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Wolfowitz bürgt als Architekt des Irak-Krieges auch an seiner neuen Baustelle für Entscheidungen, die dem globalpolitischen Interesse der USA entsprechen, so wie George W. Bush es versteht. Und er ist clever genug, um zaghafte Einwände der Entwicklungsminister anderer Länder gegen seine Ernennung wegzureden. Selbst Deutschlands »rote Heidi« zeigt sich schon zustimmungsbereit. Wolfowitz ist in den Augen des US-Präsidenten also der richtige Mann, und es mag sein, daß er sich selbst bei der Weltbank auch am richtigen Platz fühlt. Nicht nur aus politischen Gründen. Er trifft dort nämlich als die für den Nahen Osten und Nordafrika zuständige Direktorin Frau Shaha Ali Riza an, mit der er sich zum Ärger seiner Gattin in Zeiten der Lehrtätigkeit an der John-Hopkins-Universität in Baltimore liierte. Die räumliche Nähe des Paares, so meint die britische Tageszeitung Daily Telegraph, werde sicher der außerehelichen Beziehung guttun und die Mühsal des Reisens mildern, denn mit seinen 61 Jahren sei Wolfowitz auch nicht mehr der Jüngste. Die Weltbank ein Liebesnest? Bild -Redaktion, übernehmen Sie. Werner Biermann Die FachfrauAls »Wehrexpertin« trat die prominente grüne Politikerin Angelika Beer (Mitglied des Europäischen Parlaments) in der Frankfurter Rundschau auf, rechtzeitig vor Beginn der Osteraktionen der Friedensbewegung. Ihre Botschaft: Mit Protesten gegen den europäischen Verfassungsentwurf werde »irreparabler Schaden angerichtet« und den Nationalisten Zutreiberdienst geleistet, denn: Eine Verpflichtung zur Aufrüstung sei in dem besagten Konzept gar nicht vorgesehen, die These von der »Militarisierung der EU« sei »haltlos«. Mit der Formulierung, »militärische Fähigkeiten« müßten »schrittweise verbessert werden«, wolle der Entwurf vielmehr »die Chance zur Harmonisierung, Aufgabenteilung und Nutzung von Synergieeffekten bieten«. Die Ex-Verfechterin von Gewaltlosigkeit, ein Musterexemplar politischer Flexibilität, wird damit wieder einmal als Händlerin für Militaria in hübscher Verpackung tätig. Kriegerische »Fähigkeiten« verlieren, so möchte sie es, ihren Schrecken, wenn sie in harmonisiertem, arbeitsteiligem und synergetischem Design daherkommen. Grün eben. Arno Klönne Ältere LiebhaberÄltere Liebhaber des Dampfradios werden sich noch an sie erinnern, »Else Stratmann«, die sympathische und schlagfertige Hausfrau aus dem Ruhrpott, die ihre Erfinderin rasch bekannt machte. Als Elke Heidenreich begann die begabte Erzählerin eine zweite Karriere mit ebenso lebensklugen wie menschenfreundlichen Geschichten. Inzwischen hat sie ein eigenes TV-Format, wie man das nennt, und empfiehlt selbst die Bücher, die ihr gefallen. Ihre Auftritte wirken stets etwas angestrengt, sozusagen handgestrickt, wie eine Hausfrauen-Sendung »Was koche ich morgen?« aus der Stratmann'schen Wohnküche. Aber sie gilt, das Medium machts möglich, als die heute bedeutendste deutsche Literaturkritikerin, eine Art weiblicher Reich-Ranicki. Was Einschaltquoten und Wirkung betrifft, stimmt das sogar. Ein Lob von ihr läßt Auflagen steigen und versetzt, wie man hört, die betreffenden Verlage in Sektlaune. Der neue Gabriel Garcia Marquez mußte ohne ihr Lob auskommen, hat es aber auch so in die Bestsellerlisten geschafft. Der Ärger darüber hat sie nun auf die selbstmörderische Idee gebracht, sich in der FAZ schriftlich zu dem Buch zu äußern. O Gott, Else, welch ein Leichtsinn. Zu Marquez ist zu sagen, daß weder Titel noch Gattungsbezeichnung stimmen. Es handelt sich um keinen Roman, sondern eine Novelle, genauer: eine Meistererzählung, die es trotz kleinem Format, großer Schrift und viel Durchschuß mal gerade auf 160 Seiten bringt. Und »Erinnerung an meine traurigen Huren« ist auch irreführend, der Text könnte genauso gut »Die Bekehrung« heißen. Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein alter Mann, der sein Leben lang nur die käufliche Liebe kannte, wünscht sich von der Bordellbesitzerin, in deren Haus er früher Stammgast war, zu seinem 90. Geburtstag eine Jungfrau. Als er sie bekommt, verbringt er seine Nächte damit, die Schlafende anzuschauen. Er rührt sie nicht an, aber zum ersten Mal erlebt er das Glück der Liebe und wird ein anderer Mensch. Es ist eine wunderbare Geschichte, leicht und souverän erzählt, drastisch, ironisch, sinnlich und poetisch. Aber Else, nein: Elke befindet: »An Widerwärtigkeit nicht zu übertreffen«, ein Werbeslogan, den der Verlag in seine Anzeigen aufnehmen sollte. Sie fragt sich empört, wie eine Welt, die sich über Kinderpornografie aufregt, ein solches Buch preisen kann. Zur Begründung erzählt sie ihre Lesart der Geschichte. Aber in ihrem feministischen Furor kann sie nicht einmal den Inhalt korrekt wiedergeben. Einmal in Fahrt, macht sie gleich noch ein halbes Dutzend weiterer Autoren von John Updike bis Philip Roth nieder, die sie ebenfalls der Altherrenerotik überführt. Dabei ist die schwarze Liste noch unvollständig. Thomas Manns Erwählten hat sie vergessen, nicht zu reden von Süsskinds genialem Scheusal, das eine minderjährige Unschuld erwürgt, nur um sich am Parfüm ihres Körpers sattzutrinken. Als Stendhal vor 175 Jahren »Le Rouge et le Noir« schrieb, machte er, wie damals üblich, den geneigten Leser darauf aufmerksam, daß man den Autor nicht für die Ansichten und Handlungen seines Romanhelden verantwortlich machen darf. Vielleicht kann das jemand unserer Kritikerin schonend beibringen? Gerhard Schoenberner
Gabriel Garcia Marquez: »Erinnerung an meine traurigen Huren«, übers. v. Dagmar Ploetz, Kiepenheuer & Witsch, 160 Seiten, 16.90 €
Sicht eines SohnesPierre Radvanyi ist der Sohn der Schriftstellerin, die sich Anna Seghers nannte. Für die Familie war sie »Tschibi« (Küken). Radvanyi, Jahrgang 1926, verspricht in seinem Buch »Jenseits des Stroms« Erinnerungen an die Mutter . Da aber seine direkte Bindung an die Familie mit der Rückkehr aus dem la-teinamerikanischen Exil nach Europa endete seitdem lebt er in Frankreich , konzentrieren sich die Erinnerungen an sie auf die bedrückenden, bitteren, doch lebensrettenden Exiljahre. Die Distanz, aus der heraus Radvanyi berichtet, fördert nicht unbedingt die Anteilnahme der Leser. Nicht einmal die Darstellung des tragischen Unfalls, der Anna Seghers am 24. Juni 1943 fast aus der Welt schleuderte, geht sonderlich nahe. Berührend ist hingegen die Traurigkeit der Schriftstellerin, die in Tränen ausbricht, als sie vom Sohn erfährt, daß eine Kopie des noch unveröffentlichten Romans »Das siebte Kreuz« vernichtet werden mußte, damit das Manuskript »nicht in die Hände der Nazis fällt«. Berührend, weil die sonst so Beherrschte, auch Beherzte, in ihrer Betroffenheit und Bestürzung zu sehen ist. Über Anna Seghers' Jahrzehnte in der DDR ist aus dem schmalen Band nicht viel zu erfahren Jahrzehnte, in denen der französische Staatsbürger Pierre Radvanyi nur noch als Besucher Gesprächspartner der Eltern war. Bernd Heimberger
Pierre Radvanyi: »Jenseits des Stroms«, übers. v. Manfred Flügge, Aufbau-Verlag, 154 Seiten, 15,90 €
