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In manchen Momenten ist Körpersprache beredter als alle Worte. Ein solcher Moment war der Austausch der Urkunden des Grenzvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen am 14. 11. 1990. Das veröffentlichte Bild des Vorgangs macht augenfällig: Hier gewährt der deutsche Außenminister ohne die Spur eines Lächelns, was der polnische unter dem mißtrauischen Blick seines Premiers zuvorkommend entgegennimmt. Wer die Geschichte des Vertragsabschlusses und die Auseinandersetzung innerhalb der polnischen Regierung über den Charakter des Vertrages kennt, weiß die Mienen zu deuten. Es ist der Moment eines bravourösen Sieges der deutschen Diplomatie. Eines Sieges allerdings, dessen man sich nicht öffentlich freuen darf, da, was den Sieg davon getragen hat, in diametralem Gegensatz zu den vorgeblichen Intentionen steht. Da beide Seiten die Neuregelung ihrer Beziehungen sehenden Auges eingingen, finden sie sich heute in einer Interessengemeinschaft des Schweigens wieder, das auf deutscher Seite die Offenlegung der revisionistischen Implikationen der deutschen Einigung, auf polnischer das Eingeständnis eines Versagens in einem unwiederbringlichen historischen Moment vermeidet, der die Chance bot, das Land von einem Alp zu befreien. Das deutsche Schweigen betrifft das dem vereinten Deutschland ins Rückgrat injizierte Kondensat der aberwitzigen Interpretation der rechtlichen Situation des aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangenen Deutschland durch Politik und Justiz des westdeutschen Nachkriegsstaates. Der Name dieses Giftes ist Deutschlanddoktrin. Gerichtet ist es gegen die Akzeptanz des 8. Mai 1945, des Tages der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht des Dritten Reiches vor den Alliierten der Anti-Hitler-Koalition, des Tages also der Debellation des Deutschen Reiches, die seinen uneingeschränkten Souveränitätsverlust bedeutet und den Übergang der Verantwortung für Deutschland als Ganzes an die Siegermächte zur Folge hatte. Der Leugnung dieser jenseits der bundesdeutschen Grenzen von keiner Seite in Frage gestellten Gegebenheiten dient das staatsrechtliche Konstrukt, das bis auf den heutigen Tag verpflichtende Grundlage der Beziehung Deutschlands zu seinen europäischen Nachbarn ist. Es setzt an die Stelle der Anerkennung der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs die Behauptung der Fortexistenz des Deutschen Reiches – gemeint ist das von 1871 – über den 8. Mai 1945 hinaus als eines Gebildes, mit dem die Bundesrepublik in staatlicher Hinsicht identisch, in territorialer und personeller Hinsicht dagegen umständehalber lediglich teilidentisch sei und dessen aktuelle Handlungsunfähigkeit den Staatsorganen der Bundesrepublik jegliches Handeln verbiete, das einem Handeln des Reiches, sollte dieses dereinst seine Handlungsfähigkeit wiedererlangen, vorgreift. Dieses Konstrukt wurde an neuralgischen Punkten der deutschen Nachkriegsgeschichte von dem demokratischer Kontrolle enthobenen Bundesverfassungsgericht, dessen Entscheidungen für alle Organe der Bundesrepublik verbindlich sind, rechtsförmig ausformuliert. Gegenstand der Fiktion ist ein Geisterreich – treffend wird das Urteil des Gerichts vom 31. 7. 1973 über den Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR, das der Konzeption zum ersten Mal geschlossene Gestalt verleiht, als Kyffhäuser-Urteil apostrophiert. Doch richten die von den Karlsruher Richtern gerufenen Geister bis in die Gegenwart desaströse Verheerungen in der Realität der Außenbeziehungen der Bundesrepublik an. Allem voran präjudiziert das Konstrukt, daß jeder seitens der Bundesrepublik geschlossene Vertrag nur die Bundesrepublik, nicht aber das »Reich« bindet, das der Wiedererlangung seiner Handlungsfähigkeit harrt, stellt also jeglichen Vertragsinhalt unter den Vorbehalt seiner Revision durch ein wiedererstandenes »Deutschland« in nicht näher definierten Grenzen. Daß diese Festlegung bei der Entgegennahme des »Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland« vom 12. 9. 