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Andere trugen zwar keinen Schaden davon, hatten aber auch ihre Probleme mit der Inszenierung. »Trantüten-Theater« und »Schnarchparty«, fand die Welt, und die Hamburger Morgenpost glaubte sich im »Panoptikum stammelnder Idioten«. Da solle man lieber ins Thalia-Theater gehen, empfahl Frau Karasek, in die »blutvolle« Inszenierung von Michael Thalheimer, in diese alberne Woyzeck-Metzelei ( Ossietzky 22/03), die nun auch wieder gezeigt wird. Warum jetzt die Ablehnung? Der junge Regisseur Laurent Chétouane begeht das Verbrechen, das Stück ohne den Mord enden zu lassen. Dafür haben die Schauspieler als lebende Tote zu agieren. Es beginnt mit dem Märchen, das sich das Kind selbst erzählt, nicht die Großmutter. Nicht erzählt: erstottert, wie ein Puzzle mühsam zusammengesetzt. Nicht Kind: Närrin oder Behinderte. Jana Schulz spielt sie in einem weißen Zwangsjackenanzug mit Spielzeugtrommel, bleibt dann den ganzen Abend stumm. Kopiert und karikiert in entlarvenden Pantomimen die Erwachsenen. Das Märchen ganz ohne Trost, in dem Vater und Mutter gestorben sind, alles tot – es liegt wie eine schwarze Folie über der Aufführung. Alle Personen bewegen sich wie unter Zwang, gefrorene Marionetten. Die Arme herunterhängend, den Blick ins Endlose gerichtet spielen sie im luftleeren Raum. Quälend lang die Zeit, bis ein Wort herausgewürgt wird, emotionslos, wie es scheint. Marie (Stephanie Stremler) und Woyzeck (Devid Striesow) stehen sich gegenüber, berühren sich nicht. Sie tragen Kleider wie vom Wühltisch, auswechselbar (Kostüme: Sanna Dembowski). Alle sind erstarrt an Hoffnungslosigkeit. Wann spielt das Stück? Wo spielt es? Wohl noch nie wurde Büchners Text so gedehnt gesprochen und so nackt in den Raum gestellt. Es bleibt viel Zeit, sich Fragen zu stellen. Das Bühnenbild (Patrick Koch): schwarze Wände und ein paar Baumgerippe, zusammengenagelt. Rechts ein Holztreppengerüst – für unsichtbare Zuschauer? Niemand sitzt dort, niemand sieht von dort zu. Links zwei Mikrofone, die kaum einmal benutzt werden. Wozu denn, wenn niemand hört, hören will. Die Darstellung des Schreckens erzeugt Erschrecken, das ist gewollt, und das ist richtig. Aber das führt auch dazu, daß manch einer wegläuft, weil er es nicht ertragen kann. Der reale Woyzeck war arbeitslos und hatte keine Wohnung. Büchner schrieb das nicht so deutlich. Der Wissenschaftler Justus von Liebig machte Versuche an Soldaten in Gießen, wo Büchner damals studierte – Ernährungsexperimente, um Kosten zu sparen. Läßt sich Eiweiß nicht viel billiger aus Hülsenfrüchten ziehen als aus Fleisch? Büchner muß davon gewußt haben. Die Sprache, auf der in dieser Inszenierung das ganze Gewicht liegt, ist fast durchgehend die der Unterdrückten. Wenn der Hauptmann in Dumpfheit versinkt, kann man das verstehen. Der Tambourmajor, mal stumm marschierender Zinnsoldat, mal Hampelmann mit Schnapsflasche, ist genauso Verlierer wie Woyzeck, obwohl er ihn besiegt. Wenn Marie zu den Ohrringen sagt: »Was die Steine glänzen«, dann klingt es nicht freudig, eher wie erloschen. Ganz wie am Schluß der Szene: »Geht doch alles zum Teufel, Mann und Weib!« Aber der Doktor, sein Sprechen hätte sich abheben müssen von der allgemeinen Depression. Ein Fehler der Aufführung – besonders im letzten Drittel zu spüren: Es gibt nur eine einzige Sprache. Der Marktschreier (Hans Diehl) ist die Ausnahme, er läßt sogar ein Lächeln zu. Aber er spielt auch den Narren – warum wird er im Programmheft »Idiot« genannt? Und er verkörpert den Juden. Die Szene des Messerkaufs: Was geschieht? Der Jude reibt sich – wie es die christlich-abendländische Vorstellung will – die Hände nach dem Handel. Aber nicht genug, er beißt auch auf die Geldstücke, ob sie denn echt seien. Sind diese Bilder bewußt als Klischee gewählt, um sie vorzuführen wie ein Zitat, oder sind sie dem Regisseur unterlaufen? Eine Inszenierung, die mit zweieinhalb Stunden Dauer ohne Pause viel Geduld verlangt. Als Gegengewicht zu Thalheimers »Woyzeck«, bei dem fast alle hektisch im Blut zu ersticken haben, zwingt hier die quälende Langsamkeit des Sprechens zu einem neuen Verständnis des Textes * Tanz auf Kampnagel in Hamburg. Das Festival »Polyzentral« führte, durch Workshops ergänzt, über zwei Wochen lang vor, was – von uns aus gesehen – an der Peripherie geschieht. Das Thema: Afrika. Daneben Gruppen aus der Türkei, Ungarn und dem am Ural liegenden Chelyabinsk. Eine Stadt, die – wie sogar der Brockhaus weiß – »bisher stark auf die Rüstungsindustrie ausgerichtet« war. Die