Arme böse MenschenIch konnte mich in der Schule mit meiner Meinung über Heinrich Manns Professor Raat (»Professor Unrat«) oder Diederich Heßling (»Der Untertan«) nicht durchsetzen, daß die Typen, so unsympathisch sie auch sind, doch auch ein bißchen Mitleid erwecken. »Arme Menschen« das war nicht materiell gemeint, sondern betraf ihre menschliche Substanz. Aber die Lehrer wollten damals nur hören, was für miese, lächerliche Gestalten sie als Repräsentanten ihrer Klasse und ihres Systems sind. Kerstin Hensels neues Buch erinnert mich sehr an den damaligen Streit. Sie beschreibt das Leben von Heinrich und Heini Paffrath. Der Vater macht als Feuerwehrmann bei den Nazis Karriere, der Sohn geht in der DDR zur Polizei. Keine sympathischen Typen. Sie tun brav ihren Dienst. Dumpf, arm an eigenen Interessen, Freunden, Freuden, Genüssen. In dieser Isolierung sehe ich sie schon an der Grenze zum psychisch Kranksein. Aber vielleicht mache ich es mir damit auch zu leicht. Kerstin Hensels kritischer Blick hat mich bisher oft »kleine Leute« anders sehen lassen, auch schwach, dumm, borniert und manchmal böse, was ich bei solchen Geplagten gern übersehen oder geleugnet hätte. Aber Kerstin Hensels Blick ist unbestechlich. Der einzige Genuß, den Heini Paffrath kennt, ist der Geschmack von »Falschem Hasen«, einem Essen, das einst die Mutter kochte. Alles andere ist bloßes Funktionieren. Lebenswünsche werden zu Wahnvorstellungen, bis alles eskaliert. Mitleid ist diesmal nicht mein vorherrschendes Gefühl, vielleicht Angst, denn diese »Armen« haben kein Mitleid mit anderen, mit uns, sie funktionieren in jedem System. Christel Berger Kerstin Hensel: »Falscher Hase«, Luchterhand, 221 Seiten, 19.80
Ein Land wird verschleiertVor manchen Büchern muß man mögliche Leser warnen. Susanne Fritsche (Geburtsjahr 1979) versucht den Eindruck zu erwecken, hier ihr ganz normales Leben als DDR-Kind zu beschreiben, das mit zehn Jahren den »Fall der Mauer« erlebt hat. Es zeigt sich, daß sie in diesen zehn Jahren persönlichen Erlebens der DDR von ihren Erziehungsberechtigten zu einer Art Doppelexistenz angehalten wurde: einerseits Kinderkrippe, Kindergarten, Schule, Jungpionier, Thälmannpionier andererseits der Umschaltknopf zum Westfernsehen, das begierig erwartete »berühmte Westpaket«, das als »frei« wahrgenommene Leben der Westverwandtschaft. Später, so bekundet sie selber, habe sie alles weitere Wissen über die DDR nachträglich eingeholt durch Literatur und Besuche der Museen und Gedenkstätten, zum Beispiel des Stasiknasts Hohenschönhausen. Genau die Sicht des dort residierenden DDR-Hassers Hubertus Knabe legt sich wie ein Grauschleier über alles, was sie dem Leser rückblickend über ihr Leben in der DDR erzählt. Sehr genau genommen hat sie die Recherche nicht. Das wird ablesbar an der grob zubehauenen, fehlerhaften Darstellung der Fakten. So läßt sie bereits 1945 DBD und NDPD sich am Demokratischen Block beteiligen, obwohl diese Parteien erst Jahre später gegründet wurden. Den Namen Grotewohl schreibt sie mehrfach falsch. Die Mitglieder der SED sind in ihrer Sicht »Parteigenossen« eine sprachliche Anleihe aus der Lingua Tertii Imperii. Aller Grund und Boden in der DDR sei »verstaatlicht« worden, schreibt sie und behauptet damit fälschlich die Enteignung aller privaten Liegenschaften, kirchlichen Wälder und genossenschaftlichen Ländereien. Wenn sie die Volkskammer-Fraktionen aufzählt, vergißt sie den Demokratischen Frauenbund