1990, diesseits der Grenze mit landesüblicher Bescheidenheit als »2+4-Vertrag« bezeichnet, nicht auf den Tisch gelegt werden konnte, versteht sich von selbst. Daß sie damit nicht vom Tische war, erweist der bundesdeutsche Umgang mit den Vertragsbestimmungen. Die Bundesrepublik hat alles daran gesetzt, daß aus der Vereinigung der beiden deutschen Staaten nicht das im »Vertrag über die abschließende Regelung« angesprochene »vereinte Deutschland«, also ein von seinen Vorgängern geschiedenes Drittes, sondern eine Kontinuante der Bundesrepublik hervorging. Zu diesem Ziele wurde die Vereinigung nicht in Form eines Zusammenschlusses von BRD und DDR, sondern in Form des Beitritts der DDR zur BRD inszeniert, und die solchermaßen vergrößerte Bundesrepublik hat sich ihre Identität mit der vorvertraglichen Bundesrepublik allsogleich durch den Scharfsinn ihrer staatstragenden Staatsrechtler bescheinigt. Das Gefüge der postulierten teilidentischen Identitäten samt den daran geknüpften rechtlichen Weiterungen blieb unbeschadet, und der abschließende Charakter der »abschließenden Regelung« war erfolgreich unterlaufen. Doch damit nicht genug. Der staatsrechtliche Zuschnitt der deutschen Vereinigung bereitet lediglich den Boden für die Art und Weise, in der sich das in die Gestalt der Immer-noch-Bundesrepublik geschlüpfte Deutschland der Kernfrage der Selbstanerkennung in seinem am 8. Mai 1945 verbliebenen Bestand entzog. Der »Vertrag über die abschließende Regelung mit Bezug auf Deutschland« macht zur Bedingung der deutschen Einheit den Abschluß einer ebenso ab-schließenden Regelung, in der das vereinte Deutschland gegenüber Polen auf alle das Territorium von BRD und DDR überschreitenden Gebietsansprüche verzichtet. Der völkerrechtliche Ort einer derartigen Regelung ist ein Vertrag über die vorbehaltlose Anerkennung der gemeinsamen Grenze. Tatsächlich wird von deutscher wie von polnischer Seite der Eindruck erweckt, als wäre diese Vorgabe durch den deutsch-polnischen Grenzvertrag von 1990 erfüllt. Die bundesdeutsche Formel lautet, daß die Bundesrepublik gegenüber Polen keine Gebietsansprüche stellt und solche auch in Zukunft nicht erheben wird, und nur der Eingeweihte weiß, daß hier ein Staat seine Hände in Unschuld wäscht, der seine Abmachungen unter den Vorbehalt einer Revision durch einen nicht genannten Dritten stellt. Der Umstand, daß es sich dabei um ein Hirngespinst handelt, könnte dazu verleiten, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. Daß die beschworene Fiktion jedoch auch in diesem Falle realen Schaden anrichtet, lehrt die Lektüre des Vertragstextes. Der Titel des Vertrags stellt klar, daß sein Gegenstand nicht die Anerkennung, sondern die »Bestätigung« der polnischen Westgrenze, das heißt die Feststellung ihrer faktischen Existenz ist, und sein Kernartikel erklärt, daß diese Grenze jetzt und künftig »unverletzlich« sei. Damit ist die Katze aus dem Sack. Der völkerrechtliche Wortlaut eines Anerkennungsvertrages hätte an dieser Stelle den Begriff der Unantastbarkeit verlangt. Der Begriff der Unverletzlichkeit gibt die Übereinkunft als einen Gewaltverzichtsvertrag zu erkennen, der, wie der Fraktionsvorsitzende der FDP in der Bundestagsdebatte über den gleichgearteten Warschauer Vertrag von 1970 klarstellte, außer auf die Anwendung von Gewalt auf nichts verzichtet. Der jüngste Grenzvertrag zwischen Deutschland und Polen erfüllt mithin nach Geist und Buchstaben die Vorgabe nicht des »Vertrags über die abschließende Regelung«, sondern der in die nachvertragliche Bundesrepublik hinübergeretteten deutschlandpolitischen Fiktion des westdeutschen Nachkriegsstaates. Der vorgesehene Preis für die deutsche Einigung ist nicht entrichtet, und an die Stelle des abschließenden Verzichts der Bundesrepublik auf alle ihre Grenzen überschreitenden Hoheitsansprüche ist eine Tretmine gelegt, die auf die gleichfalls vom Bundesverfassungsgericht zum Rechtsgut erhobene »Gunst der Stunde« wartet. Daß die Bundesrepublik weiß, was sie tut, belegen unmittelbar anschließende grenzüberschreitende Hoheitsakte, unter denen die Ausgabe deutscher Pässe an polnische Staatsbürger die deutlichste Sprache spricht. Sechzig Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs ist es an der Zeit, daß der deutsche Bundestag als der von der Verfassung bestimmte Souverän dem Spuk der Deutschlanddoktrin ein Ende bereitet und die Bundesregierung die Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen durch die völkerrechtlich verbindliche Anerkennung der polnischen Westgrenze zum Abschluß bringt.
Erschienen in Ossietzky 8/2005 |
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