Tänzerinnen und Tänzer machen es sichtbar: Teil einer Maschinerie zu sein und verzweifelt zu versuchen, immer wieder auf die Beine zu kommen. Die Tänzerin Imen Smaoui aus Tunesien sucht für sich einen eigenen Weg. Im muslimischen Marokko mußte sie ihr Solo abbrechen, weil Proteste sie dazu zwangen. Bekleidet mit einem Gewand, das ihre Körperformen deutlich sichtbar macht, tanzt sie nach Musik, in der Verse des Korans hörbar werden. Ihr Tanz ist sehr zurückgenommen, wie Erinnerungen nachspürend, meditativ, dann militärisch exerzierend. Ihr – durch Krankheit – kahler Kopf macht ihre Erscheinung verletzlich. Eine andere tunesische Tänzerin, Aicha M´barek, trat zusammen mit dem in seinem Heimatland sehr bekannten HipHopper Hafis Dhaou auf. Hier bewies er in seinem Solo, als Gefangener im Kerker, große Sensibilität und im Duett zweier Liebender – nicht selbstverständlich auf der Bühne im arabischen Raum – Zartheit und Zurückhaltung. Die Gruppe »Cie. 1er Temps« aus dem Senegal präsentierte als Deutschlandpremiere »Impro-Visé 2« und »Pression«. Die Tänzerinnen und Tänzer verbinden schwarz-afrikanische und europäische Traditionen zu etwas Neuem, Überraschendem. Ein Stück, den Straßenkindern von Dakar gewidmet, begann mit dem Erwachen in Kartons und Zeitungen, ihren Schlafplätzen, und führte schließlich dorthin zurück. Der Choreograph und Tänzer Tschekpo Dan Agbetou, im Benin geboren, in Bielefeld Leiter eines Tanz-Zentrums, begeisterte mit seinem Solo. Etwas Unsichtbares wie den Wind darzustellen, er schafft es – zur Musik von Keith Jarrett – auf wunderbare Weise, zaubert aus dem Nichts Blumen oder Tiere, spricht mit ihnen, wird selbst zum Vogel. Alles auf eine ironisch gebrochene Weise. Der Höhepunkt: die Compagnie »Salian i Seydou« aus Burkina Faso, einem der ärmsten Länder Afrikas. Sie zeigte ein Stück, das sich der Blindheit annimmt, des Nicht-Sehens oder Nicht-Sehen-Wollens. Zwei Musiker unterstützen drei Tänzer, die selbst erstaunliche Töne mit dem Mund hervorbringen. Große Emotionalität, in jedem Muskel des Körpers nachzuspüren, ein Tanz der ungewöhnlichen Formen. Von der bekannten französischen Choreographin Mathilde Monnier ausgebildet, schufen sie einen eigenen Stil, den sie weitergeben im eigenen Land, wohin sie immer wieder zurückkehren. * Unabhängig vom »Polyzentral«-Festival stellte sich die Batsheva Dance Company aus Israel vor. Auf der Bühne eine schwarze Wand. Eine Tänzerin zieht mit weißer Kreide die Umrisse ihres Kopfes nach, bewegt sich weiter, zieht Linien, schreibt ein Wort: »sie«. Meint sie sich, als Zielscheibe, oder meint sie uns, die Zuschauer? Ist die Wand eine Klagemauer oder ein Schutzzaun? Wir werden mit einbezogen in das Stück: »Naharin´s Virus«. Oben auf der Mauer steht ein Mann im schwarzen Anzug, er kommentiert, in deutscher Sprache: »…ihre Gedanken sind frei – Sie haben Hintergedanken – das ist kein Spiel – keine Dokumentation…« Es wächst sich aus zu einer Publikums- und Selbstbeschimpfung, frei nach Handke. »Ihr Saujuden – ihr KZ-Banditen – ihr Nazischweine – ihr jüdischen Großkapitalisten – ihr Selbstbezichtiger«. Manchmal verliert der Kommentator den Kopf, der Anzug steht da ohne Mensch. Mit dem Stück ist die Company auch in Nazareth aufgetreten, vor arabischem Publikum, dem sie die Musik entlieh. Gekleidet in weiße Trikots, die sogar die Hände bedecken, der Unterleib schwarz, stehen die Tänzer vor uns, ballen die Fäuste drohend. Dann bewegen sie sich zur schwarzen Wand hin und schreiben Worte aus sich heraus, im Ensemble oder einzeln. Es entsteht eine Schrift: »Plastelina«. Einer tanzt wie in verhaltener Wut vor dem Wort, zieht einen Kreis, als wolle er ihn hineinritzen, es entsteht ein O. Irgendwann lese ich: »PLO«. Der Kommentator verkündet: »Wir werden nur Schimpfworte gebrauchen, die Sie gebrauchen…« Von oben wird ein Mikrofon heruntergelassen, eine Tänzerin soll sich äußern, aber es kommt nur ein Stöhnen aus ihrem Mund. Die Tänzer singen den arabischen Refrain eines Songs mit. Von rechts oben beugt sich eine über die Wand und zeichnet ein Dreieck, zieht es immer dicker, um dann mit leuchtend roter Kreide an einem Punkt etwas zu markieren. Eine andere führt ihr die Hand. Wie Nerven oder Adern, gebündelt an diesem Ort. Ein Brennpunkt, eine offene Wunde oder die Stelle eines Anschlags? Nur dieses flammende Rot bleibt übrig, brennt sich ins Gedächtnis. Ein Stück über das Verstehen und Nicht-Verstehen des Anderen – ein Stück für ein deutsches Publikum.
Erschienen in Ossietzky 7/2005 |
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