Deutschlands und den Kulturbund. Überall dort, wo »sowjetisch« stehen müßte, setzt sie »russisch« ein. Den III. SED-Parteitag verlegt sie von 1958 nach 1956. Erich Honecker gelang angeblich »die Flucht« aus dem Zuchthaus Brandenburg, obwohl er nach eigenem Bekunden dort von der Roten Armee befreit wurde. Selbstverständlich ist für sie die deutsche Teilung mit der Gründung der DDR »besiegelt« nicht etwa mit der eigenständigen Einführung der westlichen Separatwährung durch die Westmächte und der Gründung der BRD, der Wiederbewaffnung, den Pariser Verträgen, dem NATO-Beitritt und so weiter. So ist es nur folgerichtig, daß sie alle wichtigen Grundlagen, denen die DDR ihr Wachsen und ihre internationale Bedeutung verdankte, beschweigen muß: den antifaschistischen Kampf der Begründer dieses Staates; die Errichtung großer Betriebe der Schwerindustrie als Grundlegung für eine eigene Wirtschaftsentwicklung; die Erfolgsgeschichte der DDR-Landwirtschaft auf genossenschaftlich bewirtschaftetem Boden; die Hervorbringungen des kleinen Landes auf den Gebieten Kunst, Theater, Film, Literatur, Bibliotheken, Sport, Wissenschaft, Technik; eine praktikable und allgemeinverständliche Rechtspflege (die darf es im »Unrechtsstaat« einfach nicht gegeben haben); das einheitliche polytechnische Bildungswesen; die von der SED initiierte Friedensbewegung gegen Atom- und Chemiewaffen in Europa. Und natürlich wird die westliche Technologie-Blockade (Cocom-Liste) ebenso verschwiegen wie die Vielzahl westlicher Einmischungsversuche durch Subversion, Sabotage und Spionage; die Autorin kennt nur »angebliche« Machenschaften eines lediglich »eingebildeten« Klassenfeindes. Dieses Buch zeichnet ein unzutreffendes Bild der DDR: eine Karikatur, die nicht erheitert, sondern zornig macht. Peter Franz Susanne Fritsche: »Die Mauer ist gefallen. Eine kleine Geschichte der DDR«, Carl Hanser Verlag, 145 Seiten, 14.90 €
Diether Dehm, diesmal NovellistWas hat er nicht schon alles gemacht: Als Jugendlicher Sänger »Lerryn« zog er von Frankfurt am Main aus durchs Land, er schrieb für andere Sängerinnen und Sänger Lieder, die ähnlich bekannt wurden und blieben wie alte Volkslieder, er arbeitete als Manager von Künstlern, er brachte es in der SPD bis zum Bundesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen, später in der PDS zeitweilig zum stellvertretenden Parteivorsitzenden, er hatte überraschende Erfolge als Wahlkämpfer in der Provinz, in Berlin wird er geschätzt als freundlicher, umsichtiger Gastgeber allmonatlicher Gespräche mit Prominenten im jedesmal überfüllten Café »Sybille«, kürzlich inszenierte Manfred Wekwerth ein Musical von ihm, auch gehört er zu den Initiatoren der »Künstler gegen Krieg«, und in politischen Debatten hält er klaren antimonopolistischen Kurs: Diether Dehm, über dessen Vielseitigkeit sich kleine Geister mokieren. Ideenreich ist auch sein Buch »Die Seilschaft Eine Kriminal-Novelle« über die publizistische Hetzjagd gegen einen Pfarrer im Brandenburgischen, der als Inspirator einer Umweltschutz-Bürgerinititative Investoren und Politiker stört und prompt verdächtigt wird, einstmals etwas mit der »Stasi« zu tun gehabt zu haben. Was hat er nicht schon alles selber gemacht. Aber einen Lektor hätte er doch gebraucht, der ihm geholfen hätte, die vielen erzählerischen Einfälle, die genauen Beobachtungen menschlicher Verhaltensweisen, die klaren zeitgeschichtlichen Einsichten (samt juristisch und künstlerisch erlaubten, politisch wohlbegründeten Ausfällen gegen Gregor Gysi und André Brie) besser zu ordnen und die Lektüre zu erleichtern. Karla Koriander Diether Dehm: »Die Seilschaft Eine Kriminal-Novelle«, Schkeuditzer Buchverlag, 124 Seiten, 7 €
