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Als der Anwalt der Frau davon erfuhr, erstattete er gegen Schnabel Anzeige wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz (RBerG) vom 13.12.1935. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz stellte das Verfahren sofort mangels Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes ein. Die Anwaltskammer des Freistaates Sachsen dagegen verklagte Schnabel auf Unterlassung. Einen solchen Akt von Privatjustiz ermöglichte ihr eine trickreiche Paragraphenverknüpfung zwischen dem Rechtsberatungsgesetz und dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Das Rechtsberatungsgesetz dient, wie viele Rechtsanwälte argumentieren, nur dem Schutz der Rechtsuchenden; ihnen müsse »im eigenen wohlverstandenen Interesse« die Möglichkeit unentgeltlicher Beratung durch Mitbürger verschlossen bleiben: Eher soll jemand rechtlich völlig unberaten bleiben, als daß er vielleicht einmal einen unzutreffenden Rat erhielte. Zugleich dient dieses gesetzliche Verbot aber auch dem Schutz der Rechtsanwälte vor unliebsamer altruistischer Konkurrenz. So fand sich Fritz Schnabel wie ein Unternehmer vor der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Leipzig wieder. Richter Mathias Zschiebsch verurteilte ihn nach nicht einmal zehnminütiger Verhandlung zur Unterlassung. Dabei stützte er sich auf die das RBerG noch verschärfende Rechtsprechung des Reichsgerichts von 1938. Danach ist man ein Rechtsbrecher, wenn man wiederholt unentgeltlich rechtsberatend geholfen hat. Die Wiederholungshandlungen erblickte der Richter darin, daß Schnabel zugegebenermaßen zu DDR-Zeiten Mitbürgern in Rechtsdingen zur Seite getreten war, sogar mit gerichtlicher Zulassung. In der DDR hatte man das NS-Gesetz von 1935 nämlich aufgehoben und nur die kommerzielle, entgeltliche Rechtsberatung den Rechtsanwälten vorbehalten. Erst der Wiedervereinigungsvertrag von 1990 hatte das Verbot des Altruismus auf den Osten erstreckt, in einer unauffälligen Passage. Das Eingeständnis der Einschränkung von Grundrechten der neuen Bundesbürger hätte sich rechtspolitisch schlecht ausgenommen. Deshalb hielten das Bundesjustizministerium und die Anwaltskammern es auch nicht für nötig, die Bürger in Ostdeutschland auf die nunmehr gesamtdeutsche Rechtslage aufmerksam zu machen, die weltweit einzigartig ist. Der Richter glaubte auch, sich über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29.7.2004 hinwegsetzen zu können, die eine zurückhaltende Anwendung des Rechtsberatunsgesetzes angemahnt hatte. Ebenso wenig kümmerte ihn auch der Umstand, daß das im Entwurf vorliegende neue »Rechtsdienstleistungsgesetz« zwar das menschenrechts-, grundrechts-, also verfassungswidrige Verbot der altruistischen Rechtsberatung grundsätzlich aufrecht erhält, aber wenigstens unentgeltliche Rechtsberatung unter Freunden oder Familienangehörigen freigibt. Dieser richterliche Widerstand gegen den Gesetzgeber war der Überzeugung geschuldet, daß jegliche altruistische Rechtsberatung immense Gefahren für den Beratenen heraufbeschwört, während Rechtsanwälte und natürlich erst recht Richter unfehlbar sind, zumindest hier in unserem deutschen Rechtsstaat. (Die Erinnerung daran, daß auch Juristen irren können, würde solche richterliche Selbstgewißheit in psychisch bedrohlicher Weise in Frage stellen.) Fast hätte ich es vergessen: Seine Hilfsbereitschaft hat Herrn Schnabel vorerst exakt 4055,20 Euro gekostet. Die Kosten eines Prozesses berechnen sich nämlich nach dem sogenannten Streitwert. Und der wird inzwischen von fast allen Gerichten bei Unterlassungsklagen dieser Art auf 15 000 Euro festgesetzt, als stritte man sich über den Totalschaden eines neuen Mittelklassewagens. Doch, so meint nun einmal die Rechtsprechung, das müsse es einem wert sein, wenn man einem Freund in Rechtsdingen hat helfen wollen. Juristen erfahren in ihrer Ausbildung nicht nur wenig von der Vergangenheit der Justiz und der Geschichte geltender Gesetze, sondern ihnen wird auch kaum beigebracht, wie sehr Streitwert und Prozeßkosten von der Wahrnehmung von Rechten und Grundrechtspositionen abschrecken können. An solchen Unterlassungsklagen verdienen in erster Linie die Rechtsanwälte. In diesem Fall vor allem der Anwalt der Sächsischen Anwaltskammer. Viele Rechtsanwälte haben entdeckt, daß sich das Rechtsberatunsgesetz im Wege von Unterlassungsklagen gegen uneigennützig handelnde Bürger hervorragend als einträgliche Geldquelle nutzen läßt. Das neue »Rechtsdienstleistungsgesetz« soll das RBerG von 1935 ablösen. Als besonderen Vorzug der neuen Regelung preist Bundesjustizministerin Brigitte Zypries an, daß ein Verstoß gegen das Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung künftig keine Ordnungswidrigkeit mehr darstellt, mit der sich die Staatsanwaltschaft zu befassen hätte. Es genüge die Möglichkeit von Unterlassungsklagen durch die Anwaltschaft. Verschwiegen werden die horrenden Prozeßkosten, die auf den unentgeltlichen Berater zukommen. Sie übersteigen die bisher wegen solcher Verstöße üblicherweise verhängten Geldbußen um das Zehn- bis Fünfzehnfache. Ein Hinweis darauf könnte vielleicht die mit der Gesetzesberatung befaßten Bundestagsabgeordneten aufschrecken; das möchte die Bundesregierung möglichst vermeiden. Darüber und überhaupt über den Mißbrauch des Verbots der altruistischen Rechtsberatung ausschließlich als Waffe gegen wirtschaftlich Schwächere findet sich in der sonst langatmigen Begründung des Gesetzentwurfs kein einziges Wort. Wenn das Leipziger Urteil nicht aufgehoben wird – Berufung ist eingelegt –, darf man einen hilflosen Sozialhilfeempfänger oder Flüchtling also weiterhin nicht beraten. Hier bringt das Gesetz sogar noch eine Verschärfung des NS-Gesetzes von 1935: Während bisher in richtiger Auslegung die altruistische Beratung nur bei häufiger Wiederholung verboten war, genügt künftig ein einziger Fall. Von einer Ministerin, die sich völlig ins Schlepptau der organisierten Anwaltschaft hat nehmen lassen, war die nach der letzten Bundestagswahl von der rot-grünen Koalition angekündigte durchgreifende Gesetzesänderung allerdings auch kaum mehr zu erwarten.
Erschienen in Ossietzky 7/2005 |
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