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Der nach seiner Flucht aus Nazideutschland in Schweden entstandene Dokumentarroman ist die einzige Darstellung des Überlebenskampfes der Berliner Juden in der letzten Phase des Dritten Reiches, die noch vor Ende des Krieges erschien: Der Stockholmer Verlag Albert Bonniers hat ihn im Februar 1945 erstmals herausgebracht – und vor zwei Jahren wegen seiner Authentizität neu aufgelegt. Strindberg und Schweden – wer da denkt da nicht an den Autor von »Fräulein Julie« oder »Das rote Zimmer«. In der Tat: Der Autor unseres Buches ist ein Sohn August Strindbergs. Und doch wieder nicht. Denn Friedrich entstammt der Verbindung von Frida Uhl, Strindbergs zweiter Frau, und Frank Wedekind. Aber August Strindberg anerkannte das Kind als sein eigenes. Friedrich Strindberg lebte zunächst in Wien, gehörte nach der Revolution von 1918 zur jungen roten Intelligenz der Donaumetropole. Er war damals mit Maria Lazar, einer Jugendfreundin Helene Weigels, verheiratet. Doch ihre Wege trennten sich. Maria Lazar flüchtete im September 1939 nach Schweden, wo sie unter dem Namen Esther Grenen als antinazistische Schriftstellerin bekannt wurde. Friedrich arbeitete derweil als freier Schriftsteller für den Berliner Ullstein-Verlag. 1934 reiste er nach Abessinien; 1936 erschien das Reportagebuch »Abessinien im Sturm. Kleines Tagebuch aus dem ostafrikanischen Krieg«. Während des Zweiten Weltkriegs schrieb er unter anderem für schwedische Zeitungen. Die beiden Hauptfiguren seines einzigartigen, aus Sicherheitsgründen zunächst unter dem Pseudonym Fredrick Uhlson erschienenen Dokumentarromans (erst die nach Kriegsende publizierte dänische Ausgabe trug seinen richtigen Namen) sind zwei reale jüdische Berliner, Lotte und Herbert A. Strauss, deren Namen Strindberg nur unwesentlich änderte. Denn als »Im Untergrund in Berlin« in Stockholm erschien, waren beide längst in der Schweiz in Sicherheit. Erst vierzig Jahre nach ihrer Flucht kehrten sie nach Berlin zurück – Herbert A. Strauss als Gründungsdirektor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität. Seit 1990 lebte Strauss in New York, wo er am 11. März dieses Jahres starb. »Im Untergrund in Berlin« ist ein in vieler Hinsicht erstaunliches, spannendes und aufwühlendes Buch. Schon mit den ersten Zeilen wird der Leser in die bedrückende Situation der Berliner Juden hineinversetzt. Die junge Jüdin Lotti, die in jenen Oktobertagen 1943 wie Tausende Schicksalsgefährtinnen in Berliner Großbetrieben ausgepowert wird (sie bei Siemens in Spandau, Fabriksaal 33, 5. Stock), hört im Hinterzimmer ihrer Pension, wie ihre Wirtin von der Gestapo abgeholt wird. Auch sie selbst soll »auf Transport« gehen. Doch geistesgegenwärtig kann sie eine Fluchtchance nutzen, hetzt zu ihrem Freund Herbert. Sie trennen die Judensterne von ihren Kleidungsstücken und sind fortan vogelfrei – ohne Papiere, ohne Lebensmittelmarken, ohne Obdach. Strindberg schildert den angehenden Rabbi Herbert Strauss als einen willensstarken Mann, der dank der Unterstützung auch nichtjüdischer Berliner vielen anderen Verfolgten helfen und sich schließlich – nach fast zehn Monaten im Untergrund – selbst retten kann. Dem Autor gelingen auch aussagekräftige Momentaufnahmen von Nazigegnern unterschiedlichster Couleur, sei es ein katholischer Priester, ein ehemaliger kommunistischer Reichstagsabgeordneter, ein Bankier oder ein Offizier aus dem Oberkommando der Wehrmacht. Strindberg spricht von »Schattierungen innerhalb des Herrenvolkes«. Er selbst »verkleidet« sich in dem Buch als schwedischer Fotograf. Zu den bewegendsten Szenen gehört jene, in der Strindberg im Januar 1943 die beiden Strauss' über seine Erkenntnisse vom Ausmaß des Holocaust informiert – ein Unternehmer berichtete ihm von »Leichen-Fabriken« im Osten. Offenbar gehörte Strindberg zu den ersten Journalisten überhaupt, die zu jener Zeit über dieses Wissen verfügten. Noch in der Erklärung der Alliierten vom 17. Dezember 1942 über die »Deutsche Politik der Vernichtung der jüdischen Rasse« heißt es lediglich: »Von denen, die deportiert worden sind, hat man nie wieder etwas gehört...