Der Kuh-VogelMatthias Biskupek hat uns einen Jux in schönsten Frühlingsfarben beschert: Ein Wellensittich bringt dem Schriftsteller bei, möglichst viele Wörter mit q zu verwenden. Wenn es aber nicht genug q's gibt, müssen k's zu q's werden, also Biskupek zu Bisquupek und nix zu niqus. Infolge dieses Juquses wie sonst? wachsen ihm die Quollegen Quilitzsch und Querengesser zu. Am Ende kann man womöglich nicht einmal mehr den Altnazi Quintenschlaeger und dessen junge Quameraden ganz ernst nehmen... Dieses Bändchen, zauberhaft illustriert von einem Künstler mit dem kurzen, einprägsamen Namen Nel, verschenke man jedem, den man erheitern will. Evelyn Enzian Matthias Biskupek: »Der soziale Wellensittich«, Individuell Verlag, 80 Seiten, 9.80 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Sechs reiche StundenWo auch immer das meisterhaft erzählte Familien- und Geschichtsepos »Die besten Jahre« von Marco Tullio Giordana zu sehen sein wird gegenwärtig im Berliner Cinema Paris , man sollte den Weg nicht scheuen, sich von der Länge nicht abschrecken lassen. Es sind sechs (tatsächlich sechs!) reiche Stunden, die einen erwarten; sie lassen sich teilen: drei Stunden an diesem, drei am nächsten Tag. Reiche Stunden, weil hier wiederbelebt wird, was zum Besten der italienischen Filmkunst gehört: Pasolinis politische Analyse, Fellinis Kraft der Bilder, Antonionis Poesie der Liebe. 1966 beginnend werden am Leben einer römischen Familie nahezu vier Jahrzehnte besichtigt italienische Jahrzehnte, im übertragenen Sinn aber auch unsere. Wir, Zeitzeugen der Studentenrevolten, des gewerkschaftlichen Widerstandes, der RAF-Aktionen, der Härte der Justiz in deutschen Landen, werden die Brüche im Leben der Brüder Nicola und Matteo, in dem ihrer Familien und Freunde durchaus nachvollziehen und auch mit wachen Sinnen spezifisch italienische Ereignisse aufnehmen: die Psychiatriereform, das Hochwasser in Florenz, die großen Fußballspiele... Und erst die Menschen jener Jahre und wie der Film sie darstellt: Nicola Carati (Luigi Lo Cascio), der Psychiater wird, sein Bruder Matteo (Alessio Boni), der sein Studium abbricht und in den Polizeidienst eintritt, die psychisch kranke Giorgia (Jasmine Trinca), die das Leben der beiden entscheidend beeinflußt, Giulia (Sonia Bergamasco), die Nicolas Lebensgefährtin wird, sich den Roten Brigaden anschließt und am Ende, nach Hinweisen des eigenen Mannes, verhaftet wird eine erschütternde Entwicklung! Giovanna und Francesca schließlich, die Schwestern der Brüder, und vor allem deren Mutter, Adriana, die Lehrerin (Adriana Asti) kurzum, ein durch den Nachwuchs stetig wachsender Familienkreis, dem man verbunden bleibt, mit dem man trauert und feiert, aufsteigt und untergeht und mit dem zusammen man den Weg der Kindeskinder in die Zukunft verfolgt. Ein Meilenstein der Filmkunst! Walter Kaufmann
