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Einwände erhoben sich prompt und sind bis heute nicht verstummt. Nun ist von Weizsäcker in einem Interview der Berliner Zeitung gefragt worden, wie seine Rede zustande kam, was er mit ihr beabsichtigte und wie er heute über seinen Text denke. Die Antwort auf die Frage, welcher Inhalt sich ihm mit dem Begriff Befreiung verbindet, lautete: Der 8. Mai war der Tag, »an dem die das Unglück begründende nationalsozialistische Herrschaft zu ihrem Ende kam. Das galt für die von Bomben immer wieder bedrohten und zerstörten Städte, das galt für die Konzentrationslager, und das galt auch für die Soldaten an der Front. In diesem Sinne war und ist der 8. Mai ein Tag der Befreiung.« Nur in diesem? So hätte der Gesprächspartner weiterforschen können. Stattdessen fragte er: »Wo waren Sie an jenem Tag?« Damit war das Eindringen in tiefere Schichten der Geschichte wieder einmal vermieden, und das Gerede über Vergangenes konnte dorthin zurückkehren, wo sich munter plaudern läßt: »Es war einmal ...«. Die Antworten des CDU-Politikers vertragen einige Ergänzungen. Ja, die Mehrheit der Deutschen war am 8. Mai 1945 – Millionen schon in den Wochen und Monaten vorher – endgültig befreit von den Schrecknissen des Krieges. Die Liste ihrer Toten und ihrer Krüppel war damit nicht geschlossen, viele starben noch in den Zeiten danach oder erlitten schweren Schaden. Doch die meisten konnten sagen: Wir haben den Krieg überlebt, und unsere Chancen, davon gekommen zu sein, wachsen von nun an mit jedem Tag – auch wenn der Moment, von dem an das Leben wieder lebenswert genannt werden konnte, für viele fern lag. Diesen Wendepunkt in ihrer kollektiven Biographie wie auch in ihren persönlichen Lebensläufen hatten die meisten ohne ihr Zutun erreicht, ja sie hatten ihn bis dahin durch ihr freiwilliges oder erzwungenes Verhalten immer wieder hinausgeschoben. Für Millionen galt auch, daß sie das, was sie an materiellem Besitz gerettet hatten, nun wohl nicht mehr verlieren würden. Das alles hieß nicht, daß die Deutschen an diesem 8. Mai von Zwängen und Ängsten befreit gewesen wären, aber sie hatten nicht nur die einen gegen andere vertauscht. Was ihnen Angst machte, war zumeist nicht mehr lebensbedrohlich. Dieser 8. Mai hat die Deutschen definitiv von der schändlichsten Rolle befreit, die sie in ihrer Geschichte bis dahin gespielt hatten. Sie waren, an sehr verschiedenen Plätzen und mit sorgfältig zu unterscheidenden Anteilen, die modernen Sklavenhalter für Millionen und Abermillionen Europäer geworden. Kriegerisch hatten sie deren Länder verwüstet und verheert, ausgeplündert und ausgeraubt, die Einwohner zu Millionen umgebracht und ihnen unsagbares Leid zugefügt, Trümmerhaufen von ungeheuren Ausmaßen hinterlassen, Lebenspläne und Hoffnungen zerstört. Nie zuvor war das Ansehen Deutschlands und der Deutschen auf einen derartigen Tiefpunkt heruntergewirtschaftet worden. Als sowjetische Soldaten an die Reichsgrenze gelangten, errichteten sie Schilder, auf den zu lesen war: Hier beginnt das verfluchte Deutschland. Und schließlich: Dieser Siegestag der Alliierten hat die Deutschen auf Generationen hinaus von der Möglichkeit einer schandbaren Zukunft befreit. Was ein Sieg der faschistischen Eroberer bedeutet hätte, ist mehrfach beschrieben worden, ohne daß dafür besondere Phantasie notwendig gewesen wäre. Die Pläne für ein Europa unterm Hakenkreuz, namentlich was das Kolonialreich im Osten anlangte, waren fixiert worden und sind überliefert: die Deutschen dauerhaft als Herren und Unterdrücker anderer Völker, ihnen Lebensrecht zubilligend oder entziehend, Erhebungen und Aufstände der Unterdrückten brutal niedermachend. Aber man muß auch einen Blick auf das Innere, die gedachte Gestaltung des Kerns dieses Imperiums werfen, um zu erkennen, was den Deutschen bevorstand und was ihnen erspart blieb: ein Zustand der geistigen Uniformierung ohne Beispiel, die Endlösung der Kirchenfrage, die Durchsetzung rassistischer Auswahlprinzipien in der Herrenrasse, zu schweigen von deutscher Architektur nach den Entwürfen Speers wie von deutscher Literatur und Kunst nach dem Geschmack der Hitler und Göring. Brecht dichtete 1933: »O Deutschland, bleiche Mutter! / Wie sitzest du besudelt / Unter den Völkern. / Unter den Befleckten / Fällst du auf.« Wer hätte Worte für die Rolle gehabt, die den Deutschen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach dem Endsieg zugedacht wurde? Sein Gedicht endet mit den Versen: »O Deutschland, bleiche Mutter! /Wie haben deine Söhne dich zugerichtet / Daß du unter den Völkern sitzest / Ein Gespött oder eine Furcht!« Nun also, 8. Mai 1945, war Deutschland keine Furcht mehr, aber es war, angesichts dessen, was an Grauen Zug um Zug erst noch zu Tage kam, auch nicht mehr ein Gespött. Denn wie hatten seine Söhne inzwischen ganz Europa zugerichtet.
Erschienen in Ossietzky 8/2005 |
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