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Wirkliche oder selbst vermeintliche Schlachtensiege nach einem insgesamt verlorenen Krieg ließen sich die Mordspatrioten, freilich zusammengeschmolzen auf die Unentwegten, nicht entgehen. Des Tages der Skagerrakschlacht mußte gedacht werden. Heldengedenken! Helm oder Zylinder ab zum Gebet! Nun stehen die Deutschen wieder vor einem Tag, der markant in ihren Geschichtsbüchern verzeichnet ist und auch in den Biographien einer Minderheit, die ihn im Jahr 1945 erlebte und die Grenze zum Rentenaler längst überschritten hat. Doch die Schwierigkeiten mit ihm sind immens. Es beginnt mit der Benennung. Kriegsende? Zusammenbruch? Niederlage? Kapitulation? Erlösung? Stunde Null? Oder gar: Befreiung? Die Begriffe konkurrieren nicht, sie bezeichnen verschiedene Perspektiven auf ein und dasselbe Ereignis. Doch sind sie in unterschiedlichem Grade emotional befrachtet. Und während die einen nur eine Tatsache beschreiben, geben andere eine Bewertung. Befreiung sagt etwas über das Davor und das Danach. Das ergibt die umstrittene Charakteristik. Sie erinnert an das Geschichtsbild der Ostdeutschen und daran, daß diese – bis zur Einführung der Fünftagewoche in der DDR – sich über den 8. Mai gar als verordneten arbeitsfreien Tag zu ärgern hatten. Und sie läßt an die lange währende auch offizielle Verweigerung im Weststaat denken, die Tatsache zu benennen, daß die Deutschen an diesem Maitag die Chance erhielten, sich von jenem Platz wegzuarbeiten, auf dem sie, wie Bertolt Brecht schon 1933 gedichtet hatte, den Völkern eine Furcht geworden waren. Dann redete 1985 Richard von Weizsäcker und sprach von Befreiung. Was manchen als ein Durchbruch kritischen Geschichtsdenkens in der Bundesrepublik vorkam und noch immer so erscheint, kann sich bei genauerer Prüfung anders darstellen. Denn was ist mit Befreiung gemeint? Ein Haus der Verlagsgruppe Ullstein (Springer-Konzern) kündigte zeitig das Erscheinen eines Buches an, das sich mit dem Jahrestag befaßt. Es gehört zu einer ganzen Gruppe von Publikationen, die aus den Druckereien derzeit in die Buchhandlungen gelangen. Doch mit diesem Band schien sich ein Unikat anzuzeigen. Sein Titel: »Kein Tag der Befreiung!« Dann wurde dem zugesandten Fahnensatz die unkommentierte Bemerkung nachgereicht, der Titel des Werkes habe sich geändert und laute nun: »Tag der Befreiung?« Inhaltliche Änderungen wurden nicht angemerkt. So kann ausgeschlossen werden, daß der Verfasser über seine Bewertung inzwischen in Zweifel geraten ist. Was läßt sich dann vermuten? Rechnet der Verlag mit einem vermehrten Absatz, wenn er Käufern mit der Frage im Titel eine abwägend-diskutierende Haltung vortäuscht? Oder ist es schlicht die Nähe zu einer (neo)nazistischen Gesellschaft, die er vermieden wissen will? Will er gar staats- und regierungstreu den Kanzler nicht in Schwierigkeiten bringen, der wie 1944 an die Küste der Normandie in diesem Jahr an die Ufer der Moskva reist und, wenn dort der Tag des Sieges gefeiert wird, doch schwerlich jenes Druckwerk präsentieren kann, um die Art zu belegen, in der bei ihm zu Hause dieses unauslöschlichen Eintrags in die Weltgeschichte gedacht wird? So viele Fragen, so viele Möglichkeiten. Auch ein anderes Erzeugnis paßt schwerlich in das Reisegepäck des Regierungschefs. Die Militärhistoriker Gerd R. Ueberschär und Rolf Dieter Müller haben ihr bereits 1995 vorgelegtes Buch über das Kriegsende in erweiterter und überarbeiteter Form wieder drucken lassen. Gab es damals, fragen sie, »einen anderen Weg, der die letzte Konsequenz – die Bereitschaft, Stalin notfalls mit Waffengewalt in die Knie zu zwingen und so den Zweiten Weltkrieg um eine weitere Runde (Ring frei; K.P. ) fortzusetzen – ausschloß?« Was doch in Klartext heißt: Hätte sich die Sowjetunion, nachdem sie die Hauptlast des Krieges getragen und ihre Armee der Wehrmacht das Genick gebrochen hatte, nicht mit der bloßen, aber deutlichen Drohung der Atombombe in Kombination mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen gegen das ausgehungerte und ausgeplünderte Land beseitigen lassen? Diese »Schlüsselfrage«, meinen die beiden Autoren, müsse doch einmal aufgeworfen werden. Sicher sind sie sich hingegen in ihrem Urteil, daß dieser 1939 begonnene Krieg »erst 1990 wirklich zu Ende gegangen« sei oder einschränkend an anderer Stelle: »In Osteuropa ging der Zweite Weltkrieg erst 1990 wirklich zu Ende«. Denn: Befreit worden seien im ersten Schritt nur die Deutschen, die in das Besatzungsgebiet der Westmächte gerieten. Für die Ostdeutschen, so ihr Bild, endete die Odyssee, die 1933 begann, erst 1989/90. Dann gibt es in den Neuen Bundesländern für die Alteingesessenen und deren Nachfahren demnächst nichts zu feiern. Ausgeschlossen werden Ostberliner, Dresdener und Rostocker und alle die vielen bundesrepublikanischen Neubürger also am kommenden 8. Mai auf die Brüder und Schwestern in ihrer Mitte blicken, die als starke Minderheit, bestehend aus zugewanderten Regierenden, Beamten, Verwaltern und Helfern aller Sorten, sich ihrer oder ihrer Vorfahren Befreiung vor sechs Jahrzehnten erinnern dürfen. Doch wo Leiden sind, da ist meist auch Trost. 2050 werden sie ja dann mit einem, mit ihrem Sechzigsten an der Reihe sein. Nichtsdestoweniger: Das waren noch Zeiten – siehe oben.
Erschienen in Ossietzky 7/2005 |
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