Gruß an die Kino-EuleOb sie mir etwas zu verdanken hat, weil (oder obwohl) wir mal verheiratet waren (also miteinander), ist hier kein Thema. Ich verdanke Renate Holland-Moritz dies und das. Respekt für ihre Zielstrebigkeit beispielsweise (nicht erlernbar für unsereinen) und, unter anderem, das Lampenfieber vorm Besuch im Standesamt. Sie kannte das Gebäude und die zuständige Protokollantin, weil sie von der schon mal verheiratet worden war. Dieses Amt wurde bald nach unserer Trauung geschlossen. Viele Frauen haben gewisse Geheimnisse, so auch Renate. Die oft ganz überraschend Hunger fühlt, hat nie was zu essen bei sich, obwohl in der Handtasche Platz genug wäre für 3 Schrippen mit Schinken. Oft hat sie kleine Schwierigkeiten, ihre Texte, die sie später meist glänzend zu Ende bringt, erst mal anzufangen. Dann kommt der unvermeidliche Stoßseufzer: »Sach mir ma einen ersten Satz!« Nicht ohne Mühe liefert man ihr einen ersten Satz. Der wird aber nicht verwendet, weil ihr ein besserer erster Satz einfällt. Renate hat als begabte und fleißige Journalistin viel veröffentlicht, darunter auch bemerkenswerte Gerichtsreportagen, von ihr gibt es zahlreiche lustige Bücher. Doch sie war und ist und bleibt die Kino-Eule, sachkundig, witzig, unbestechlich und daher auch nicht selten rücksichtslos. Rücksichtsvolle Kritikerinnen gehören in die Kindertagesstät-ten. Filmhersteller sind auch nicht rücksichtsvoll. Renate Holland-Moritz hat i hre Kritiken in der Zeitschrift Eulen-spiegel , im Mitteldeutschen Rundfunk und in Sammelbänden publik gemacht, sehr publik gemacht. Zwei dieser Alben sind im Eulenspiegel-Buchverlag erschienen, das dritte hat jetzt der Karl Dietz Verlag in Berlin ediert. Darin nur ein kleines Beispiel endet das Urteil über »Go Trabi Go Das war der wilde Osten« wie folgt: »Etwa zur Filmhalbzeit sagt Rolf Zacher zu Wolfgang Stumph: Irgendwas muß doch in deiner Sachsenrübe stecken! Ich fürchte, hier irrt der Mann.« Was Renate von fast allen Filmkritikern unterscheidet: Sie hat Stil. Und Charakter. Dazu konnte man an ihrem 70. Geburtstag (29.3.2005) doch nur gratulieren. Lothar Kusche
Press-KohlAlpträume scheinen gelegentlich die stilistische Phantasie auch von Theater-Kritikern zu beleben. Ein »Grandioser Albee-Alptraum im DT Berlin« hat Hans-Dieter Schütt ( Neues Deutschland) dermaßen enthusiasmiert, daß er folgendes kundtut: »Unwirklich scheint, was in dieser Zweimenschenwelt vorgeht. Aber wahr ist, daß diese Zweimenschenwelt die Welt sei. Bloßgelegt wird, was in tausend Fällen nur stiller Wunsch ist. Ausgeschrien wird, was in tausend Fällen beschönt wird. Geweckt wird, was in tausend Fällen schlummert.« Beispielsweise Corinna Harfouch. Zunächst hält der Schlummer sie noch umfangen. Da kann die Künstlerin erst mal nur schleichen »wie die Katze um den heißen Holztisch«, aber schon beginnt sie sich in eine größere Katze zu verwandeln: »Eine Tigerin sondiert.« Und dann geht's richtig los. »Sie kann mit gefahrvollster Zartheit das Theater durchdröhnen.« Neue Spezialität einer vielseitigen Begabung: Die Schauspielerin als Gewittermaschine. Und ihr Partner? »Matthes: sensibler Schwarzkopf, nervöser Intelligenzler, durchscheinend vergiftungskrank, aber so glänzend unfaßbar, wie er unumkehrbar steinern wird und doch federnd bleibt ...« Das macht dem Matthes keiner nach. Allenfalls Schütt. Denn »wann leuchten Sterne am hellsten? Wenn's finster wird, sehr finster.« * »Ich treffe Menschen«, soll Cameron Diaz dem Berliner Kurier erzählt haben, »nach denen sich niemand umdreht, die aber vor innerer Schönheit glühen«. Umgekehrt »gebe es Schönlinge, die innerlich hohl seien. Sich selbst findet Cameron Diaz nicht perfekt. Ihre Nase sei schon vier Mal gebrochen.« Die Diaz-Nase könnte aber vor innerer Schönheit glühen! Obwohl sie, wie die meisten Nasen, innerlich hohl ist. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 7/2005 |
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