verzweifelter Schachzug des sowjetischen Machthabers erkennbar. Weil die Westmächte »keine bindende Verpflichtung zur Verteidigung der UdSSR im Falle eines möglichen deutschen Überfalls« eingingen, entschied Stalin sich für »die andere Option der sowjetischen Außenpolitik«, den Nichtangriffspakt mit Hitler, inklusive der so geheimen wie schändlichen Zusatzprotokolle. Mit Fug und Recht verweisen Kinner/Reuter an dieser Stelle auf Trotzki, der schon nach dem Münchner Abkommen 1938 notiert hatte: »Stalin strebt eine Allianz mit Hitler an.« Das war als Warnung an die Westmächte gerichtet, die durch ihre Nachgiebigkeit den deutschen Führer zum Angriff auf die SU ermunterten, wogegen Stalin die Hitler-Option als letzter Ausweg blieb. Im Vorwort schreiben die Autoren: »Mit Ernst Bloch ist zu fragen, was ist unabgegolten vom Kampf der deutschen Kommunisten gegen den Faschismus?« Drei Seiten weiter zitieren sie Hans-Ulrich Wehler, den sie »nicht zu den konservativen Historikern« zählen, der aber die Tragödie des kommunistischen Widerstandes mit dem braunen Senf des Totalitarismus bestreicht, wie es bei rechtsbürgerlichen Geschichtsschreibern Usus ist. Kinner/Reuter scheuen nicht die Abrechnung mit den eigenen Vätern und Genossen. Von sozialdemokratischer Seite steht eine adäquate Selbstanalyse aus. Solange Sozialdemokraten im Nachkriegs-Europa eine gewisse Rolle spielten, schien ihnen das nicht wichtig zu sein. Da jetzt den ratlosen Sozis das Abendlichtlein zu scheinen beginnt, erhält die Frage nach einer linken Alternative existentielles Gewicht. Das Buch »Gegen Faschismus und Krieg« zeigt die furchtbare Vergangenheit und die Gefahr einer möglicherweise nicht weniger furchtbaren Zukunft. Den Genossen aller Richtungen sei die Lektüre dringend angeraten. Die Geschichte der Kommunisten ist eine Geschichte des verlustreichen antifaschistischen Widerstands, bei dem der oberste Moskauer Genosse neben den deutschen Hitler-Faschisten zum kannibalischen Feind mutierte. Diese Tragödie blieb bisher ungeschrieben. Die miterzählte Geschichte der deutschen Sozialdemokratie aber ist ein Trauerspiel, das den über 100 Jahre sich hinziehenden Niedergang spiegelt: Ab 1914 Burgfrieden mit dem kaiserlich-imperialistischen Krieg, im 21. Jahrhundert abgetakelt zur Partei des Großkapitals, die zur Ablösung ansteht, weil die christlichen Parteien dem Kapitalismus so rückhaltlos entsprechen wie vordem die reichsdeutsche Bourgeoisie der industriellen Vernichtungsmaschinerie unterm Hakenkreuz.
II. Abschied vom heiligen StiefvaterDie Geschichte vom heroischen antifaschistischen Widerstand kommunistischer Genossen las ich auf der Heimfahrt von Leipzig nach Frankfurt am Main. Auf der Hinreise hatte ich mir das Buch »Das eigene Leben leben – Kinder berühmter Eltern von Brandt bis Seghers« (in Interviews abgefragt von Gabriele Oertel und Karlen Vesper-Gräske) vorgenommen. Der Band, erschienen im Militzke Verlag, ISBN 3–86189–718–0, ersetzt ganze Bibliotheken und ist ein grundehrlicher, pluraler Nachruf auf die DDR, das abgemurkste Land der verratenen Hoffnung. Daheim angelangt geriet ich in die kollektive Offenbarung eingeschwärzter Göttlichkeit. Der Hohepriester im Vatikan starb in sämtlichen Sendern des imperialen Kulturkreises bis hin zum Weißen Haus, wo die Flagge auf Halbmast wehte. Unser freiwillig getreues Kirchenstaatsfernsehen netzte den Antennenhimmel mit Krokodilstränen. Der umtriebige alte Knabe aus dem vorgestrigen Polen hatte anerkennenswert listig gegen die Kriege der USA gepredigt, aber der Jugend das Bumsen, den Afrikanern die Präservative, den Frauen das Priesteramt und den aufrechten Gang der Libido ausreden wollen, er hatte die Homosexuellen, wie seit Jahrtausenden üblich, rigoros verdammt. Täglich gab es nun auf allen Kanälen den aufgebahrten purpurnen Leichnam – seht, ihr abgesetzten Ostmajestäten, so erfolgreich kann Personenkult zelebriert werden. Da war Stalin ein Waisenknabe. Vorgeführt wird die göttliche Übermacht in Beherrschung der irdischen Ohnmächtigen, denen Enthaltsamkeit statt Verhütung zusteht. Dieser Papst fungierte als Mit-Initiator der Aids-Pandemie in Afrika und anderswo. Endlich dürfen auch die eingemeindeten Ostdeutschen, diese armen Heiden, am kollektiven Gnadenakt nach Art der Heiligen Berliner Republik katholischer Nation teilnehmen, wovon sie bis 1989/90 leider ausgeschlossen waren. »Der Papst hat sich in Gottes Hand begeben« dichtete die vatikanische FAZ , offenbar Augenzeugin des Mysteriums, am 2. April auf Seite 1 und war doch um einen Tag zu spät dran, der 1. April hätte besser gepaßt. Am 3. April aber, einem Sonntag, entfleuchte das mainische Blatt ganz in himmlische Gefilde. Goethe wollte einst mehr Licht beim Sterben, der zweite Johannes Paul war des kommenden Todes froh, und ein Leitartikel röhrte: »Apostel, Superstar, stummer Prediger, Pilger, bezaubernder Priester.« Ein FAZ -Autor, vormals mit Joschka grüner Sponti, sah den toten Petrus-Nachfolger bereits fest »In Gottes Hand.« So sind die deutschen Karriere-Promis: Bevor Gott ihnen ein Amt gibt, raubt er ihnen den Verstand. Die gehirnkastrierten Opportunisten gleichen ihren Vorgängern, den alten Säcken, wie ein Ei dem anderen. Kurt Tucholsky riet wenige Tage vor seinem Selbstmord, man solle »nicht auf diesen lächerlichen Stalin hören, der seine Leute verrät, so schön, wie es sonst nur der Papst vermag«. Die Genossen Kommunisten haben das inzwischen begriffen. Den Herren der andersgläubigen Priesterschaft steht die ganze Aufklärungsarbeit noch bevor.
Erschienen in Ossietzky 8/2005 |
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