« Diese Szene wird auch in den Memoirenbänden reflektiert, die Herbert A. Strauss (»Über den Abgrund«) und Lotte Strauss (»Über den grünen Hügel«) Ende der 90er Jahre veröffentlichten. Lotte Strauss notiert: »Mit einem Mal wußte ich mit Sicherheit, daß es das war, wohin meine Eltern, Herberts Vater und all die anderen gebracht worden waren: zu ihrem Tod in den Gaskammern... Den Namen der größten Todesfabrik, Auschwitz, hatten wir noch nie gehört.« Auch Herbert A. Strauss widmet dem schwedischen Autor, der ihm mehrere Male Unterschlupf gewährte, in seinen Memoiren mehrere Seiten. »Strindberg«, betont er, »war ein entschiedener politischer Gegner der Nazis.« Neben Anerkennung ist da aber auch Verstimmung zu spüren. Bei einem Wiedersehen in München 1958 zögerte Strindberg, den beiden Strauss' das deutsche Manuskript zu geben. Nachdem sie eine grobe Übersetzung aus dem Schwedischen hatten lesen können, glaubten sie den Grund zu verstehen. Strindberg hatte die reale Geschichte zum Schluß hin dichterisch frei gestaltet: Herbert findet eine andere Frau – was Lotte offenbar gar nicht gern sah. Und: Hatte Herbert schon in den Debatten während des Krieges über die Zukunft Deutschlands und Europas Schwierigkeiten mit Strindbergs deutlich linker Weltsicht, so traten nun – etwa in der Einschätzung der USA – die politischen Differenzen noch stärker hervor. Dennoch notiert Strauss: »Ich habe Strindberg und seine Frau Utje als gute Freunde in Erinnerung behalten.« Die Neuedition von Friedrich Strindbergs Buch ist dem schwedischen Schriftsteller Jan Myrdal zu danken, der es während seiner Recherchen für eine August-Strindberg-Biografie wiederentdeckte. Dabei stieß Myrdal auf eine schier unglaubliche Geschichte. Als Friedrich Strindberg im Sommer 1943 – ihm wurde offenbar der Boden unter den Füßen zu heiß – die Einreise nach Schweden beantragte, wollten ihm die Strindberg-Erben (darunter seine Halbschwester Kerstin) die schwedische Staatsbürgerschaft aberkennen lassen. Myrdals zugespitzter Kommentar: Da Vater Wedekind von dem Naziliteraturpapst Adolf Bartels – allerdings fälschlicherweise – als »Judenmischling« etikettiert worden war, wäre Friedrich Strindberg ohne den Schutz des schwedischen Passes am Ende noch selbst in einen Viehwagen gen Osten gestoßen worden. Doch das Stockholmer Außenministerium wies das Ansinnen der Strindberg-Erben ab, und Friedrich hatte auch keinerlei Schwierigkeiten, als er nach Schweden kam. Das alles deutet nach Myrdals Auffassung darauf hin, daß er als eine Art Gewährsmann gute Kontakte zu schwedischen Stellen hatte. Die Haltung der Strindberg-Erben mag auch ein Grund gewesen sein, warum Friedrich Strindberg nicht in Schweden blieb. 1949 kehrte er nach (West-) Deutschland zurück, wurde Redakteur bei der Zeitschrift Quick und ging 1972 nach Italien, wo er 1978 starb. Von ihm bleibt indes nicht nur jenes Buch vom Überlebenskampf der Berliner Juden, sondern auch sein Namenszug im Jerusalemer Mahnmal Yad Vashem. Zusammen mit seiner zweiten Frau Utje gehört er zu den zehn Schwedinnen und Schweden, die dort als »Gerechte unter den Völkern« geehrt werden.
Erschienen in Ossietzky 7/2005 |
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